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Die Gewalt erreicht die „Blumenstadt“

 

Nichts ist so alt wie der Blogeintrag von gestern. Nakuru ist mitnichten ruhig geblieben. Ich sitze inzwischen wieder in Nairobi, also beruht dieser Nachtrag auf Telefonaten mit Nothelfern in Nakuru und lokalen Presseberichten: In der Nacht von Samstag auf Sonntag eskalierten trotz Ausgangssperre die Kämpfe zwischen ethnischen Gangs und Bürgerwehren. Am Sonntag Morgen zählte man in den Leichenschauhäusern von Kenias viertgrößter Stadt über 50 Tote. Darunter befand sich, so heißt es in der kenianischen Tageszeitung „Daily Nation“ ein katholischer Priester, der von Jugendlichen gesteinigt worden ist.

In der Nacht war es offenbar zu einer Kette von Rachemorden gekommen. Kaum wurden irgendwo Leichen von Angehörigen der Kikuyu entdeckt (oder ein entsprechendes Gerücht in Umlauf gebracht), gingen Kikuyu-Gangs mit Buschmessern und Benzin auf die Häuser von Angehörigen der Kalenjin los – und umgekehrt. Die Polizei war völlig überfordert, und konnte sich nachts auch nicht auf die Armee-Hubschrauber verlassen, die am Tag über Nakuru kreisen und Brandherde melden.

Am Sonntag morgen beruhigte sich die Lage in Nakuru. Dafür gingen laut BBC und kenianischen Medien 60 Kilometer weiter südlich in Naivasha jugendliche Kikuyu auf Angehörige der Luo los, jener Ethnie, der auch Oppositionsführer Raila Odinga angehört. Vorläufig ist von neun Toten die Rede – einige der Opfer sollen in ihren Häusern verbrannt worden sein. Naivasha ist ein Tourismus-Ort und Kenias „Blumenhauptstadt“, hier werden Schnittblumen für den europäischen Markt produziert. Bis auf weiteres dürfte der Export zum Erliegen kommen: In den Gärtnereien haben nun Vertriebene Zuflucht gesucht.

Wie Nakuru liegt auch Naivasha an der Hauptverkehrsstraße zwischen Nairobi und dem Nordenwesten Kenias. Die ethnischen Kämpfe, die einen anderen Charakter und Hintergrund haben als die Gewalt in Nairobis Slums, sind damit bis auf 90 Kilometer an die Hauptstadt herangerückt. Die politischen Kontrahenten Mwai Kibaki und Raila Odinga scheint das nicht weiter zu beeindrucken. Nachdem beide Seiten im Wahlkampf die ethnischen Ressentiments massiv geschürt hatten, macht nun keiner Anstalten, die eigenen Anhänger zur Besinnung zu bringen.

Ob und wieviel Einfluss sie noch auf die Mobs haben, ist eine andere Frage. Aber sie versuchen es nicht einmal. Was nur zwei spekulative Schlüsse zulässt: Entweder diktieren auf beiden Seiten nurmehr die Hardliner das Geschehen. Oder Kenias politische Elite hat schlicht nicht begriffen, in welch dramatischer Lage sich ihr Land befindet.