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Kritik an Kongo-Studie

 

Ein interessanter Nachtrag zum vorletzten Blog-Eintrag „Die Männer sind zu Frauen geworden“. Darin geht es unter anderem um die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Studie über sexuelle Gewalt im Kongo, in der, basierend auf einer auf einer landesweiten Umfrage, die Zahl der Vergewaltigungen für das Jahr 2006/2007 mit 400.000 angegeben wird. Entsprechend dramatisch fielen die Schlagzeilen in der aktuellen Berichterstattung aus: „Jede Stunde 48  Vergewaltigungen“ – und ähnliches.

Gegenüber der BBC hat nun die schwedische Konfliktforscherin Maria Eriksson Baaz die Seriösität der Studie angezweifelt. In einem Land wie dem Kongo mit einer dermaßen zerstörten Infrastruktur und einer hoch traumatisierten Bevölkerung sei es unmöglich, aus einer Umfrage solche Hochrechnungen abzuleiten. Man wisse zu wenig über die psychologischen Zwänge, unter denen Frauen Fragen nach sexueller Gewalt beantworteten. Viele würde erlittene Gewalt aus Angst vor Stigmatisierung leugnen, andere würden sie vortäuschen aus dem einfachen Grund, um medizinische Behandlung zu erhalten. Die wird im Kongo Vergewaltigungsopfern in der Regel umsonst gewährt. Frauen und Männer mit anderen Kriegsverletzungen oder Krankheiten müssen zahlen.

Eriksson Baaz, die selbst ausführlich zum Thema Kriegsgewalt im Kongo forscht (und im Gegensatz zu vielen anderen ausländischen Experten Lingala, einer der Hauptsprachen, beherrscht), hat wiederholt die „Obsession“ der internationalen Presse mit dem Thema „Vergewaltigungen“ kritisiert. Nicht, weil sie die Bedeutung des Problems geringer schätzt, sondern weil sie sie es für kontraproduktiv hält, die komplexe Geschichte der Gewalt im Kongo auf das Schema bewaffnete vergewaltigende Männer und unbewaffnete vergewaltigte Frauen zu reduzieren. Das habe auch zur Folge, dass Hilfsangebote für Opfer anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen vernachlässigt würden.

P.S.: Zu weiteren Lektüre sei das Heft „Wie Frauen und Männer gemeinsam Frieden schaffen“ der Böll-Stiftung empfohlen. Klingt ein bisschen nach ‚Stricken gegen Gewalt‘, enthält aber Beiträge, die über die üblichen Täter-Opfer-Klischees hinausgehen. Darunter auch einer (schamlose Eigenwerbung) über die nicht immer produktiven Folgen von gut gemeinten Kampagnen für vergewaltigte Frauen im Kongo.