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Siehst Du die Sterne?

 

Unsere Städte sind so hell, dass man oft die Sterne nicht erkennen kann/ © Getty Images

Ist der Himmel nachts wirklich dunkel? Selten. Schuld daran ist künstliches Licht, das die Finsternis verschmutzt

Von Robert Massey

Der Himmel ist nachts mit Sternen und Planeten übersät, hier und da leuchtet vielleicht auch noch eine Sternschnuppe auf. So stellen wir es uns vor, so lesen wir es in Büchern, sehen es in Filmen. In Wirklichkeit ist der Himmel nachts regelmäßig bewölkt, dann sehen wir gar nichts. Und selbst bei gutem Wetter ist die Aussicht schlecht.

Das liegt daran, dass sich unsere Dörfer und Städte in den letzten 100 Jahren völlig verändert haben: Straßenlaternen, Laser und Neonschilder erhellen unsere Nächte. Das künstliche Licht hilft uns zwar, unser Leben auch nach Sonnenuntergang zu genießen. Astrophysiker aber, die die Himmelskörper und den Rest des Universums studieren, brauchen die Dunkelheit. Durch das künstliche Licht wird ihre Arbeit gestört. Deshalb sprechen sie von »Lichtverschmutzung«.

Diese Lichtverschmutzung färbt unseren Nachthimmel orange ein und macht es schwer, irgendetwas anderes als die hellsten Sterne und Planeten und den Mond zu sehen. In einer großen Stadt wie Berlin, München oder meiner Heimatstadt London können wir nachts 30 oder 40 der hellsten Sterne ausmachen. An einem richtig dunklen Himmel über einem abgelegenen Landstrich kann man bis zu 2000 Sterne sehen!

Etwa so viele waren auch für unsere Vorfahren erkennbar, und die Sterne waren im Alltag der Menschen früher sehr wichtig. Sie halfen, die Uhr- und Jahreszeit zu bestimmen, bei der Orientierung an Land und natürlich auf See. Anhand der Sterne fanden die Wikinger oder Kolumbus ihre Wege.

Der schönste Anblick an einem guten – also dunklen – Himmel ist sicher die Milchstraße, ein Schleier, gewoben aus dem Licht von Milliarden von Sternen unserer Galaxie. Es ist bei Dunkelheit auch nicht schwer, Sternschnuppen zu entdecken oder Sternhaufen. Bis vor gut 100 Jahren waren diese Phänomene alle stets gut zu sehen. Aber als auf den Straßen zunächst Gaslampen angebracht wurden und später elektrische Laternen, strahlte immer mehr Licht in den Himmel – und aus war es mit dem guten Blick in die Sterne.

Es gibt eine Gruppe, die weltweit gegen diese Lichtverschmutzung kämpft. Sie heißt International Dark-Sky Association, kurz IDA; auf Deutsch Internationale Gesellschaft für einen dunklen Himmel. Ihre Mitglieder sind überzeugt, dass der nächtliche Sternenhimmel genauso viel Schutz verdient wie die Natur auf der Erde. Die IDA sagt, dass Lichtverschmutzung Fledermäuse, Frösche, Vögel, Insekten und andere nachtaktive Lebewesen bei der Futtersuche stört. Es gibt sogar Forscher, die sagen, dass Lichtverschmutzung schädlich für den Menschen ist, weil das Licht den Schlaf stören kann, und das macht auf Dauer krank.

Die Gruppe gegen Lichtverschmutzung fordert nicht, dass alle Lichter und Lampen ausgeschaltet werden sollen – sondern dass ihr Design verbessert werden muss: Zum Beispiel sollen Straßenlaternen so gebaut werden, dass sie nicht in den Himmel strahlen, sondern nur nach unten, wo das Licht hingehört.

Ein Vorbild ist die Stadt San Diego in den USA. Mehr als drei Millionen Menschen leben in der Umgebung, und Astrophysiker machten sich Sorgen, dass das Licht der Stadt ihre Arbeit beeinträchtigen könnte. In der Nähe ist nämlich das Palomar-Observatorium, wo seit 1934 der Himmel studiert wird. Vor knapp 20 Jahren beschloss die Stadtverwaltung San Diegos, die städtische Lichtverschmutzung zu verringern. Die hellsten Straßenlaternen in manchen Stadtteilen wurden ganz abgeschafft, andere abgeschirmt. Zwei Jahre später bedankten sich die Astrophysiker, indem sie dem Asteroiden 3043 den Namen »San Diego« gaben – das erste Objekt im Weltraum, das nach einer Stadt benannt ist.

Manche Länder gewähren bereits Gegenden mit sehr dunklem Himmel besonderen Schutz. Dort darf überhaupt kein künstliches Licht leuchten. Vier von diesen dark sky places (übersetzt: Orte mit dunklem Himmel) sind in Europa: der Galloway Forest Park in Schottland, die Kanalinsel Sark, der Hortobagy Starry Sky Park in Ungarn und Zelic, ebenfalls in Ungarn. Diese Orte ziehen viele Touristen an, denn nicht nur professionelle Astrophysiker, sondern auch Hobbysternengucker wollen die Schönheit des dunklen Nachthimmels genießen.

Letztes Jahr im Januar hatte ich das Glück, zusammen mit meiner Familie einen dieser dunklen Orte, den Galloway Forest Park, zu besuchen. Gewöhnt an den Großstadthimmel Londons, war es ein großer Genuss, so viele Sterne auf einmal zu betrachten. Ich hatte ein mittelgroßes Fernglas dabei, und zum ersten Mal konnte ich Sternbilder wiedersehen, die ich aus meiner Kindheit kannte.

So wie mir gehe es vielen Menschen, die einen dark sky place besuchen, sagt Steve Owens. Er kämpft gegen die Lichtverschmutzung und setzt sich für den Schutz dunkler Orte ein. »Richtige Finsternis und ein unverfälschter Blick in den Sternenhimmel sind Dinge, die im Leben der Menschen in Europa heute kaum mehr vorkommen«, sagt Owens. »Die meisten von uns leben in Städten, wo die Sterne vom künstlichen Licht ausgeblendet werden.«

Deutschland hat bisher noch keine Nachthimmel-Schutzorte, aber das könnte sich bald ändern. Der Naturpark Westhavelland, ungefähr 70 Kilometer westlich von Berlin gelegen, ist einer der dunkelsten Orte der Republik. Und er könnte bald als Schutzgebiet anerkannt werden. Andreas Haenel vom Planetarium Osnabrück hat die Chefs des Naturparks überredet, sich bei der IDA zu bewerben. Haenels Messungen haben nämlich gezeigt, dass der Himmel im Westhavelland fast natürliche Dunkelheit bietet, mit so gut wie keiner Störung durch künstliches Licht. »Es ist großartig, dass der Park so nah an Berlin liegt und deshalb auch die Großstädter Zugang zur Schönheit des Sternenhimmels haben«, so Haenel. »Wenn es hier klappt, ist das hoffentlich nur das erste von vielen Nachthimmelreservaten in ganz Deutschland!«

Aus dem Englischen von Jenny Gaschke