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Sprechstunde bei Rechtsanwalt Ngongo

 

Der Kampf gegen die Straflosigkeit – das schreibt sich im Kongo nicht nur fast jede Hilfsorganisation sondern auch der Großteil der ausländischen Geldgeber auf die Fahne. Das Ziel: Korruption, sexuelle Gewalt, polizeiliche Willkür und Plünderungen müssen endlich geahndet werden. „Kommen Sie doch einfach mit in die Sprechstunde“, hatte Rechtsanwalt Ngongo gesagt. „Dann sehen Sie, wie es hier zugeht.“

Jean Paul Ngongo leitet das Büro von Vovolib, einer kleinen Bürgerrechtsorganisation in Bukavu. Vovolib steht für „Voix des sans voix et liberté“, Stimme derer ohne Stimme und Freiheit. Einigen Behörden ist sie zu laut und zu kühn, weshalb häufiger Polizisten in Ngongos Büro stehen und ihm die Schließung androhen, weil die „Stimme“ mal wieder öffentlich über Schmiergelder, Behördenwillkür und das marode Gerichtssystem geschimpft – oder, schlimmer noch: Anzeige erstattet und Namen genannt hat. Was lebensgefährlich sein kann.

Ich kenne Ngongo von einem Besuch im vergangenen Sommer. Damals war wenige Tage vor unserem Treffen im Juni 2008 eine Mitarbeiterin von Vovolib ermordet worden – nach Zeugenaussagen von Soldaten einer in Bukavu stationierten Brigade. Wabiwa Kabisuba hatte für Vovolib vergewaltigte Frauen betreut, darunter auch eine, die gegen den Täter, einen Offizier, Anzeige erstatten wollte. Kabisuba begleitete sie zur Polizei und zum Gericht. Das, so glaubt Jean-Paul Ngongo, sei seiner Kollegin zum Verhängnis geworden. „Wurden die Täter inzwischen verhaftet?“ frage ich. Ngongo lächelt nachsichtig und schüttelt den Kopf. „Wird ermittelt?“ „Nicht wirklich.“ Das Verfahren, so glaubt er, werde im Sande verlaufen.

Also nichts Neues aus den morschen Hallen kongolesischer Gerichte? „Na ja“, sagt Ngongo, ein paar Fortschritte gebe es schon.

Seine Organisation hat sich vergrößert, betreibt neben Rechtsberatung und Internet-Café jetzt auch ein Radio-Programm. Radio Vovolib sendet aus einem sechs Quadratmeter kleinen, muffigen Studio jeden Tag neun Stunden auf 94,0 FM. Vorausgesetzt, es gibt Strom. Hip Hop, neue Korruptionsfälle, kongolesischer Rumba, Neuigkeiten aus dem Gericht, Live-Gespräche mit Hörern, die Dampf ablassen wollen, zur Entspannung ein paar Schnulzen von Koffi Olomide, immer noch die Samtstimme der kongolesischen Musikszene.

Seit Radio Vovolib auf Sendung ist, kommen immer mehr Leute in Ngongos Sprechstunde. Noella Cinama ist die erste an diesem Tag, zum neunten Mal ist sie hier, sie will den Mann, der sie vor anderthalb Jahren vergewaltigt und geschwängert hat, vor Gericht sehen. So viel Sturheit überrascht selbst Ngongo. Seine Mandantin wohnt in Kabare, über zwanzig Kilometer entfernt. „Wenn sie kein Geld fürs Sammeltaxi hat, kommt sie sogar zu Fuß.“ Seit der Vergewaltigung, sagt sie, werde sie daheim behandelt, als hätte sie die Cholera. Sie will einen Prozess, will den Täter, einen Mann aus ihrer Nachbarschaft, ins Gefängnis bringen, zumal der sich einen Dreck um das Kind kümmere, das er ihr gemacht habe. Sie hat von ersten Urteilen gegen Vergewaltiger gehört, sogar der Bruder des ehemaligen Polizeichefs sei doch schon im Gefängnis gelandet. Warum soll in ihrem Fall nicht ähnliches gelingen.

Weil die Ermittlungsakte, die man sich hier bestenfalls als ein eng beschriebenes Stück Papier vorstellen darf, seit Monaten auf irgendeinem Schreibtisch der Staatsanwaltschaft herum liegt, schlägt Ngongo vor, direkt bei Gericht eine Vorladung des Tatverdächtigen zu beantragen. Das wird ein paar Dollar kosten, nicht für den Anwalt, sondern für diverse Bearbeitungsgebühren offizieller und inoffizieller Art. Frau Cinama bedankt sich, macht sich wieder auf den Weg nach Hause.

