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KinderZEIT Bilderbuchschatz (2): fünf, vier, drei, zwei – selber rein

 

Illustration: Jandl/ Junge/ Beltz & Gelberg
Illustration: Jandl/ Junge/ Beltz & Gelberg

Spielzeuge beim Arzt: Norman Junges gezeichnete Interpretation des Gedichts »fünfter sein« von Ernst Jandl

Von Katrin Hörnlein

Zu Anfang gibt es keine Worte, das Bild erzählt: Wir sehen einen fast leeren, düsteren Raum, in dem fünf Stühle stehen und eine Lampe von der Decke hängt. Linker Hand eine geschlossene Tür, aber unten ein heller Streifen, ein Lichtblick für die fünf bemitleidenswerten Gestalten, die auf den Stühlen warten: eine Pinocchio-Puppe mit gebrochener Nase. Ein Frosch mit Pflaster auf dem Rücken. Ein Teddybär mit Augenklappe und verbundenem Arm. Eine Ente in gefährlicher Schieflage, ihr fehlt ein Rad. Und ein Aufziehpinguin, der seine Flügel verloren hat. Was für eine ramponierte Spielzeug-Bande! Wer hat sie nur so zugerichtet?

Bevor das Gedicht fünfter sein des großen Lyrikers Ernst Jandl (1925 bis 2000) beginnt, hat uns die Illustration von Norman Junge, 2012 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis für sein Gesamtwerk ausgezeichnet, in die Geschichte hineingezogen. Also los, umblättern!

»tür auf / einer raus«. Knapper könnten Jandls Verse nicht sein, und Junge greift den Stil in seiner Illustration auf: Der Bär lehnt sich nur ein wenig zurück, dem Pinocchio schleicht sich ein kleines Lächeln ins Gesicht. Und doch entfaltet das Bild eine große Dramatik: Die Lampe an der Decke schwingt wild zur Seite, die Tür steht weit auf, und aus dem hell erleuchteten Raum dahinter rollt ein Marienkäfer heraus und an der wartenden Schar vorbei. Was geschieht nur hinter der Tür?

Umblättern: »einer rein«. Der Pinguin watschelt los, die Lampe schwingt zurück. Umblättern: »vierter sein«. Die Tür ist wieder geschlossen, der Raum im Halbdunkel, vier Spielzeuge warten noch. Und so geht es wieder von vorn los.

»tür auf / einer raus«. Da kommt er zurück, der Pinguin, nicht mehr flügellos. Aha, hier wird man also heil gemacht! Ob es bei jedem Patienten gelingt? Wir fiebern mit und blättern um: »dritter sein«, »zweiter sein«, »nächster sein«. Der Pinocchio, er darf nun »selber rein« und spricht das finale Jandl Worte-Wort »tagherrdoktor«.

An einen Kinder-Abzählreim erinnert das Gedicht, und die Schlichtheit und den Rhythmus der Sprache greift Junge auf und setzt sie bildlich um: Jedes Bild (bis auf das letzte) ist gleich aufgebaut, bei schnellem Blättern funktioniert das Buch wie ein Daumenkino. Und doch sind die Bilder voller versteckter Details, sodass man bei jedem Betrachten Neues entdeckt, sich neue Fragen stellt – und Antworten findet. Denn Jandls Gedicht verrät nicht, ob Pinocchio geheilt wird, nach »tagherrdoktor« ist Schluss. Das Bild löst auf: Wir schauen in das andere Zimmer, zum ersten Mal, sehen den lächelnden, mondgesichtigen »herrdoktor«, und hinter ihm im Regal, welch Glück, zwei rote Nasen.

bilderbuchschatz

Bilderbücher begleiten uns durch unsere Kindheit. Manche holen wir nach langer Zeit wieder hervor, um sie mit Kindern und Enkelkindern anzuschauen. Nach solchen Perlen – Klassikern und neuen Titeln – haben wir gesucht. Jede Woche stellen wir zwei Titel der neuen ZEIT-Edition vor.

1. Eric Carle: Die kleine Maus sucht einen Freund

2. Ernst Jandl/Norman Junge: fünfter sein

3. Christoph Niemann: So funktioniert das!

4. Leo Lionni: Das kleine Blau und das kleine Gelb

5. Ole Könnecke: Das große Buch der Bilder und Wörter

6. Gunilla Bergström: Gute Nacht, Willi Wiberg

7. Ali Mitgutsch: Rundherum in meiner Stadt

8. Wolf Erlbruch/ Rafik Schami: Das ist kein Papagei!

9. Hildegard Müller: Der Cowboy

10. Peggy Rathmann: Gute Nacht, Gorilla

11. Jorge Bucay/Gusti: Wie der Elefant die Freiheit fand

12. Janosch: Oh, wie schön ist Panama

Die komplette Bücherschatzkiste mit zwölf Bilderbüchern gibt es für 99,95 Euro im ZEIT Shop. Der Reinerlös geht an die Stiftung Lesen.