In Berlin gibt es 158 Botschaften anderer Länder. Leonie Achtnich hat sich für uns aufs Rad gesetzt und versucht, so viele wie möglich zu besuchen
Wetten, dass man mit dem Fahrrad an einem Tag fast die ganze Welt bereisen kann? Von Afrika nach Asien und zurück nach Hause? In Berlin, der Hauptstadt Deutschlands, geht das, denn dort liegen ganz viele Länder auf engem Raum zusammen. Ich will sie besuchen und muss dafür nicht einmal zum Flughafen fahren. Ich kann einfach zu ihren Botschaften radeln.
Eine Botschaft ist die Vertretung eines Landes in einem anderen Land. 158 Länder haben eine Botschaft in Berlin. Die Menschen, die hier arbeiten, heißen Diplomaten. Sie erklären der deutschen Regierung, was in ihrem Land gerade passiert. Schließlich kann ein Regierungschef nicht ständig selbst in Deutschland sein.
Aber was kann man in diesen Botschaften wohl entdecken? Fühlt es sich dort wirklich an wie in der Fremde? Mit diesen Fragen auf dem Gepäckträger radle ich los.
Meine Weltreise beginnt ganz in der Nähe des Tiergartens in einem Gebäude der südkoreanischen Botschaft. Die Büros in dem Haus sehen aus wie überall auf der Welt: Schreibtische, Telefone, Papierstapel. Die Aufgabe der Menschen hier ist es, den Deutschen Korea zu erklären. Mir erzählt zum Beispiel jemand, dass Koreaner daran glauben, dass es besonders vor Prüfungen gut sei, etwas Klebriges zu essen. Sie glauben, dass dann das ganze Wissen hängen bleibt und nicht einfach so wieder aus dem Kopf flutscht. Hoffentlich kann ich mir das merken, ich habe heute Morgen bloß Müsli gegessen.
Zum Glück sind es von Korea nach Afrika, meiner nächsten Station, nur fünf Schritte. Da muss ich keine lange Wegbeschreibung im Kopf behalten. In Wirklichkeit liegen zwischen Korea und Afrika mehr als 10 000 Kilometer, in Berlin liegt die Botschaft des afrikanischen Lands Südsudan aber auf einer Etage gleich im Nachbarhaus. Sie ist viel kleiner als die koreanische. Ich nehme den Aufzug nach oben. Den Knopf im Lift muss ich nicht selbst drücken, das übernimmt ein Angestellter für mich. Diplomaten sind offenbar vornehme Leute …
Der Südsudan ist ein junges Land. Erst vor zwei Jahren haben dort die Bürger abgestimmt, dass sie sich vom Rest des Sudan trennen wollen. Die Botschaft ist noch nagelneu – und sieht ebenfalls aus wie ein stinknormales Büro. Afrika habe ich mir anders vorgestellt. Wenigstens trägt die Botschafterin ein buntes Kleid.
Auch mein nächstes Land liegt in Afrika. Ich fahre fünf Minuten mit dem Fahrrad vom Südsudan aus die Leipziger Straße entlang, dann komme ich zur Botschaft von Guinea-Bissau. Sie ist in einer Wohnung im zweiten Stock untergebracht. Der Botschafter Malam Jassi erzählt, was er sagt, wenn seine Kinder fragen, was er eigentlich den ganzen Tag so macht: »Telefonieren, am Computer sitzen (aber nicht zum Spielen!), mit Leuten reden.« Mhm, nicht sehr exotisch. Irgendwie habe ich Afrika immer noch nicht wirklich erlebt.
Als ich aus der Botschaft komme, ist schon Nachmittag. Ich gerate ins Schwitzen, als ich zur Botschaft des Jemen am Zoologischen Garten radle (eigentlich ist der Jemen auf der Arabischen Halbinsel). Dort erklärt mir ein Diplomat, dass er viel Zeit damit verbringt, Pässe zu stempeln, für Leute, die in den richtigen Jemen reisen wollen.
Nach dem Jemen mache ich einen schnellen Besuch in Venezuela und Bolivien, Malta und Malaysia. Eine Weltreisende kann ja nicht überall lange bleiben, wenn sie nur einen Tag Zeit hat. Aber vor der indonesischen Botschaft werde ich dann gebremst. Dort gibt es am Eingang eine Sicherheitssperre wie am Flughafen. Botschaften sind wichtige Gelände, die gut geschützt werden müssen. Deswegen stehen vor vielen auch Polizisten.
Mittlerweile tut mir mein Hintern vom Fahrradfahren weh. Deswegen radle ich ganz langsam weiter nach China. Das dauert 20 Minuten. China ist ein sehr großes und sehr wichtiges Land. Es hat nicht nur eine Botschaft, sondern auch noch ein Haus, das nur dafür da ist, die chinesische Kultur zu erklären. Ich könnte hier die chinesische Sprache lernen, wenn ich Zeit hätte. Und ich entdecke Ähnlichkeiten zu Deutschland. Zum Beispiel kennen die Chinesen auch eine Unglückszahl. Bei uns glaubt man, dass die 13 Pech bringt – in China ist es die 4.
Mit einem kurzen Abstecher über den Irak und Malawi (diese Länder sind auf der Weltkarte sehr weit voneinander entfernt, liegen aber in Berlin beide auf meinem Heimweg) fahre ich nach Hause. Zwölf Länder habe ich besucht, gesehen habe ich vor allem Schreibtische. Ich weiß jetzt viel über Botschaften, aber ich weiß auch: Um die Welt zu sehen, muss ich Berlin wohl doch verlassen.