Der nächste bitte. Mama Massiri, eine kleine sehnige Frau mit adrettem gold grünem Turban, setzt sich auf die Stuhlkante. Aus Kamituga ist sie gekommen, 120 Kilometer südlich von Bukavu. Ihr Mann sei daheim wegen eines Streites um eine gestohlene Schlafmatte zusammen mit drei anderen festgenommen worden, habe als einziger die 50 Dollar „Freilassungsgebühr“ nicht aufbringen können, weswegen ihn der zuständige Richter in Kamituga wegen Diebstahls für zwei Jahre ins Zentralgefängnis von Bukavu geschickt hat, was seiner Tuberkulose gar nicht gut tue. Der Richter habe aber immerhin erklärt, sagt Frau Massiri, dass er das Urteil gegen Übergabe von einem Kilo Gold, aufheben könne.

Wo denn die Gerichtsakte sei, will Anwalt Ngongo wissen. Die sei verschwunden, sagt Frau Massiri. Ngongo lacht, als stehe er kurz vor einem hysterischen Anfall. „Madame, wir werden morgen einen Antrag auf Berufung vor dem Tribunal in Bukavu einreichen. Aber das wird dauern. Mindestens zwei Wochen.“ Frau Massiri nickt halb dankbar, halb resigniert, weil zwei Wochen für einen Tuberkulose-Kranken in einem Gefängnis, wo es kein sauberes Trinkwasser und nur selten Nahrung gibt, eine tödlich lange Zeit sein können.

Der Nächste bitte. Pastor Chikawanine aus Kalenge zieht den Schirm seiner Baseballmütze wie eine Gebetskette durch die Finger. Der Pastor hat eigentlich kein rechtliches, sondern ein finanzielles Problem. Kalenge liegt in einem Gebiet, das von Hutu-Milizen der FDLR kontrolliert wird. Seit einem Massaker der FDLR vor vier Jahren, so der Pastor, gebe es dort viele Waisen. Er habe ein Heim für die Kinder eröffnet, samt Schule, aber es fehle an Betten, Geschirr, Schuluniformen, Büchern, Tafeln, Kreide, Stuhlen, Tischen. Also so ziemlich an allem. Er hoffe auf eine größere Spende von Vovolib. Ich weiß nicht, ob man dem Mann glauben soll. Ngongo jedenfalls hält ihn für vertrauenswürdig.

Er und der Pastor machen eine Weile Small Talk. Dann sagt Ngongo: „Es tut mir leid, Pastor, wir haben im Moment kein Geld zu vergeben.“ Schweigen. Ngongo spielt mit seinem Handy, der Pastor mit seiner Baseballmütze. „Pastor“, sagt Ngongo in einem zweiten Versuch, das Gespräch zu beenden, „wir bleiben in Kontakt, okay?“ Schweigen. Ngongo tippt ein paar Notizen in seinen Laptop. „Wissen Sie, Herr Anwalt, wir haben nicht mal Schulhefte“, sagt der Pastor zum Abschied.

Das sei der Nachteil der Massenmedien, sagt Ngongo später. „Wenn die Leute Deine Stimme im Radio hören, denken sie sofort, Du hast viel Geld.“ Was für kongolesische Verhältnisse stimmt – und auch wieder nicht. Bislang unterstützte die Schweizer Regierung das Büro von Vovolib, doch die Förderung, sagt Ngongo, laufe in diesem Jahr aus, und er müsse neue Geldgeber suchen. Die Ausgaben werden ja nicht weniger.

Neulich hätten er und eine Kollegin eine hochschwangere Frau in einem Vergewaltigungsprozess vertreten, pro bono, also unentgeltlich. Als nach dem ersten Verhandlungstag die Wehen einsetzten, habe die Mandantin ziemlich rabiat verlangt, „dass wir die Entbindung bezahlen.“ Was Vovolib auch getan habe. Ein bisschen mehr Dankbarkeit seitens seiner Klienten wäre manchmal schön. „Aber die sind alle total traumatisiert“, sagt er. Und Traumatisierte hätte nun mal keine Zeit für Dankbarkeit.