Rafik Schami und Wolf Erlbruch erzählen von einem Papagei, der gar kein Papagei ist
Benedikt Erenz
Oho, ein neuer Erlbruch!, ruft man gleich. Doch dann schaut man sich das neue Buch, das der Postbote da gebracht hat, genauer an – und siehe da: Es ist gar kein Buch von Wolf Erlbruch. Leider nicht. Aber verdammt gut imitiert!
Es gibt wohl keinen lebenden deutschen Bilderbuch-Künstler, den andere, meist jüngere Zeichner so offen und frech und begeistert nachahmen wie ihn, den großen Erlbruch. Was man natürlich als dickes Kompliment nehmen muss. Denn nur ein wahrer Meister wird fleißig kopiert, nur echte Klassiker werden plagiiert (und karikiert). Und das ist Wolf Erlbruch, dessen fantastische Werke – zum Beispiel das Neue ABC-Buch von Karl Philipp Moritz oder Ente, Tod und Tulpe – auch die Erwachsenen lieben und dem schon etliche, ja, wenn man’s recht bedenkt, eigentlich alle fraglichen Buchpreise verliehen wurden.
Das ist kein Papagei!, aber, das ist ein echter Erlbruch! 1994 erstmals im Hanser Verlag erschienen und seitdem immer wieder nachgedruckt. Es ist die herrliche Geschichte, die der syrische, seit vielen Jahrzehnten im deutschen Exil lebende und auf Deutsch schreibende Dichter Rafik Schami erzählt, die Geschichte vom Papagei, der gar kein Papagei ist.
Auch hier geht es um die Frage: Wer oder was bin ich wirklich? Wie lautet der Name? Wie nennst du mich? Und: Kennst du mich?
Denn der Papagei, den sich Mama und Papa gekauft haben, verweigert sich. Er spricht kein Wort. Keine Ansprache hilft, weder freundliche Ermahnung noch heftiges Brüllen. Die Eltern werden stinksauer, wollen ihn schon zurücktragen in die Tierhandlung.
Doch die kleine Lisa ahnt das Geheimnis. Sie lüftet es rasch: Dieser Vogel ist gar kein Papagei, und er ist einfach beleidigt, wenn man ihn einen Papagei nennt und ihn als Papagei behandelt.
Zu Recht. Denn dieser Vogel, das ist eine Mamagei!
Und kaum hat Lisa das Zauberwort gesprochen, den wahren Namen genannt, da öffnet die Vogelin ihren Schnabel – und kommt aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus! Schließlich ist sie im besten Mamageienalter von 75 Jahren und kann 13 Sprachen, und zwar fließend.
Wolf Erlbruch hat diese kleine Fabel mittels seiner famosen Buntstift-Collagen-Technik in heiter ironische Szenen umgesetzt, die völlig mit Schamis Text verschmelzen. So ist eine weise Bilder-Geschichte um das richtige Wort gelungen. Um das eine Zauberwort, das alles öffnet: ob Höhlen, ob Herzen.
Bilderbücher begleiten uns durch unsere Kindheit. Manche holen wir nach langer Zeit wieder hervor, um sie mit Kindern und Enkelkindern anzuschauen. Nach solchen Perlen – Klassikern und neuen Titeln – haben wir gesucht. Jede Woche stellen wir zwei Titel der neuen ZEIT-Edition vor.
1. Eric Carle: Die kleine Maus sucht einen Freund
2. Ernst Jandl/Norman Junge: fünfter sein
3. Christoph Niemann: So funktioniert das!
4. Leo Lionni: Das kleine Blau und das kleine Gelb
5. Ole Könnecke: Das große Buch der Bilder und Wörter
6. Gunilla Bergström: Gute Nacht, Willi Wiberg
7. Ali Mitgutsch: Rundherum in meiner Stadt
8. Wolf Erlbruch/ Rafik Schami: Das ist kein Papagei!
9. Hildegard Müller: Der Cowboy
10. Peggy Rathmann: Gute Nacht, Gorilla
11. Jorge Bucay/Gusti: Wie der Elefant die Freiheit fand
12. Janosch: Oh, wie schön ist Panama
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