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Ausgeflogen

 

© Jens Bonnke

Im Reichstag in Berlin, dort, wo das Parlament tagt, ist Sommerpause. Die Flure und der große Saal sind leer. Einer aber bleibt immer da – und manchmal bekommt er Besuch

Von Hauke Friederichs

Jetzt ist der silberne Bundesadler ganz allein im großen Saal des Bundestages in Berlin. Dort, wo sich sonst das Parlament versammelt, blickt der große Vogel nun auf die leeren Tribünen, auf die verwaisten Sessel der Abgeordneten und auf die unbesetzten Arbeitsplätze der Stenografen. Sonnenstrahlen dringen durch die gläserne Kuppel, die den Saal überspannt. Alles ist still. Draußen klettert das Thermometer in Richtung 30 Grad. Auf der Wiese vor dem Reichstag sonnen sich Berliner und Touristen. Meist ist in dem großen Gebäude, wo das Parlament tagt, richtig viel los. Die Abgeordneten, die sich hier zu den Sitzungen treffen, sind vom Volk gewählt und kommen aus dem ganzen Land: aus Norden, Süden, Osten und Westen, aus kleinen Dörfern und aus großen Städten.

Ganz unterschiedliche Berufe haben sie, manche sind alt, manche jung. Sie sollen das deutsche Volk vertreten (deshalb nennt man sie auch »Volksvertreter«), weil ja nicht 80 Millionen Menschen gemeinsam darüber diskutieren können, welche Politik sie wollen. Die Abgeordneten entscheiden zum Beispiel darüber, wie viel Geld Arbeitslose und Rentner bekommen oder wo auf der Welt deutsche Soldaten eingesetzt werden.

Seit dieser Woche ist der Plenarsaal (so nennt man den großen Raum, in dem die Abgeordneten zusammenkommen) meist leer. Auf der Bank der Bundesregierung nimmt niemand Platz. Das Rednerpult bleibt unbenutzt. Und auch vom Präsidenten des Bundestages und seinen Mitarbeitern, die sonst direkt vor dem Adler sitzen, ist nichts zu sehen.

Denn in Berlin hat die politische Sommerpause begonnen. Vom 12. Juli bis zum 10. September finden keine Sitzungen des Parlamentes statt. Fast alle Abgeordneten sind nach Hause in ihre Wahlkreise gefahren. Auch viele Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung haben Urlaub – etwa die Stenografen. Sie schreiben sonst während der Debatten jedes Wort mit, das die Redner sagen. Viele Saaldiener machen ebenso frei. Im Dienst tragen sie Frack oder Kostüm und unterstützen den Bundestagspräsidenten, damit im Saal alles geordnet abläuft. Jetzt dürfen sie mal Shorts anziehen.

Und auch viele Beamte der Bundestagspolizei nutzen die Sommerpause zum Entspannen. Dennoch bleibt der große Adler, der aus 2,5 Tonnen Aluminium geformt ist, nicht ganz allein. Im leeren Plenarsaal sind plötzlich Stimmen zu hören. Eine Gruppe Gäste geht die Treppen auf einer der Tribünen hinab. Ein Mitarbeiter des Besucherdienstes erklärt ihnen, wie der Bundestag arbeitet. Wahrscheinlich erzählt er auch, dass der Adler, der in ähnlicher Form schon früher in der alten Hauptstadt Bonn im Plenarsaal hing, den Spitznamen »fette Henne« trägt (was der Vogel großzügig überhört).

Vor allem Kinder, für die es eigene Führungen am Wochenende gibt, wollen immer viel wissen. »Ihre Fragen sind die allerschönsten«, sagt Kay Wahlen vom Besucherdienst. So fragte einmal eine Schülerin, ob Hunde in das Reichstagsgebäude dürfen. Ja, das dürfen sie, lautete die Antwort – aber nur, wenn die Hunde zum Beispiel einem Blinden bei der Orientierung helfen. Bei mancher Führung in der Sommerpause dürfen Kinder sich auf die Tribüne setzen und ein Bild malen. Eines der Lieblingsmotive ist der Adler, der auf den Plenarsaal aufpasst.

