…stelle ich Sophie Miblisi vor. Mitte zwanzig, wohnhaft in Kamituga, ledig, beschäftigt als Klempnerin im städtischen Hospital. Und damit – so nehme ich an – eine der wenigen Frauen, wenn nicht die einzige in der ganzen Provinz Süd-Kivu, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, Rohre zu verlegen und Wasserhähne zu montieren.
Die männlichen Kollegen, sagt Miblisi, hätten etwas Zeit gebraucht, sich an diesen Anblick zu gewöhnen.
Miblisis Geschichte ist ungewöhnlich genug. Sie wurde noch ungewöhnlicher, als ihre Arbeitgeber, die kongolesische Krankenhausleitung und die Mitarbeiter der deutschen NGO Cap Anamur, entdeckten, dass sie Psychologie studiert hat. Weswegen Miblisi plötzlich einen zweiten Job ausübte, als eines Tages im Spätsommer eine Karawane der Überlebenden im Hospital auftauchte – Überlebende des andauernden Krieges gegen Frauen.
Über 40 Mütter, Großmütter, Mädchen, Bäuerinnen, Händlerinnen aus dem Hinterland, alle Opfer von Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten, hatten sich in den Wäldern unweit Kamitugas gesammelt, um gemeinsam im Krankenhaus Hilfe zu suchen. Die meisten waren offenbar Opfer von Hutu-Rebellen der FDLR geworden, hatten zum Teil schwere körperliche Verletzungen und seelische Traumata erlitten. Was genau eine Psychologin macht, war ihnen nicht klar. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich für das hier zuständig bin,“ sagt Miblisi und legt ihre Hand auf ihr Herz. „Und für ihren Kopf, für die Angst und die schlimmen Träume.“
Dann hätte sie einfach angefangen, mit den Frauen zu reden, sie einfach weinen oder beten oder erzählen zu lassen. Von der Vergewaltigung, von den Tätern, von der Schande und der Verachtung oder manchmal auch der Hilfe durch die Dorfgemeinde. „Es ist ja nicht nur der Körper, der leidet,“ sagt Miblisi. Richtige Therapie sei das natürlich nicht gewesen, sie habe wenig Zeit gehabt, denn die meisten Frauen sind nach der medizinischen Behandlung wieder zurück. Und ihr selbst fehle es eben noch an Schulung, an Fortbildung durch erfahrene Therapeuten und Therapeutinnen.
Das Gespräch mit Miblisi fand im Dezember statt. Dass man in Kamituga den Vergewaltigten überhaupt helfen konnte, verdankt sich, wie früher schon berichtet, einem joint venture zwischen Provinzverwaltung, der Hilfsorganisation Cap Anamur und der örtlichen Krankenhausleitung. Innerhalb von gut zwei Jahren hat sich dieses Hospital von einer durch Krieg und Verfall zerrütteten Siechenanstalt in ein funktionierendes Hospital verwandelt – das erste außerhalb der Provinzhauptstadt Bukavu.
Über diese Wiederauferstehung könnten die Mitarbeiter von Cap Anamur inzwischen Romane schreiben. Kleinere Flüchtlingskatastrophen waren zu bewältigen, Dächer zu decken, Bettengestelle neu zu verschweißen. Einen Sack Zement bekommt man im Kongo nicht auf dem Baumarkt, sondern erst nach kompliziertem logistischem Aufwand, die Zollbefreiung ebenso. Die Einstellung eines Krankenwagenfahrers endete zunächst mit der Testfahrt eines Bewerbers an einer neuen Mauer, und der OP-Saal sah bei meinem letzten Besuch im Dezember auch noch renovierungsbedürftig aus.
Aber inzwischen funktioniert die Bezahlung des Personals, die Behandlungskosten sind auf erträgliche Raten gesenkt worden, und das einheimische Chirurgenteam kann Notoperationen durchführen, wenn sich, wie unlängst geschehen, ein Soldat der notorisch schlecht ausgebildeten Armee beim Reinigen des Gewehrs eine Kugel in den Kiefer jagt. Die deutschen Cap Anamur-Ärzte hatten in den ersten Monaten ihres Wirkens so großen Eindruck hinterlassen, dass sich die PatientInnen nur noch von Weißen behandeln lassen wollte. Aber, sagt Gilbert Kibala, Chefchirurg und jüngerer Bruder des Vize-Gouverneurs, „das haben wir den Leuten schnell wieder abgewöhnt.“
Inmitten dieser kleinen und großen Fortschritte gegen alle Widrigkeiten platzen dann wieder Meldungen wie jene mit dem Aktenzeichen NI/OSMR/150210 der UN-Mission im Kongo. Am 12. Februar haben demnach Angehörige der FDLR bei einem Angriff auf das Dorf Bisembe (rund 30 Kilometer von Kamituga) 15 Frauen entführt. Acht konnten fliehen, die sieben anderen wurden ermordet aufgefunden.
Sophie Miblisi hat ihre Fortbildung inzwischen hoffentlich erhalten. An Patientinnen wird es ihr, so steht zu befürchten, in absehbarer Zukunft nicht mangeln. Die Gewalt gegen Frauen im Kongo ist nach wie vor eine Epidemie. Und trotz mühsamer kleiner Erfolge im Kampf gegen die Straflosigkeit gehen die meisten Täter – egal ob Rebellen, Soldaten oder Zivilisten – weiterhin straffrei aus. Das hat wieder einmal die „International Federation for Human Rights“ (FIDH) festgestellt, die anlässlich des Internationalen Frauentags ein lesenswertes Dossier zum Stand der Frauenrechte in afrikanischen Ländern herausgebracht hat. Demnach hat es im Kongo in den vergangenen Jahren nennenswerte gesetzgeberische Fortschritte gegeben – und eben auch ein horrendes Defizit bei der Durchsetzung und Implementierung.
Immerhin haben die Staatsanwälte von Katanga, der Nachbarprovinz Süd-Kivus, nun geschworen, verurteilte Vergewaltiger nicht mehr vorzeitig zu entlassen und Haftstrafen nicht mehr zur Bewährung auszusetzen. Auf Vergewaltigung steht derzeit eine Höchststrafe von 25 Jahren nach kongolesischem Recht.
Der Vorsatz klingt gut, allerdings stößt er auf zwei gigantische Hindernisse: Korruption im Justizapparat und verheerende Zustände in den Haftanstalten. Der Kongo braucht nicht nur dringend halbwegs funktionierende Krankenhäuser, er braucht auch dringend halbwegs funktionierende Gefängnisse.