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Maman Mayi fährt nach China

 

Avenue Bakaka in Kinshasas Stadtteil Bandal, eine typische kleine Geschäftsstraße. Ein halbes Dutzend Schneidereien, vier Apotheken, zehn Bierbuden. Vor fast jedem Laden hockt ein Straßenhändler vor seinem Stand mit Telefonkarten, Zigaretten, Papiertaschentüchern und Lutschern. Hier hat Maman Mayi Kossa ihr Geschäft eröffnet,  genauer gesagt: 20 mit leicht angestaubten Kleidern, Schuhen und Taschen voll gestopfte Quadratmeter. Boutique „Adorith“, Mode für Erwachsene und Kinder.

Als Dekoration hinter dem nicht mehr ganz durchsichtigen Fenster dienen vier weiße Schaufensterpuppen, die aussehen, als wären die unruhigen Jahre der Stadt an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Die Füße sind ramponiert, der Arm des Damenmodells zersplittert. Dem Herren fehlt der Kopf, was die Aufmerksamkeit umso mehr auf das hautenge schwarze Jackett über seinem Plastik-Waschbrettbauch lenkt, das glänzt wie frisch gegossener Teer und sich auch so anfühlt. Laut Etikett trägt ein Pariser Modedesigner namens Jean-Pierre Courier dafür die Verantwortung, eingekauft hat Maman Mayi das gute Stück, das jetzt mit Hose für 55 Dollar im Schaufenster steht, für 25 Dollar in Ghangzou, China. Wie fast alles andere auch in ihrer Boutique: die Herrenunterwäsche, die Rucksäcke mit Micky-Maus-Aufdruck, die Jeans stonewashed, die hautengen Kleider aus reinem Polyester. „Ich habe mir anfangs Ware von meinen Verwandten aus Europa schicken lassen“, sagt Maman Mayi. „Aber die war ziemlich teuer, und auf den Etiketten stand immer: Made in China.“ Da, dachte sich Maman Mayi, könne sie ja gleich selbst hinfahren, um Ware zu holen.

Mayi Kossa ist eine robuste 52-jährige Geschäftsfrau, eine Maman Commerçante, wie man die Händlerinnen in Kinshasa nennt. Verheiratet mit einem inzwischen pensionierten Angestellten der kongolesischen Zentralbank, acht Kinder – „wohl geraten“, wie sie betont. Der Umstand, dass alle die Universität besuchen, ist Grund zum Stolz, aber auch Ursache für die prekäre familiäre Haushaltslage. 660 Dollar kostet ein Studienjahr an der Protestantischen Hochschule in Kinshasa. Die Rente des Gatten, ohnehin nur unregelmäßig ausbezahlt, helfe da wenig, sagt Maman Mayi und macht ein pfeifendes Geräusch, als würde sie Luft aus einem Reifen lassen. Um acht Kinder durchzubringen, muss man schon nach China fahren. „Guangzhou“, sagt Maman Mayi, „herrliche Stadt“.

Dass China in Afrika angekommen ist, weiß inzwischen jeder. Dass es mittlerweile auch eine rege Migration und Reisetätigkeit von Afrikanern nach China gibt, ist weniger bekannt. „Low-End-Globalisierung“ nennen manche das etwas herablassend, als hätten nun auch die Kellerkinder entdeckt, dass es ein Leben außerhalb der eigenen Landesgrenzen gibt.
Apropos Grenzen: Ein Visum nach China, sagt Maman Mayi, sei sehr viel einfacher zu bekommen als ein Visum für ein EU-Land.

Sie brach zum ersten Mal 2006 nach China auf – ausgestattet mit der Erlaubnis ihres Mannes (in solchen Fragen ist Maman Mayi eher altmodisch) und knapp 500 Dollar, die sie mit den Gewinnen aus ihrem ersten „business“, einem Kosmetikladen, erwirtschaftet hatte. Kosmetik, sagt sie, sei ein krisensicheres Geschäft. Selbst wenn das Geld kaum fürs Essen reiche, „wollen die Leute immer gut aussehen.“ Also werde eher am Brot gespart als an der Hautcreme – oder an den Kleidern. Weswegen Maman Mayi beschloss, ins Modegeschäft einzusteigen.

