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Nirgends zu Hause

 

Illustration: Jutta Bauer
Illustration: Jutta Bauer

Der Winter ist für obdachlose Menschen besonders hart. Torsten Meiners erzählt Schülern, wie sein Leben auf der Straße aussieht

Von Katrin Hörnlein

Torsten Meiners mag den Januar nicht. Und den Februar auch nicht. »In diesen Monaten ist es kalt und nass, die Leute haben schlechte Laune, und deshalb verdiene ich weniger«, sagt er. Torsten Meiners verkauft Zeitungen auf der Straße. Und dort, auf der Straße, lebt er auch. Der 45-Jährige ist obdachlos. Obdachlose haben keine Wohnung, kein Zimmer – schlicht kein Dach über dem Kopf. Sicher hast du auch schon einmal jemanden gesehen, der im Eingang eines Kaufhauses oder auf einer Parkbank geschlafen hat. Torsten Meiners wohnt in diesem Winter auf der Terrasse eines Hauses in Hamburg. Das soll verkauft werden, und bis es so weit ist, kümmert er sich um den Garten.
In Deutschland sind mehr als 200 000 Menschen obdachlos. Allerdings ist diese Zahl nur geschätzt. Wie viele es genau sind, weiß niemand, denn Obdachlose werden nicht gezählt. Im Winter, wenn es draußen eisig kalt ist, bekommen diese Menschen besondere Unterstützung. In vielen Orten fahren Helfer abends durch die Straßen und verteilen Decken und warme Getränke. In einigen Städten gibt es auch sogenannte Winternotprogramme: Obdachlose können die Nacht über in einem Haus bleiben. Aber am nächsten Morgen müssen sie wieder ausziehen. »Jeden Tag schläft man dann in einem anderen Bett«, sagt Torsten Meiners. Und dieses »ewige Hin und Her« sei vielen zu anstrengend. Da blieben sie lieber draußen.

Torsten Meiners hat früher als Fahrradkurier gearbeitet, und noch heute ist er viel mit dem Rad unterwegs. An einem Tag im Dezember macht er sich morgens auf den Weg nach Jork, einer kleinen Stadt in Niedersachsen. Dort wird er erwartet, von den Schülern der Klasse 5a am Schulzentrum Altes Land. Die Kinder dieser Haupt- und Realschule haben bei ihrem Weihnachtsbasar Geld verdient, das sie gespendet haben – an das Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt. Obdachlose wie Torsten Meiners verkaufen diese Zeitung, um etwas Geld zu verdienen. Solche Straßenmagazine gibt es in vielen Städten. In Hamburg kostet ein Heft 1,70 Euro. An jeder verkauften Zeitung verdient der Verkäufer 90 Cent.
»Selbst verdientes Geld gibt den Menschen etwas Ehre zurück«, sagt Stephan Karrenbauer. Er arbeitet als Sozialarbeiter bei Hinz & Kunzt. »Auf anderer Leute Kosten zu leben ist nicht toll«, sagt er. »Auch mal sagen zu können: ›Die Runde Kaffee bezahl ich‹ gibt ein gutes Gefühl. Oder sich selbst Unterwäsche kaufen zu können, statt alte aus einer Kleiderkammer zu nehmen.«
Zum Dank für die Spende besucht Torsten Meiners die Schule in Jork. Er wird der Klasse 5a ein Kinderbuch über Obdachlosigkeit vorlesen und ihre Fragen beantworten. Alle Kinder haben sich überlegt, was sie von ihrem Gast wissen wollen: Wo er sich wäscht zum Beispiel. »Vielleicht sind es ja Pfützen, aus denen er Wasser nimmt«, sagt ein Junge. Und wie mag er aussehen? »Kaputte, zerrissene Jeans, undichte dreckige Turnschuhe, längere fettige Haare und ein Bart«, vermuten die Schüler.
Dann betritt Torsten Meiners die Klasse. Seine Kleidung ist nicht zerrissen, die Haare sind nicht fettig. »Guten Morgen liebe 5a«, sagt er, »ich freue mich, dass ich heute hier sein darf.« Er setzt sich auf einen Stuhl vor die Klasse und nimmt ein kleines Büchlein in die Hand. Es heißt Ein mittelschönes Leben, geschrieben von der Kinderbuchautorin Kirsten Boie. Torsten Meiners liest vor: von einem Mann, der seine Arbeit verlor, der Schulden machte und dann, um seine Sorgen zu vergessen, schon morgens Bier trank. Er bezahlte keine Rechnungen mehr und musste irgendwann aus seiner Wohnung ausziehen. So wurde er obdachlos. Die Schüler sind ganz still und hören zu.
Dass Menschen obdachlos werden, kann verschiedene Gründe haben. Viele haben ein normales Leben – bis ihnen ein Unglück geschieht. Normalerweise versuchen die Sozialbehörden zu verhindern, dass Menschen aus ihrer Wohnung ausziehen müssen – weil sie wissen, dass eine Wohnung so ziemlich das Wichtigste für ein geordnetes Leben ist. Aber sie haben nicht immer Erfolg. Auch denjenigen, die schon auf der Straße leben, bieten die Behörden Zimmer an. Manche Menschen nehmen diese Hilfe an, manche nicht.
»Wie sind Sie obdachlos geworden?«, ist eine der ersten Fragen, die ein Schüler Torsten Meiners stellt. Und der antwortet ehrlich: Er habe seine Wohnung und seine Arbeit aufgegeben, weil er nach Neuseeland auswandern wollte. Doch dort verlor er all sein Geld. Denn Torsten Meiners ist spielsüchtig. Als er zurück nach Deutschland kam, landete er auf der Straße. Inzwischen ist er seit fünf Jahren obdachlos. »Gewöhnt man sich an dieses Leben?«, fragt Tim. Am Anfang sei es schwierig gewesen, sagt Torsten Meiners. »Man muss erst herausfinden, dass es Einrichtungen gibt, wo man umsonst etwas zu essen bekommt und sich waschen kann. »Wo gehen Sie zur Toilette?«, fragt Helena. Das sei nicht leicht, antwortet Meiners. »Zum Pinkeln habe ich vor meiner Terrasse einen Eimer stehen. Aber wenn ich groß muss, geht das nicht. In der Nähe gibt es eine Tankstelle, da gehe ich morgens hin.« Ein Schüler will wissen, ob es im Winter besonders schlimm ist. »Man braucht eine gute Unterlage und einen warmen Schlafsack«, erklärt Torsten Meiners. Aber schlimmer als die Kälte sei der Regen. »Wenn es drei Tage gießt, ist alles nass. Dann geht es einem schlecht.« Das ist vor allem deshalb so, weil Obdachlose ihre Besitztümer bei sich tragen: Bei schlechtem Wetter wird gleich alles durchweicht.

Besonders in den kalten Monaten, wenn auch in Deutschland Menschen erfrieren, sorgen sich viele um die Wohnungslosen. Aber Obdachlose leben das ganze Jahr auf der Straße. Viele Hilfsgruppen freuen sich deshalb über Spenden. Nicht nur Geld, auch alte Kleidung oder ein ausrangierter Schlafsack sind willkommen. »Nicht weggucken. Hilfe holen, wenn es jemandem schlecht geht«, sagt Sozialarbeiter Karrenbauer. »Oft genügt ein ›Guten Morgen‹ oder ein Lächeln.«