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Zur Revolution in Ägypten: Sind wir immer die Guten?

 

Ein Demonstrant in Jordanien/ Foto: AFP/ Khalil Mazraawi

Wir, das sind die Menschen in der sogenannten westlichen Welt. Die ihre Regierung selbst wählen dürfen. Die ihre Meinung frei sagen dürfen, ohne dafür bestraft zu werden, wenn das, was gesagt wurde, den Regierenden nicht passt. Wir, die westeuropäischen Länder und Nordamerika, leben dem Rest der Welt gerne vor, wie der perfekte Staat aussieht. Ein Staat, in dem allen geholfen wird, die in Not sind. In dem es Krankenhäuser, Ärzte, Schulen und ein funktionierendes Verkehrssystem gibt. Länder, in denen niemand verhungern muss. Und in denen alle Menschen die gleichen Rechte – und natürlich auch Pflichten! – haben.

Als vor 21 Jahren die Menschen in Osteuropa gegen ihre Regierungen protestierten, änderte sich innerhalb weniger Monate die politische Landkarte Europas und das Leben von Millionen Menschen. Nicht nur, dass aus zwei Deutschlands nach einer friedlichen Revolution wieder ein Land wurde. Auch in Prag demonstrierten die Menschen gegen die Regierung – und gewannen. Heute nennen die Prager diesen Sturz der alten Regierung die „samtene Revolution“. Die Menschen demonstrierten damals vor allem für mehr Freiheit und mehr Rechte. Für freie und echte Wahlen, Meinungs- und auch Reisefreiheit.

Was nun in Ägypten passiert, hat mit einer sanften, samtenen, friedlichen Revolution leider nichts mehr zu tun. Da kämpfen Anhänger der alten Regierung gegen Menschen, die gegen die alte Regierung und für neue, freie Wahlen demonstrieren. Und in den angrenzenden arabischen Ländern passiert das gleiche. Menschen demonstrieren im Jemen, in Jordanien, in Algerien und in Syrien für mehr Rechte, mehr persönliche Freiheit und gegen die Staatschefs, die zum Teil schon seit Jahrzehnten regieren.

Und was tun die Regierungen der westlichen Länder? Der Länder, die zum Beispiel bei Gesprächen mit Politikern aus China immer wieder betonen, wie wichtig die Menschenrechte sind? Die westlichen Politiker haben sich in den letzten Jahren mit Kritik an den Machthabern in der arabischen Welt immer sehr zurückgehalten. Denn das, was die – vom Volk nicht gemochten Regierungen – uns Westlern garantieren konnten, war Ruhe.

Keine Baustellen und Probleme in der arabischen Welt heißt für unsere Regierungen: Der Suezkanal, ein Wasserweg, der den Indischen Ozean und das Mittelmeer verbindet, kann immer problemlos befahren werden. Das ist wichtig für unsere Wirtschaft.

Und Ruhe in Arabien bedeutete für unsere Regierungen auch: Keiner der Staaten wagt es, etwas gegen den Staat Israel zu unternehmen. Das ist auch wichtig. Für die Israelis, damit sie einigermaßen sicher, eingekesselt von Nachbarstaaten, die einen anderen Glauben haben, leben können. Und für uns, denn wir sind mit Israel verbündet und haben den Israelis Hilfe und Unterstützung versprochen.

Außerdem garantierten die Machthaber in den arabischen Ländern dafür, dass Menschen, die ihren Glauben, den Islam und seine Gesetze, zur Grundlage eines Staates machen wollen, nicht zu viel Macht bekommen. Islamismus heißt das, wenn Menschen, die an den Propheten Mohammed und die von ihm erlassenen Gesetz glauben, auf alle Lebensbereiche ausdehnen wollen.

Und diese drei Punkte – Sicherheit des Suezkanals, Frieden für Israel und Vermeidung des Islamismus – sind für unsere Regierungen und uns so wichtig, dass wir viele Jahre nichts gegen die Machthaber in den arabischen Ländern gesagt haben.

Auch wenn eigentlich klar war, dass es nicht gut sein kann, wenn ein Herrscher seit über 30 Jahren regiert. Und die Auszählung der Wahlen fälscht, damit er auf keinen Fall abgewählt wird. Die westlichen Regierungen haben die Augen zugemacht, wenn bekannt wurde, dass in den Gefängnissen in Ägypten Menschen von den Wärtern und Polizisten böse Verletzungen zugefügt wurden, als Bestrafung für die Dinge, die sie offen gesagt haben.
Die Menschen in den arabischen Ländern demonstrieren im Moment für genau die gleichen Dinge, wie die Menschen in den osteuropäischen Ländern vor rund 20 Jahren. Damals fanden das alle westlichen Länder und vor allem die USA ganz toll. Da hatten sie aber auch nicht so viel Angst davor, was passieren könnte, wenn andere Leute an die Macht kommen.

Sind wir also immer die Guten, die der Welt vorleben, wie man am besten einen Staat organisiert und ein Volk regiert? Dann wäre es an der Zeit zu sagen, dass es auch für die Menschen in den arabischen Ländern nur gerecht ist, wenn sie ihre nächste Regierung frei wählen dürfen und genauso viele Rechte haben, wie die Menschen bei uns.

Denn: Vielleicht wird alles gar nicht so schlimm. Vielleicht schaffen es die Menschen in den arabischen Ländern, neue Regierungen zu wählen, die verantwortungsbewusst mit der großen Macht und den Menschen umgehen. Das haben unsere Nachbarn in den osteuropäischen Ländern auch geschafft.

Sandra-Valeska Bruhns