Langsam, ganz langsam füllt sich der Zellenblock des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) in Den Haag. Gestern traf der dritte Untersuchungshäftling ein: Mathieu Ngudjolo Chui, ein ehemaliger Kriegsherr aus dem Bezirk Ituri im Nordosten des Kongo. In der Anklageschrift, die vom Gericht noch bestätigt werden muss, werden Ngudjolo Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – darunter Rekrutierung von Kindersoldaten, sexuelle Versklavung und Angriffe gegen die Zivilbevölkerung. Ngudjolo war Stabschef der „Front für Nationale Integration“ (FNI), einer überwiegend aus Angehörigen der Lendu bestehenden Miliz. Deren Krieg gegen bewaffnete Gruppen der Hema fielen zwischen 1999 und 2003 mindestens 50.000 Menschen zum Opfer.
Beim Hofgang im Den Haager Gefängnis kann sich Ngudjolo nun mit einem ehemaligen Erzfeind unterhalten. Thomas Lubanga, ehemals Chef der gegnerischen Hema-Milizen, sitzt seit März 2006 in Den Haag, angeklagt der Rekrutierung von Kindersoldaten. Sein Prozess, der erste des IStGh überhaupt, soll am 31. März beginnen. Beobachter rechnen allerdings mit weiteren Verzögerungen.
Im Fall Ngudjolo sind vor allem seine Biografie und die Umstände seiner Auslieferung ungewöhnlich. Im Oktober 2003, als der Krieg zwischen Hema und Lendu beendet war, wurde Ngudjolo von UN-Blauhelmen verhaftet, von der Regierung in Kinshasa der Kriegsverbrechen beschuldigt und ins berüchtigte Makala Gefängnis von Kinshasa verlegt. Dort brach er aus, tauchte 2005 wieder in Ituri auf, um prompt eine neue Rebellentruppe zu gründen – dieses Mal mit dem klangvollen Namen „Kongolesische Revolutionäre Bewegung“ (MRC).
Offiziell war der Krieg in Ituri zu diesem Zeitpunkt längst beendet, und die immer wieder auftauchenden neuen Milizen durfte man eher unter der Rubrik „Karrieresprung für Banditen“ verbuchen. Denn nur wer schießt, plündert und raubt, so die traurige Lehre aus den Kongo-Kriegen, hat Aussicht, sich in „Friedensverhandlungen“ einen hohen Regierungs- oder Armeeposten zu ergattern. Und tatsächlich ging die Regierung in Kinshasa mit diversen Anführern im Dezember 2006 einen Deal ein: Schluss mit den Raubzügen, als Gegenleistung sollte das Fußvolk der Rebellen entweder demobilisiert oder in die nationale Armee integriert, die Rebellenführer selbst mit hohen Offiziersrängen ausgestattet werden. So wurde aus dem Kriegsherrn und Gangster Mathieu Ngudjolo Choi ein Oberst der kongolesischen Armee. Es hatte, so schien es, genau das bekommen, was er wollte.
Im November 2007 rückte Ngudjolo zusammen mit zwei anderen ehemaligen Warlords, Cobra Matata und Peter Karim, in Kinshasa zur militärischen Fortbildung ein. Was er zu diesem Zeitung noch nicht wusste: Seit Juli 2007 lag in Den Haag ein versiegelter Haftbefehl gegen ihn. Man kann vermuten, dass der Ankläger beim IStGh, der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, den Haftbefehl auf Wunsch der Regierung in Kinshasa und der UN-Mission im Kongo einige Monate ruhen ließ, um die Entwaffnung der Milizen nicht zu gefährden. Am 7. Februar machte der IStGh den Haftbefehl öffentlich. Wenige Stunden später saß Ngudjolo in Handschellen in einem Flugzeug nach Den Haag.
Seine Kollegen Matata und Karim dürften derzeit also ziemlich nervös in ihren Kasernen in Kinshasa sitzen – obwohl bislang nichts daraufhin deutet, dass auch gegen sie Haftbefehle vorliegen. Kongolesische Menschenrechtsaktivisten haben Ngudjolos Festnahme natürlich begrüßt. Und Human Rights Watch, deren Kongo-Berichte einiges zu den Gerichtsermittlungen beigetragen haben, fordert nun die kongolesische Regierung auf, Matata und Karim wegen Kriegsverbrechen vor ein nationales Gericht zu stellen. Da allerdings tauchen zwei Probleme auch: Kongos Strafjustiz ist nur punktuell funktionstüchtig. Und wenn Matata und Karim tatsächlich auf der Anklagebank landen sollten, könnte das auch Folgen für hohe Regierungsmitglieder im In-und Ausland haben. Einer der ehemaligen Unterstützer der FNI in Ituri, Mbusa Nyamwisi, ist heute Außenminister des Kongo. Und zu ihren wichtigsten militärischen Komplizen zählte seinerzeit die ugandische Armee, deren höchste Offiziere den Krieg nach Kräften nutzten, um Rohstoffe in Ituri zu plündern. Womit man dann schon nahe an der Familie des ugandischen Präsidenten Museveni ist.
Einen solchen Drang zur Aufklärung werden vermutlich kein kongolesischer Staatsanwalt und kein Gericht verspüren. Aber Moreno-Ocampo, der Chefankläger des IStGh, hat erneut versprochen, sich endlich den Hintermännern und Finanziers dieses Krieges zu widmen. Man darf gespannt sein, ob in seinen Kongo- Akten irgendwann auch ein Haftbefehl gegen einen amtierenden Minister auftaucht. Dann wird die Frage der Festnahme wirklich spannend.