Im Frühling blüht und grünt es überall. Dass wir Menschen diese Farbenpracht überhaupt sehen, verdanken wir dem Licht und unserem Gehirn
Von Monika Klutzny
Bevor du weiterliest, ein kleiner Versuch: Verdunkle Dein Zimmer so, dass kaum Licht eindringt, Du die Gegenstände aber noch erkennen kannst. Betrachte nun Deine Legosteine, Deinen Fanschal, Deine Puppe oder was sonst bei Dir herumliegt: Welche Farben haben die Dinge?
Du hast es sicher gemerkt: Alles ist grau. Hellgrau, mittelgrau, dunkelgrau, aber jedenfalls grau. »Na und?«, sagst Du vielleicht. »Das hab ich auch vorher gewusst!« Mag sein. Aber hast Du Dir schon einmal überlegt, was es bedeuten könnte? Vielleicht hast Du ja gerade die wirkliche Welt gesehen. Vielleicht sind Deine Spielzeuge in Wirklichkeit gar nicht farbig. Vielleicht leben wir in einer Schwarz-Weiß-Welt und wissen es nur nicht. »Quatsch!«, wirst Du erwidern. »Wenn ich das Licht einschalte, sind die Farben doch wieder da!« Stimmt. Das Licht spielt eine der Hauptrollen beim Farbenschauspiel. Also: Licht an!
Wenn man zum Beispiel mit einer Taschenlampe auf eine Wand leuchtet, bildet sich dort ein heller Fleck aus weißem Licht. Physiker sagen, dass Licht aus winzigen Teilchen besteht. Diese sind so klein, dass wir sie einzeln nicht sehen können. Anfassen kann man das Licht auch nicht. Trotzdem kann man etwas Erstaunliches damit tun: Man kann es brechen – beinahe so, wie man einen Stock zerbricht. Das hat vor rund 300 Jahren der Wissenschaftler Isaac Newton herausgefunden, mithilfe eines Prismas. Das ist ein geschliffenes Glas, oft in Form einer Pyramide. Wenn man das Prisma auf eine weiße Fläche stellt und einen dünnen weißen Lichtstrahl auf die eine Seite richtet, dann kommt dieser Lichtstrahl auf der anderen Seite verändert wieder heraus. Auf dem Weg durch das Prisma ist das Licht »gebrochen« worden und zeigt sich nun auf der weißen Fläche als ein farbiges Band aus sieben verschiedenen Farben. Das Gleiche passiert, wenn ein Regenbogen entsteht. Viele Tausend Regentropfen wirken wie viele Tausend kleine Prismen. Das konnte man sich lange nicht erklären, und deshalb haben die Menschen früher geglaubt, Gott hätte das Farbschauspiel an den Himmel gemalt.
Doch zurück zu Newton. Das Brechen des Lichts hat ihm nicht gereicht, um dem Geheimnis der Farbe auf die Spur zu kommen. Er wollte es auch umgekehrt zeigen: die sieben Farben wieder zusammensetzen und so weißes Licht erzeugen. Dazu hat er die Farben auf eine Scheibe gemalt und diese ganz schnell gedreht. Er hoffte, dass für den Betrachter die Farben wieder zusammenflössen und er Weiß sehen würde. Hat aber nicht geklappt.
Armer Newton! So konnte ihm nämlich ein anderer berühmter Mann einen Vogel zeigen und sagen: »Alles falsch! Lüge!« Dieser Mann war der Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Er hat Newton sogar in Reimform kritisiert: »Wer aber das Licht in Farben will spalten, den mußt du für einen Affen halten.«
Denn auch Goethe hat sich mit Farben beschäftigt. Er war nicht nur Dichter, sondern auch Forscher. Heute müsste er sich ein wenig schämen für seine überhebliche Haltung gegenüber Newton. Der hatte nämlich recht, nur sein Experiment war falsch. Dazu muss man wissen, dass die sieben Farben des Lichts, die man Spektralfarben nennt, nicht die gleichen Farben sind wie die in einem Farbkasten, die Pigmentfarben heißen. Wenn man die sieben Pigmentfarben mischt, erhält man eine braun-graue Pampe – und niemals Weiß. Von diesen Farben ging Goethe bei seiner Farbenlehre aus. Was weder er noch Newton wussten: Man erhält tatsächlich weißes Licht, wenn man die Farben des Spektrums mischt. Newton hat aber leider versucht, den Beweis mit Pigmentfarben anzutreten. Hätte er Schein-wer-fer in den Spektralfarben benutzt, wäre sein Experiment geglückt.
Licht allein bringt das Farbenschauspiel allerdings noch nicht auf die Bühne. Dass Legosteine, vom selben Licht angestrahlt, unterschiedliche Farben haben, liegt an der Unterschiedlichkeit des Materials. Das nämlich spielt die zweite Hauptrolle in unserer Farbaufführung. »Die Legos sind aber doch alle aus dem gleichen Plastik!«, protestierst Du jetzt sicher – und hast einerseits recht, andererseits auch nicht. Wenn Licht auf die gelben Legos fällt, passiert etwas anderes, als wenn es auf rote, blaue oder grüne trifft. Aus dem Lichtstrahl wird ein bestimmter Teil des Lichts »weggefressen« oder – wissenschaftlich ausgedrückt – herausgefiltert. Die gelben Legosteine mögen den blauen Teil des Lichts und filtern ihn heraus, die roten dagegen mögen lieber den grünen. So bedienen sich die verschiedenen Steine mit ihren eigenen Vorlieben aus dem breiten Spektrum des Lichts. Das liegt daran, dass sie eben doch nicht aus ganz genau demselben Material sind, dass sie geringfügig unterschiedliche Oberflächen haben. Licht und Material arbeiten hier so genial zusammen, dass wir Legosteine in unterschiedlichen Farben sehen.
Eine Menge Wesen in unserer Welt erleben dieses Zusammenspiel von Licht und Material allerdings gar nicht. Stiere zum Beispiel. Die roten Tücher, mit denen man sie reizt, könnten genauso gut blau sein. Stiere können Farben nicht unterscheiden. Das menschliche Auge und unser Gehirn müssen als letzte Mitspieler antreten, damit das Farbenschauspiel stattfinden kann.
Die lichtempfindliche Netzhaut unseres Auges besteht aus mehr als 100 Millionen Sinneszellen: Die »Stäbchen« sind für hell und dunkel zuständig. Weil wir sie haben, können wir zwar auch noch in der Dämmerung sehen, aber nicht farbig. Dazu brauchen wir die »Zäpfchen«, die für das Farbsehen verantwortlich sind. Durch kleine Unterschiede in ihrer Zusammensetzung sind sie rot-, grün- oder blauempfindlich. Mit ihnen kann unser Gehirn unzählige Farbtöne sozusagen »anmischen«. Trifft nun eins der winzigen Lichtteilchen, von der Oberfläche eines Gegenstands reflektiert, auf unsere Netzhaut, geht es dort rund: Irrsinnig schnell wird eine Botschaft erstellt, ein Nervenimpuls, der an unser Gehirn geschickt wird. Und unser Gehirn speichert daraus die Nachricht: gelbes Legoteilchen – oder blau-weißer Fanschal oder pinkfarbene Puppe.
Und damit Ende der Vorstellung. Augen zu. Licht aus!