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News from Kinshasa: Ein deutscher Haftbefehl und seine Folgen

 

Ist das der Anfang vom Ende der FDLR? Seit Dienstag muss die Hutu-Miliz, die seit Jahren die Zivilbevölkerung im Ost-Kongo terrorisiert, ohne ihr Führungsduo auskommen. Ignace Murwanashyaka, der Präsident der FDLR, und sein Stellvertreter Straton Musoni, beide seit Jahren in Deutschland lebend, sind verhaftet und sollen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.  Murwanashyaka wird beschuldigt, von Deutschland aus als Oberbefehlshaber der bewaffneten Truppen im Ostkongo agiert zu haben und „Rädelsführer einer Terrororganisation“ gewesen zu sein. Musoni wird vorgeworfen, ihn in militärischen Angelegenheiten vertreten und beraten zu haben.

‚Es wurde aber auch Zeit!‘ – so kann man die Reaktion des Leiters der UN-Mission im Kongo (MONUC), Alan Doss, beschreiben. Doss bezeichnete die Festnahmen im fernen Deutschland als Schritt in „eine friedlichere Zukunft des Kongo“ und forderte, dass andere Länder, in denen FDLR-Funkionäre Zuflucht gefunden haben, dem deutschen Beispiel folgen.

Mehr noch als in Kinshasa beherrschen die Nachrichten aus Deutschland im Ost-Kongo das Tagesgespräch. Menschenrechtler begrüßen die Verhaftung, fürchten aber eine Eskalation der Gewalt durch den harten Kern der FDLR. Der besteht vor allem aus Mittätern des Genozids 1994 in Ruanda und weiteren jüngeren Kommandeuren, die um ihre Einnahmequellen aus Rohstoffschmuggel und Zwangsarbeit fürchten.

Zweifellos dürfte die Festnahme und Anklage gegen Murwanashyka und Musoni die Truppe nachhaltig schwächen. Die internationalen Medienauftritte Murwanashyakas sind den Fußtruppen im Ost-Kongo immer wieder als Propaganda und als „Beweis“ für die internationale Bedeutung der FDLR vorgespielt worden. Viele der jungen Milizionäre aber, die selbst nicht in den Völkermord in Ruanda verwickelt waren, sind des bewaffneten Kampfes müde. Die Nachricht von der Verhaftung ihrer Chefs könnte eine Welle der Desertionen auslösen – trotz des gut funktionierenden Überwachungssystems innerhalb der FDLR.

Dass deutsche Behörden so lange brauchten, um gegen die beiden FDLR-Führer vorzugehen, ist einer Mischung aus politischer Ignoranz und objektiven juristischen Hürden zuzuschreiben. Der Terror der Hutu-Miliz im fernen Afrika passt nicht in das Schema des „Krieges gegen den (islamistischen) Terror“. Also wurde er politisch lange Zeit unter der Rubrik „unübersichtliche afrikanische Stammeskriege“ abgeheftet. Murwanashyaka bekam im Jahr 2000 sogar politisches Asyl – ein Skandal, den die zuständige Verwaltungsgerichtsbarkeit bis heute nicht behoben hat.

Gleichzeitig war es für Ermittler im Strafverfahren zweifellos schwierig, Zeugen und Beweismaterial gegen Verdächtige zusammen zu tragen, die mehrere tausend Kilometer vom Tatort entfernt agiert haben. Ein erstes Verfahren gegen Murwanashyaka scheiterte 2006 aus Mangel an Beweisen.

Die Nummer drei des Diaspora-Netzwerks der FDLR bleibt nach wie vor unbehelligt. Der Exekutivdirektor der FDLR, Callixte Mbarushimana, lebt seit Jahren in Paris. Im Gegensatz zu Murwanashyaka, der zum Zeitpunkt der Völkermords in Ruanda bereits als Student in Deutschland lebte, steht  Mbarushimana im Verdacht, 1994 selbst gemordet zu haben. Bis auf weiteres übernimmt er jetzt offenbar die Pressearbeit der Miliz. „Es existiert keine Strategie der FDLR, Zivilisten anzugreifen“, erklärte er gegenüber der BBC. Nach Angaben der französischen Behörden gibt es keine Ermittlungen gegen den ruandischen Hutu, der 1994 ausgerechnet als UN-Mitarbeiter dafür gesorgt haben soll, dass sämtliche Tutsi unter seinen Kollegen massakriert wurden.

Für die Zivilbevölkerung im Ostkongo, so steht zu befürchten, wird sich vorerst nicht viel ändern. Selbst wenn die FDLR wie durch ein Wunder in den nächsten Wochen aufgelöst werden sollte, steht den Menschen dort ein alter, neuer Feind gegenüber: die eigene Armee.

Seit Februar verfolgen kongolesische Soldaten die Hutu-Miliz der FDLR, und werden dabei von UN-Blauhelmen unterstützt. Kimia II heisst diese Operation. Der UN-Sonderermittler Philip Alston hat nun mehrere Massaker der Armee in Nordkivu dokumentiert, darunter eines, bei dem im April diesen Jahres rund 50 Zivilisten erschossen oder erschlagen, und mindestens 40 Frauen verschleppt wurden. Einigen gelang die Flucht, sie berichten von Vergewaltigungen und Verstümmlungen. „Manchen“, so Alston, „hatte man Teile der Brust abgehackt.“

Alston, ein australischer Völkerrechtler ist seit 2004 der UN-Sonderberichterstatter für extralegale, massenhafte und willkürliche Hinrichtungen. Er recherchiert Morde und Exekutionen von Paramilitärs in Kolumbien, Polizisten in Brasilien oder Spezialkommandos in Sri Lanka. Im Kongo hat er nun zum ersten Mal Kriegsverbrechen einer Armee ermittelt, die von den UN militärisch unterstützt werden. Die UN reagierte mit der Erklärung, ab sofort jede Unterstützung für jene Armee-einheiten einzustellen, die für das Massaker verantwortlich gemacht werden. Das ändert nur nichts am katastrophalen Fazit von Kimia II.  Auf der Erfolgsseite der Bilanz stehen 1071 entwaffnete FDLR-Kämpfer. Auf der Negativseite 1193 getötete Zivilisten, mindestens 7000 Opfer von Vergewaltigungen und 900.000 Flüchtlinge. Macht pro entwaffnetem Milizionär einen toten Zivilisten, sieben Vergewaltigte und 900 Vertriebene.

Alstons Empfehlungen sind schon hunderte Mal vorgetragen worden, aber deswegen nicht weniger richtig: Straflosigkeit ist die Wurzel des Problems. Soldaten, die wissen, dass sie für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, werden weiterhin Verbrechen begehen. Also braucht es nicht nur die immer wieder geforderte Armee-Reform, sondern auch den Aufbau einer Militärgerichtsbarkeit. Alles leicht gesagt und unendlich mühsam umzusetzen. Aber in Afghanistan hat man diese Lehren immerhin endlich gezogen und investiert entsprechend Geld und Personal. Im Kongo aber hat sich donor fatigue breit gemacht, die gefürchtete Geber-Müdigkeit. Und die meint nicht nur das Geld, sondern auch den politischen Willen.