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Sartre in Kinshasa

 

Gibt es aufregendes Theater in Kinshasa? Mal abgesehen von den Dramen, Tragikomödien und Farcen der Wirklichkeit, die sich täglich auf den Straßen der Stadt abspielen?

Gibt es.

Man muss es nur finden. Die Adresse: Uele 6 bis, C/Kintambo. Also auf der Avenue Colonel Mondjiba entlang in Richtung Ngaliema, dann links ab auf die Avenue Komoroko. Vorsicht! Die dunkle Gasse rechts ist leicht zu verpassen. Hier steigt man am besten aus, zwischen Schlaglöchern, Pfützen und der offenen Kanalisation ist Platz für Fußgänger, nicht für Autos. Dann am Tor mit der Nummer 6 klopfen – und schon steht man mitten auf dem „Rollfeld der Autoren“.

Tarmac des auteurs heisst Kinshasas derzeit wohl spannendstes Hinterhof-Theater. Die Zuschauer sitzen auf Plastikstühlen, die Bühne besteht aus zusammengeschobenen Holzpaletten, für das Bühnenbild räumen Freunde des Hauses schon mal die eigenen Möbel herbei. Regnen darf es nicht, denn das Theater hat kein Dach. Ein Dach wiederum sollte es nicht haben, da man bei der tropischen Schwüle in einem geschlossenen Raum umkippen würde, und sich Tarmac des auteurs auf absehbare Zeit keine Klimaanlage wird leisten können. Was hier in jüngerer Zeit aufgeführt wurde, schafft schon Hitze und Reibung genug: zum Beispiel Jean-Paul Sartres Stück Geschlossene Gesellschaft, das bekanntlich in der Hölle spielt. Oder Immigration jetable (auf Deutsch in etwa: „Immigration zum Wegwerfen“) der rumänischen Autorin Alexandra Baldea, das von einem fiktiven afrikanischen Land mit einer korrupten, dekadenten Elite handelt und von seinen jungen Bürgern, die ihr Glück in Europa suchen und nicht finden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit dem Kongo sind rein zufällig.
„Die Attentäterin“, inszeniert nach dem Roman des algerischen Autors Yasmina Khadra über eine palästinensische Selbstmordattentäterin, lieferte reichlich Gesprächsstoff für die Zuschauer. Die bestehen aus Studenten, Angehörigen von Kinshasas Kunst-und Musikszene, ausländischen Diplomaten und NGO-Mitarbeitern. Und manchmal auch Angehörigen der Agence Nationale de Renseignements (ANR), des kongolesischen Geheimdienstes, der offenbar noch nicht so recht weiß, ob er das Treiben auf dieser Bühne für eine Gefährdung des Staates halten soll – oder für sozialkritischen, aber ungefährlichen Nischenaktivismus.

Bei der jüngsten Premiere haben die Herrn vom ANR vermutlich beim Anblick verblichener Fotos von Marx und Lenin an der Theatermauer gestutzt, wahrscheinlich auch bei Lektüre des Titels Le siège de Leningrad. Dabei geht es in dem Stück des spanischen Autors José Sanchis Sinisterra weder um den Zweiten Weltkrieg noch um Lenin, sondern um das tragikomische Zwiegespräch zwischen zwei Schauspielerinnen, Natalia und Priscilla, die, in den Kulissen ihres längst geschlossenen Theaters lebend und gegen Ungeziefer kämpfend, den alten Zeiten nachtrauern, da linke Intellektuelle und Künstler noch die Welt zu verändern glaubten. Theater als Bühne für das Theater. „Anfangs“, sagt Agnès Mujinga, eine der beiden Hauptdarstellerinnen, sei ihr der Text schon „sehr fremd“ vorgekommen. Aber auf der Bühne legt sie eine wuchtige Priscilla hin. Von gescheiterten Träumen können kongolesische Intellektuelle einiges erzählen – und das Gefühl der politischen Bedeutungslosigkeit kennen sie ebenfalls.

Als Sponsor des Ganzen trat die spanische Botschaft auf, was nicht nur gut für das Image des Theaters ist, sondern auch ein wenig Schutz vor übergriffigen Sicherheitsdiensten bietet.

Regisseur, Intendant, Dramaturg, Conferencier und manchmal auch Schauspieler des Tarmac des auteurs ist Israel Tshibamba Mouckounay, 33, der in Kinshasa immer wieder Autoren aus dem Kongo, Kamerun, Benin, dem Senegal und Europa zusammenholt. Für die folgenden Wochen hat er Lesungen und kleine Konzerte im Programm.

Kurz vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Ende November will Tarmac des auteurs dann eine kleine Pause einlegen, um nach der mehr oder weniger demokratischen Willensbildung dann wieder mit vollem Programm loszulegen. „Vorausgesetzt“ sagt Tshipamba und grinst, „wir sind dann noch am Leben“. Das Publikum lacht herzlich und greift zu Bier und Erdnüssen. Geheimdienstler scheinen nicht dabei zu sein. Oder sie lachen inzwischen unauffällig mit.