„Die ersten drei Tage in Guangzhou habe ich nur gestaunt, wie gut dort alles funktioniert.“ Es gibt Strom „ohne Unterbrechung“. Wenn man den Wasserhahn aufdreht, kommt auch Wasser heraus. „Und dann dieses riesige Warenangebot.“ Guangzhou trägt nicht umsonst den Spitznamen „Fabrik der Welt“. Vom Frachtschiff bis zur Barbiepuppe wird hier alles produziert. Lippenstifte, Handspiegel mit ausklappbarer Haarbürste, Billigst-Jeans, Billigst-Hemden, Billigst-Miniröcke in allen Farben, die das Chemielabor hergibt, Mobiltelefone, Fahrräder, Billig-Computer, Wanduhren, die nicht nur die Zeit anzeigen, sondern auch fluoreszierende chinesische Landschaften mit rauschenden Wasserfällen erleuchten lassen.

Ein Prachtexemplar „für 18 Dollar“ hängt jetzt in Maman Mayis Wohnzimmer in Bandal. Fast die ganze Inneneinrichtung stammt inzwischen aus Guangzhou. Mindestens einmal, oft zweimal im Jahr reist Maman Mayi zusammen mit drei oder vier befreundeten Händlerinnen nach China, um Textilien, Schuhe, Handtaschen, Bettwäsche einzukaufen und in einem „Gruppencontainer“ zu verschiffen. Fast immer ist auch ein Stück fürs eigene Heim dabei. Der üppige Wandschrank mit Glasvitrinen, der Fernseher mit Plasma-Bildschirm, der Koffer große Radio-Recorder, der Computer – alles zu Niedrigstpreisen. Prunkstück der Inneneinrichtung ist die weiße Tiefkühltruhe, die wie ein königlicher Sarkophag fast den gesamten Raum blockiert. „Hat nur 450 Dollar gekostet“, sagt Maman Mayi. Über die letzten fünf Jahre hat sie den Traum vom Konsumleben der globalen Mittelschicht in ihr kleines Haus gewuchtet – zur Freude von Mann und Kindern, obwohl diese nun kaum mehr Platz haben, sich um die eigene Achse zu drehen. Bloß funktioniert gerade nichts von dieser modernen Pracht. In Bandal ist wieder einmal der Strom ausgefallen.

Mayi Kossa vor ihrem Haus in Kinshasa

Man könnte nun meinen, dass Maman Mayi im Besonderen und die Kongolesen im Allgemeinen China zunehmend zum gelobten Land erklären. Keineswegs.
China muss auf dem afrikanischen Kontinent gerade ein paar derbe Dämpfer einstecken. In Kongos Nachbarland Sambia, wo chinesische Konzerne mit oft rüden Methoden weite Teile des Kupferabbaus kontrollieren, ist gerade der alte Polit-Haudegen Michael Sata zum Präsidenten gewählt worden, der im Wahlkampf mit einer Kampagne gegen „chinesischen Neokolonialismus“ gepunktet hat. In diversen afrikanischen Ländern fangen mit viel Pomp eingeweihte Krankenhäuser oder Straßen „made by China“ schon nach einem Jahr an zu bröckeln. Chinesische Ingenieure gehen nicht eben respektvoll mit afrikanischen Arbeitern um, und weder in Soweto, noch in Lusaka oder Kinshasa ist man gut auf chinesische Zuwanderer zu sprechen, die auf dem Marktplatz gängige Produkte um ein Drittel billiger verkaufen als die einheimischen Händler.

In Guangzhou, sagt Maman Mayi, gebe es eigentlich keine Probleme zwischen den Handel treibenden Völkern. „Aber manche Chinesen halten sich die Nase zu, wenn sie Schwarze sehen.“
Maman Mayi hat zwei Methoden entdeckt, mit solchem Rassismus umzugehen. Entweder läuft sie glühend vor Wut den ganzen Tag durch die Stadt. Oder sie redet sich ein, dass die Chinesen alle Afrikaner für Senegalesen halten. „Und die benutzen ja wirklich ein übles Rasierwasser.“ Meistens wählt sie die zweite Option. So kann sie sich besser auf das Geschäft konzentrieren.

Wie verständigt sie sich mit den chinesischen Großhändlern? Die sprechen kein Französisch, die Mamans Commerçantes aus Kinshasa können kein Englisch, geschweige denn Chinesisch.
„Kein Problem“, sagt Maman Mayi. „Wir kommunizieren mit dem Taschenrechner.“