Gecko ist ein tolles Magazin für Kinder. Ohne nervige Werbung, dafür mit schönen Kurzgeschichten, tollen Zeichnungen und lustigen Wortspielen. Fast wie ein Bilderbuch, nur, dass Gecko auch ein paar Bastelideen und Mitmachseiten hat. In der neuen Ausgabe findet Ihr neben spannenden Geschichten eine Anleitung für einen Eiswürfelkran, Märchen-Wortsport und lustige Übersetzungshilfen für Fremdwörter. Wir von der KinderZEIT wünschen Dir viel Spaß mit einer Geschichte, die vor 100 Jahren in Russland spielt.
Als Fedka fast im Gefängnis gelandet wäre
Vor hundert Jahren waren die Menschen in Rußland so arm, dass Fedkas Oma morgens mit dem Revolver aus dem Fenster schoß, um die Räuber zu vertreiben. Vor lauter Hunger stiegen die Leute bei den Nachbarn ins Haus,
bloß wegen einem Kanten Brot oder einem Glas saurer Gurken. Auf die Polizisten war kein Verlaß. Sie waren selbst so arm, dass sie die Räuber laufen ließen, wenn diese ihnen einen Teil der Beute gaben.
Fedkas Oma öffnete die Tür zu dem Verschlag hinter ihrem Häuschen. Dort wohnte Katharina, die alte Gans. Katharina sei zu dürr zum Schlachten und ihr Fleisch zu zäh, meinte Fedkas Oma. Sie warf der Gans eine Handvoll Körner hin.
Fedka schlüpfte vom Kachelofen hinab. Er wusste, dass Katharina und seine Oma insgeheim zwei alte Freundinnen waren. Jede Nacht schliefen alle auf dem Kachelofen. Fedka eingewickelt in ein altes Bärenfell, seine Oma unter einem Haufen Lumpen und Nikita, der kleine Hund, auf Fedkas Füßen. Am Morgen war der Ofen kalt. Sie hatten zu wenig Holz, um am Abend genug für die ganze Nacht hinein zu legen. Fedkas Oma rührte einen Brei aus Buchweizen an, goss viel Wasser und kaum Milch hinein. Er machte genauso wenig satt wie die dünne Kohlsuppe am Mittag. Für alle gab es das gleiche Essen. Nikita kaute auf den gekochten Kohlblättern und Katharina riß kleine Stückchen davon ab.
Fedkas Oma hieß Anastasia, wie eine der vier Töchter des Zaren. Der Zar und die Zarin lebten mit ihren Kindern in einem großen Palast, mit 1487 Zimmern. Tag und Nacht hielten schwarze Männer aus Afrika vor der Tür des Zaren Wache. Sie trugen spitze Schuhe, rote Hosen und weiße Turbane. Der Zar hatte Angst vor seinen Untertanen. Nie wäre er zu Fedka gekommen, um ihm gegen den Hunger und die Kälte zu helfen. Dem Zar gehörte der Wald rund um Fedkas Dorf. Die Waldhüter, kräftige Männer mit Gewehren und Pistolen, passten auf, dass niemand dem Zaren Holz klaute.
Nur den alten Frauen hatte der Zar erlaubt, aus dem Wald soviel Holz nach Hause zu tragen, wie sie auf ihren Rücken packen konnten. Allen anderen war es streng verboten, Bäume zu schlagen. Wurde einer dabei erwischt, landete er für viele Jahre im Gefängnis. Am Morgen machten sich Fedka und seine Oma mit Nikita auf den Weg zum Wald. Was die alte Frau Stunden später an Holz heran schleppte, verteilten sie auf zwei Körbe und trugen es heim. Damit Nikita helfen konnte, hatte Fedkas Oma aus Baumrinde Streifen geschnitten und eine Satteltasche daraus geflochten. Sie hing zu beiden Seiten von Nikitas Rücken. Früher hatte Fedkas Oma an den langen Abenden Löffel und Gabeln aus Holz geschnitzt. Ihr Mann war damit in der Stadt hausieren gegangen. Fedkas Opa war seit vielen Jahren tot und seine Oma am Abend zu müde, um nach dem Holzmesserchen zu greifen. Statt auf den Kachelofen zu steigen, legte sich Fedkas Oma auf den Boden und schlief gleich ein. Fedka lag noch lange wach, und an seinen Füßen Nikita. Der kleine Hund spürte, dass sein Herrchen Sorgen hatte.
Während Fedkas Oma am nächsten Morgen einen der letzten Winteräpfel in die Breischüssel schnitt, machten sich Fedka und Nikita hinter ihr zu schaffen. Da wurde es plötzlich still in dem kleinen Raum. Die Alte drehte sich um. Statt Fedka und Nikita stand da eine krumme, vermummte Babuschka mit einem kleinen Buckel. Babuschka nennen die russischen Kinder ihre Oma. Fedkas Oma verstand erst nach ein paar Sekunden, was sie da vor sich sah. Fedka und Nikita hatten sich als eine alte Babuschka verkleidet. Sie wollten im Wald nach Holz suchen, damit die Oma sich zuhause ausruhen konnte. So machten sie es, gleich an diesem Tag. In Mantel und Schal seiner Oma eingewickelt, machte sich Fedka auf den Weg. Nikita saß auf seinem Rücken. Kaum waren sie durch das Unterholz geschlüpft, sprang Nikita zu Boden. Er schleppte in seinem Maul das Holz herbei und Fedka packte es in die zwei Körbe. Am Abend gingen sie langsam nach Hause. Es war schwer für Fedka, auf dem Rücken einen kleinen Hund und in beiden Händen zwei volle Holzkörbe zu tragen. Aber er hielt durch, den ganzen Winter lang. Weder einem der Leute im Dorf noch einem der Waldhüter fiel die Verkleidung auf. Meist marschierte Fedka mit Nikita auf dem Rücken in aller Frühe los, wenn es draußen noch halbfinster war. Fedkas Oma erholte sich gut in diesem Winter. Sie fand wieder Freude daran, Gabeln und Löffel zu schnitzen. Im Frühjahr wollte Fedka die Sachen in der Stadt verkaufen. Mit dem Geld dafür würde endlich nicht bloß die Kälte, sondern auch der Hunger ein Ende haben.
