Brutale Menschenhändler zwingen Kinder zu rauben und zu stehlen – auch bei uns in Deutschland
Ioanna und Radu heißen die beiden Kinder, die in dem Film Paulas Geheimnis in Hamburg auf Raubzüge gehen und dabei auch Paulas Tagebuch erbeuten. Wenn sie gerade nicht stehlen, hausen sie in einem verrotteten Lagergebäude – und werden von ihren Bewachern jeden Tag mit Gewalt zum Klauen gezwungen. Kann so etwas wirklich passieren, in Deutschland, wo alle Kinder die Schule besuchen müssen, bis sie 14 Jahre alt sind? Wo es aufmerksame Polizisten gibt und Jugendämter, die verloren gegangenen oder von zu Hause ausgerissenen Kindern helfen? In Deutschland, wo es nicht einmal erlaubt ist, einem Kind eine Ohrfeige zu geben, und natürlich erst recht nicht, es brutal zu misshandeln?
Die Antwort lautet leider: Ja. Das liegt daran, dass es Menschen gibt, denen Gesetze und das Wohlergehen von Kindern ganz egal sind. Und daran, dass in manchen Ländern eine so unvorstellbare Armut herrscht, dass Eltern dort ihre Kinder an Menschenhändler verkaufen.
Ein solches Land war lange Zeit Rumänien – daher stammen im Film auch Radu und Ioanna. Vor zehn Jahren nahm die Polizei in Berlin eine Bande von Erwachsenen fest, die genau das wirklich getan hatten, was in Paulas Geheimnis beschrieben wird: Mehr als 80 Kinder hatten sie ihren rumänischen Eltern abgekauft oder aus Waisenhäusern geholt. In Berlin hielten sie die Kinder in viel zu kleinen Wohnungen gefangen. Erwachsene Taschendiebe brachten ihnen bei, wie man Fußgänger in Einkaufsstraßen oder Kunden in Kaufhäusern bestiehlt. Dann mussten die Kinder zur „Arbeit“ gehen: Wer weniger als 500 Euro am Tag zusammenklaute, wurde schrecklich bestraft. Erst als zwei der Kinder sich zur Polizei flüchteten, weil sie so viel Angst vor ihren Bewachern hatten, flog die Bande auf und die Schuldigen kamen ins Gefängnis.
Wie aber können Eltern es überhaupt fertigbringen, ihre Kinder wegzugeben, selbst wenn sie noch so arm sind? Ein Teil von ihnen hofft vielleicht, die Kinder würden ordentlich behandelt und hätten in einem fremden, reichen Land eine bessere Zukunft. Ein Teil ist wahrscheinlich einfach verzweifelt.
Gerade in Rumänien gibt es aber auch eine schlimme Tradition der Kinderarbeit: Schon immer mussten Kinder hier fast wie Sklaven auf den Feldern schuften. Viele Jahre lang herrschte in dem Land außerdem ein Diktator, der Eltern ihre Kinder wegnehmen und diese in Waisenhäuser sperren ließ, wenn er der Meinung war, die Eltern wären für die Erziehung nicht geeignet. Um diese Waisenkinder kümmerte sich aber auch niemand anders so richtig, und so waren sie eine leichte Beute für die Menschenhändler.
Seit 2007 ist Rumänien ein Mitglied der Europäischen Union (EU), wovon sich das Land viele Vorteile erhofft. Die EU ist ein Zusammenschluss aus 27 Ländern, zu denen auch Deutschland, Frankreich und England gehören. Eine Bedingung dafür, dass Rumänien dieser Gruppe beitreten durfte, war die, dass das Land sich besser um seine Kinder kümmern und den Menschenhandel bekämpfen muss. Richtig gut gehe es den Kindern in Rumänien immer noch nicht, berichten Journalisten, die das Land genau kennen. Ein Schicksal wie das der echten Kinder aus Berlin, wie das der erfundenen Kinder Ioanna und Radu aus Hamburg, ist also immer noch nicht ausgeschlossen. Aber immerhin können die anderen europäischen Länder jetzt schärfer auf die rumänische Regierung aufpassen. Und dem Land vielleicht dabei helfen, mehr nützliche Dinge zu produzieren und zu verkaufen. Dann gäbe es dort mehr Arbeit, weniger Armut – und Kinder wären nicht länger eine Ware.
Susanne Gaschke