Diesmal wird nicht gemalt. Die Gruppe geht weiter, sie will noch mit dem Fahrstuhl direkt unter die gläserne
Kuppel fahren. Von dort schauen sich jedes Jahr drei Millionen Deutsche und Touristen aus der ganzen Welt den Saal des Parlaments von oben an. »Die meisten Besucher kommen in den Sommermonaten. Dann stehen sehr viele Menschen in der Schlange«, sagt Birgid Aschinger, die Chefin des Besucherdienstes. »Für uns ist das also das Gegenteil von Sommerpause.«

Auch die Politiker faulenzen nicht acht Wochen lang herum. Der Abgeordnete Kai Wegner von der Partei CDU nutzt die Zeit zum Beispiel, um Aktenstapel abzuarbeiten, und er will liegen gebliebene Briefe beantworten. In den Sitzungswochen bleibt ihm dafür wenig Zeit. »Sonst rennt man von Besprechung zu Besprechung, eilt zu Abstimmungen – Muße zum Nachdenken hat man kaum«, sagt Wegner. Da er aus Berlin kommt, arbeitet er fast täglich in seinem Bundestagsbüro. Wegner nutzt die Zeit aber auch zu einer Tour durch seinen Wahlkreis, besucht Firmen oder Kinderspielplätze. Zwei Wochen macht er Urlaub mit der Familie – da hat er endlich mal Zeit, um mit seinem Sohn Fußball zu spielen.

Agnieszka Malczak, die mit 25 Jahren zu den jüngsten Abgeordneten zählt, hat sich für die Sommerpause viel vorgenommen. Neben der politischen Arbeit für ihre Partei Bündnis 90/Die Grünen möchte sie ihren Universitätsabschluss voranbringen. Sie wird nicht nur im Berliner Büro, sondern auch viel in der Bibliothek sitzen. Ein bisschen Abwechslung sollen Reisen bringen. »Ich will nach Japan und vielleicht nach Afghanistan «, sagt die Verteidigungspolitikerin. »Das ist aber dann beruflich.«

Reisen wird auch Olaf Scholz viel. Denn der Abgeordnete ist Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei, der SPD, und Landesvorsitzender in Hamburg. Er pendelt deswegen häufig mit dem Zug zwischen Hamburg und Berlin – auch in der Sommerpause. Viel freie Zeit bleibt da nicht. Scholz gönnt sich eine Auszeit von zwei Wochen. »Ich bin im Urlaub aber – wie die meisten Abgeordneten – für meine Mitarbeiter zu erreichen, falls etwas Wichtiges anliegt«, sagt Scholz. Wenn kein Anruf stört, geht er mit seiner Frau wandern und joggen.

Den Bundestagsadler sehen die drei Politiker und die anderen Abgeordneten erst Mitte September wieder. Es sei denn, es passierte etwas ganz Wichtiges und Unerwartetes, und alle Parlamentarier würden zu einer Sondersitzung gerufen. Dann müssen sie nach Berlin eilen. Schließlich vertreten die Abgeordneten das Volk – auch in der Sommerpause.

Doch der Bundestag steht nicht nur großen Besuchern offen. Auf der Seite der Kuppelgucker könnt Ihr Euch schon auf Euren Besuch in Berlin einstimmen.

Außerdem gibt es spezielle Kindertage, an denen es ausschließlich Führungen für Schulklasse und Kindergruppen gibt. Die nächsten Kindertage finden am 13. September, 29. November und 20. Dezember 2010 in der Zeit von 8 bis 14 Uhr statt. Auch außerhalb dieser Tage könnt Ihr das Parlament besichtigen. Wenn Ihr eine Kinderführung haben möchtet, solltet Ihr Euch aber vorher hier anmelden.