Seit einer Woche wieder auf Besuch in Kinshasa. Es wird höchste Zeit, sich endlich einmal die Kulturstätten der Hauptstadt anzusehen. Das kongolesische Nationalmuseum liegt auf dem Gelände von Mobutus ehemaligem Amtssitz im Stadtteil Mont Ngaliema. Soldaten öffnen das Tor, nicht ohne vorher ausgiebig den Kofferraum des klapprigen Toyota von Monsieur Vicky, meinem Taxifahrer, zu inspizieren. „Wie wär’ mit einer Spende für eine Cola“, sagt einer, was für einen Mann mit einer Kalaschnikow eine recht bescheidene Forderung ist. „Später“, sagt Monsieur Vicky.
Die Auffahrt zum Museum führt einen Hügel hoch, rechts treibt der Kongo-Fluss Richtung Atlantik, links steht ein haushoher runder Käfig, in dem Mobutu einst Leoparden gehalten haben soll. Sagt Monsieur Vicky im Flüsterton. Monsieur Vicky flüstert immer, wenn wir uns ehemaligen Palästen oder Amtsitzen Mobutus nähern. Monsieur Vicky ist ein gläubiger Christ, was Respekt vor den Geistern der Toten nicht ausschließt. Und da Mobutu nicht in seiner Heimat, sondern im marokkanischen Exil beerdigt worden ist, können seine Geister unmöglich ruhen. Also empfiehlt es sich, die Stimme zu senken.
Das Nationalmuseum hat den Charme eines Werkshofes, über den eine Schar talentierter Graffiti-Sprayer hergefallen ist. Im Hof rosten die Räder alter Lokomotiven und ein Kahn, mit dem seinerzeit Henry Morton-Stanley den Kongo-Fluss entlang fuhr. Offenbar hat sich seit längerem kein Besucher mehr hier blicken lassen, weswegen bei unserem Anblick drei ältere, kleine Herren aus einer Baracke stürzen, um unsere Führung zu übernehmen. Das Rennen macht das Männchen, das sich als „N’kanza Lutayi, secretaire scientifique“, als wissenschaftlicher Sekretär, vorstellt, und uns nun mit Hingabe zu den Schätzen des Museums führt: zuerst zu den verbeulten Aktenschränken, in denen auf 45.000 vergilbten Karteikarten jedes Ausstellungsstück handschriftlich registriert ist. Dann in eine Wellblechhalle mit einer geschätzten Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent, einem geschätzten Staubgehalt von 50 Prozent sowie „12903 Masken von 413 Stämmen“. Sagt Herr N’kanza.
Es sind herrliche, bizarre, wuchtige Holzgesichter, deren verschobene Proportionen an kubistische Bilder erinnern. Angefertigt von Maskenschnitzern der Tetela, Chokwe, Yeka, Kuba und anderen, die Gesichter und Grimassen für alle Sorgen, Riten und Lebenslagen entworfen haben: zur Initiation von Jungen und Mädchen in die Welt der Erwachsenen, zur Beerdigung des Dorfchefs, zur Heilung von Epilepsie, zur Vorbereitung auf Kriegszüge und zur Warnung vor Unglück. In der nächsten Halle lagern hunderte von Speeren und Lanzen, Schildern, Töpfen und Trommeln, dazwischen Pirogen und die Strohwand einer traditionellen Hütte. Dazu Musketen und Säbel, Hinterlassenschaften der europäischen „Entdecker“ und Kolonialherren.
Herr N’kanza präsentiert besonders stolz einen eiförmigen Helm mit der Aufschrift „Garde de Paris“, als wolle er sagen: ‚Seht her, Ihr habt nicht nur von uns geklaut. Wir haben auch Trophäen von Euch.’ Wenn auch sehr rostige. Der Kulturschatz eines ganzen Landes vermodert in dieser nationalen Rumpelkammer. „Wir sind im Krieg gegen Feuchtigkeit und Staub,“ sagt seufzend Herr N’kanza, „aber uns fehlen die Mittel.“
Monsieur Vicky ist unterdessen unruhig geworden. Er befürchtet, dass uns das Beste vorenthalten werden soll. „Fragen Sie nach dem Stuhl von Mobutu“, raunt er. „Irgendwo steht hier der Stuhl von Mobutu.“ Prompt fummelt Herr N’Kanza an seinem Schlüsselbund und öffnet die Tür zum Allerheiligsten, der „Abteilung für Archäologie“. Der Begriff der Archäologie wird im kongolesischen Nationalmuseum offenbar weit gefasst, denn außer einigen Speerspitzen und Tonscherben sind hier auch zu besichtigen: Mobutus Jagdtrophäen, darunter ausgestopfte Köpfe von Hirschen und Zebras; Haushaltswaren und Kitsch aus Europa, darunter Weinkrüge aus dem Badischen, Eierbecher aus Frankreich, Porzellan-Pudel aus England. Mittendrin stehen zwei Stühle. Der Linke ist mit abgeschabtem grünen Samt bezogen, auf der Rückenlehne ist das ehemalige goldene Landeswappen aufgedruckt mit dem Motto „Gerechtigkeit, Frieden, Arbeit“, wovon die Kongolesen seit der Gründung ihres Staates so gut wie nichts gesehen haben. Hier pflegte Mobutus Gattin Platz zu nehmen. Der rechte ist aus schwarzem Ebenholz geschnitzt und mit Leoparden-Fell bezogen. Mobutus „Thron“.
Wir stehen unschlüssig vor dem guten Stück. „Fotografieren verboten“ steht auf einem Schild. Aber Sekretär N’Kanza ist großzügig. „Setzen Sie sich ruhig drauf“, sagt er, was ich mir nicht zwei Mal sagen lasse. Monsieur Vicky tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Als ich aufstehe, springt er mit einem Satz in den Stuhl. „Schnell, ein Foto.“
Monsieur Vicky auf dem Stuhl Mobutus
Siehe da, es sitzt sich gut auf dem Leopardenfell des Diktators. Vicky probiert ein paar Posen, rutscht hin und her, grinst sichtlich überrascht über die eigene Courage. Zum Teufel mit den Geistern Mobutus, dies ist die späte, kleine Rache eines ehemaligen Untertanen. Ich möge ihm beim nächsten Besuch in Kinshasa einen Abzug des Fotos mitbringen, sagt er. So groß wie irgend möglich.