Die Tage wurden länger und wärmer. Rehe standen frühmorgens still zwischen den Bäumen, Hasen flitzten über die Felder. Fedka und Nikita waren auf dem Weg in den Wald, als ihnen plötzlich ein Kaninchen vor die Füße sprang, auf der Flucht vor dem Waldhüter. Da trat der Mann schon zwischen den Bäumen hervor. Nikita roch sofort die Beute, dicht vor seinem Maul. Hungrig, wie er war, krallte er sich in Fedkas Rücken, bereit zum Sprung. Fedkas Arme schnellten nach hinten. Er tat, als kratzte er sich den Buckel wie ein altes Mütterchen, drückte Nikita auf seinen Rücken und flüsterte: »Psssst Nikita!« Fedka spürte, wie sich Nikitas Körper anspannte. Er hörte sein Knurren und wußte, dass sich Nikita jetzt auf das Kaninchen stürzen würde. Das Kaninchen kauerte auf der Erde, starr vor Schreck. Fedka zischte über seine Schulter: »Nikita, still!« Da knallte der Schuss! Erdbrocken flogen auf, der Schuss hatte das Kaninchen verfehlt. Es sprang weg. Nun würde nichts mehr Nikita halten, sich die Beute zu schnappen. Fedka stieß leise hervor:
»Nikita, nicht!« Aber Nikita war ein Hund voller Gier, das Kaninchen zu jagen, um endlich seinen Hunger zu stillen. Den riesigen Hunger, der den Winter lang an Nikita nagte. Da lief ein Frösteln durch den kleinen Fedka. Es war die pure Angst, in der nächsten Sekunde dem Waldhüter blank gegenüber zu stehen.
Nikita spürte Fedkas Zittern, die panische Furcht des Jungen – und gab seine Beute auf. Nikitas Kopf sank auf Fedkas Schulter. Er kauerte sich zusammen. Fedka krümmte sich und ging mit einem stummen Nicken an dem Waldhüter vorbei. Der zuckte mit den Achseln. »Ach Mütterchen, der Frühling fängt ja erst an, da gibt’s noch viele Kaninchen zu schnappen!« Fedka nickte mit dem Kopf, wie es eine alte Babuschka gemacht hätte. In seinem Nacken spürte er Nikitas warmen Atem. Erst tief im Wald nahm Fedka seinen Hund in beide Arme und drückte ihn fest an sich. Die Tränen liefen Fedka über’s Gesicht bei dem Gedanken, an welchem dünnen Fädchen es eben gehangen hatte, dass er einer dunklen, kalten Gefängniszelle entkommen war. Nikita hatte dieses dünne Fädchen gehalten, in der Treue für seinen Herrn. Fedka weinte vor lauter Glück, er hatte Nikita so lieb. Am Abend fassten Fedka und seine Oma einen Entschluss. Nie mehr würden Fedka und Nikita verkleidet in den Wald ziehen. Am nächsten Morgen machte sich Fedka auf den Weg in die Stadt, mit einer großen Tasche voller Holzlöffel und Gabeln. Nikita lief neben ihm her. Ein Bauer ließ die beiden hinten auf seinen Karren steigen. Dennoch dauerte die Fahrt zwei volle Tage. Nach einer Woche kehrten sie zurück. Auf Fedkas Brust hing ein Lederbeutel voller Rubel und Kopeken, gut versteckt unter einem warmen Hemd.
Als Fedka die Tasche auf den Tisch stellte, begann ein Schnattern hinten im Verschlag. Katharina hatte es sofort gerochen, und nun sah es auch Fedkas Oma: Aus der Tasche streckte ein kleines Gänseküken seinen Kopf. Weil Fedka so froh mit Nikita war, sollte seine Oma nicht ohne eine Freundin sein, wenn es die alte Katharina einmal nicht mehr gab.
Einen kleinen Hund hätte Autorin Andrea Hensgen auch sehr gerne, und Russisch zu lernen hat sie ernsthaft versucht und nach einem Jahr aufgegeben. Hunger mußte sie zum Glück in ihrem Leben nie erleiden.Heute lebt sie nahe Freiburg, mit zwei Schildkröten im Garten. Ihr erfolgreichstes Buch erzählt von einem Wombat.
Ullustratorin Gerda Raidt, in Berlin geboren, hat in Leipzig Buchillustration studiert und ist dort mit ihrer Familie wohnen geblieben. Sie liebt es, Geschichten nicht mit Worten, sondern mit Bildern zu erzählen. Vor allem illustriert sie Kinderbücher (zuletzt »Die Straße«, Beltz & Gelberg), arbeitet hin und wieder für Trickfilmproduktionen und hat jetzt den Comic für sich entdeckt.
Diese Geschichte und andere tolle Erzählungen kannst Du im neuen „Gecko“ nachlesen. Ganz der Jahreszeit angemessen ist auch eine schöne Geschichte über Seehunde und Eisbären dabei.
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Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen!