Skeptischer Optimismus und ein großes Kompliment. Damit lässt sich wohl am besten die gute Nachricht aus Kenia kommentieren: Präsident Mwai Kibaki und sein Erzrivale, der Oppositionsführer Raila Odinga, haben ein Koalitionsabkommen unterzeichnet. Kibaki, dessen dreiste Manipulation der Präsidentschaftswahlen im Dezember einen Ausbruch der Gewalt provoziert hatte, bleibt Präsident. Odinga, dessen Anhänger eine Kampagne der Vertreibung gegen vermeintliche oder tatsächliche Kibaki-Anhänger betrieben hatten, soll Premierminister werden. Als die beiden am Donnerstag vor laufenden Kameras ihre Unterschrift gaben und sich anschließend mit Haifischlächeln die Hand reichten, stürmten Menschen in Nairobi auf die Straße, um zu feiern. Was von der Polizei in üblicher Manier mit Tränengas gestoppt wurde.
Dabei verleitet es eigentlich nicht zu freudigem Beifall, dass nun ausgerechnet die beiden Männer das Land regieren sollen, die es in den vergangenen Monaten beinahe zugrunde gerichtet hätten. Aber es ist unter den gegeben Umständen die einzig denkbare Option. Neuwahlen waren angesichts der angespannten Lage undenkbar. Der Versuch die Stimmen neu auszuzählen, hätte wohl ebenfalls die Gewalt wieder angefacht.
Dass der Kompromiss überhaupt zustande gekommen ist, verdanken die Kenianer vor allem einem Mann: Kofi Annan, Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen und neben Nelson Mandela wohl eine der größten Respektpersonen auf dem afrikanischen Kontinent. Annan hatte seine Vermittler-Mission Mitte Januar angetreten, als die blutigen Kämpfe noch anhielten. Als erstes verpflichtete er beide Seiten auf einen „Vier-Punkte“-Plan: sofortiges Ende der Gewalt; humanitäre Versorgung der Flüchtlinge, deren Zahl inzwischen auf über eine halbe Million geschätzt wird; politische Lösung des Streits um das umstrittene Wahlergebnis; Reform der Verfassung, staatlicher Institutionen und Aufarbeitung der jahrzehntelangen Landkonflikte.
Die Gewalt war Ende Januar langsam abgeebbt. Teils, weil lokale Dorfräte, Politiker und Medien zur Ruhe aufriefen. Teils, weil Odinga-Anhänger, die hauptsächlich den Ethnien der Luo, Kalenjin und Massai angehören, ihr Ziel erreicht hatten: die Vertreibung der Kikuyu aus dem Westen des Landes, dem fruchtbaren Rift Valley. Aus der Gruppe der Kikuyu rekrutiert sich seit der Unabhängigkeit Kenias die politische und wirtschaftliche Elite des Landes. Ihr gehört auch Kibaki an.
Was die humanitäre Hilfe betrifft, so profitiert Kenia von einem exzellent organisierten Roten Kreuz, einer sehr engagierten Zivilgesellschaft. Das ändert allerdings wenig daran, dass die Flüchtlingslager überfüllt sind und die meisten Vertriebenen eine Rückkehr in ihrer Heimatregionen ausschließen. Die ethnischen Säuberungen haben Fakten geschaffen, die das Land wohl auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verändert haben.
Damit ist man bei Punkt drei, den Annan nun abhaken kann – allerdings nur mit Bleistift. Denn was Kibaki und Odinga da am Donnerstag in Nairobi unterzeichneten, ist eine Verpflichtung zur Koalition, deren Details nach wie vor umstritten sind. Den Posten eines Premierministers gibt es in Kenia bislang nicht, die Macht liegt laut Verfassung beim Präsidenten. Vor allem Kibakis „Partei der Nationalen Einheit“ (der Name ist hier alles andere als Programm) hatte bis zuletzt versucht, einen substanziellen Kompromiss zu sabotieren. Bereits erfolgte Zugeständnisse wurde am nächsten Tag zurückgezogen, Vertragsformulierungen eigenmächtig geändert. All das mit dem Ziel, dem neuen Amt eines Premierministers möglichst keine Exekutivmacht zu überlassen. Am Dienstag war die Stimmung zwischen beiden Delegationen dann so aggressiv geworden, dass Annan die Gespräche aussetzte und in der kenianischen Presse bereits ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet wurde.
Offensichtlich mit massiven Druck seitens der Afrikanischen Union, der EU und vor allem der USA gelang es dem Ghanaer dann, Kibaki und Odinga persönlich an den Verhandlungstisch zu holen und vor allem ersteren zur Unterschrift zu bewegen.
Womit man bei Punkt vier des Annan-Plans angelangt wäre. Die Reform der kenianischen Verfassung und staatlicher Institutionen, vor allem des Justizsektors, ist überfällig. Denn Hauptursache des jüngsten Gewaltausbruchs ist nicht der inter-ethnische Hass. Der dient, wie so oft, als Brandbeschleuniger. Hauptursache sind jahrzehntelange Landkonflikte und eine Verfassung, die fast alle Macht der Zentralgewalt in Nairobi garantiert. Beide Probleme reichen bis in die britische Kolonialzeit und die ersten Jahre der Unabhängigkeit zurück. Und beide Probleme münden nun in einen klassischen Konflikt um die Frage: Wie viel Macht gebührt der Hauptstadt? Wie viel den Provinzen? Wer verteilt den Reichtum des Landes? Und wer kann ein Ende der schamlosen Klientelwirtschaft erzwingen, die politische Loyalität und ethnische Zugehörigkeit belohnt, nicht aber Eigeninitiative und rechtstaatliches Verhalten?
Diese Konflikte werden Kenia in den nächsten Jahren weiterbeschäftigen und immer wieder an den Rand einer Zerreißprobe bringen. Annans Vermittlung hat jetzt immerhin die Chance eröffnet, dass dieser Kampf mit friedlichen Mitteln weitergeführt wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Aus lauter Dankbarkeit beginnen jetzt Wildschützer in Nationalparks, neugeborene Tiere nach Annan, den Friedensstifter zu benennen. irgendwo in Kenia läuft jetzt ein kleines Rhinozeros namens Kofi durch die Savanne. Kein schlechtes Denkmal für sechs Wochen beinharte Arbeit zwischen zwei viel größeren Nashörnern.