Was haben Wladimir Putin und Joseph Kabila gemein? Den Ruch des Wahlfälschers und die Zahl 49. Nur noch 49 Prozent erzielte Putins Partei „Einiges Russland“ bei den Parlamentswahlen und verzeichnete dabei einen Verlust von 14 Prozent – trotz offenbar massiver Manipulationen.
Mit 49 Prozent soll Joseph Kabila laut vorläufigem Ergebnis der Wahlkommission die Präsidentschaftswahlen im Kongo gewonnen haben – auch dank Manipulationen.
In Moskau wagt nun eine erstarkte Zivilgesellschaft Protestaktionen, die vor einem Jahr undenkbar gewesen wären.
In Kinshasa wartet ein gewaltiges Polizeiaufgebot auf den Straßen, um jeden Aufmarsch von Oppositionsanhängern zu verhindern. Im besten Fall mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Gummigeschossen. Im schlimmsten Fall mit scharfer Munition.
Die ausländischen Botschaften haben ihren jeweiligen Landsleuten geraten, entweder das Land zu verlassen oder sich mit Wasser und Lebensmitteln einzudecken; die reicheren Kongolesen haben ihre Familien über den Fluß hinüber nach Brazzaville in Sicherheit gebracht; viele Geschäfte und Märkte in der Stadt sind geschlossen, die Hotels halbleer, die Gerüchteküche ist leider voll. Die einen munkeln, ruandische Soldaten hätten sich in die Hautptstadt eingeschlichen; andere behaupten, Macheten seien an Straßengangs verteilt worden. Die Mobilfunkanbieter blockieren seit Tagen die Verbreitung von Textnachrichten, und man kann sich jetzt fragen: Tun sie es als Gefallen für Kabila, um die Mobilisierung der Opposition zu erschweren? Oder tun sie, um die Verbreitung von solchen Verschwörungstheorien zu bremsen, die wie ein Brandbeschleuniger wirken können?
Denn mit der – um drei Tage verspäteten – Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses hat sich gar nichts geklärt – geschweige denn entspannt. Mehrere Oppositionskandidaten, darunter der im Osten populäre ehemalige Parlamentspräsident Vital Kamerhe hatten schon vor Bekanntgabe gefordert, die Wahl wegen Manipulationen zu annullieren. Etienne Tshisekedi, Kabilas größter Rivale, hat das nun verkündete Ergebnis abgelehnt und öffentlich erklärt, nach seinen eigenen Berechnungen hätten 54 Prozent der Wähler für ihn und nur 26 Prozent für Kabila gestimmt. „Seine Amtszeit ist zu Ende. Ich bin der Präsident.“ Viele seiner Anhänger würden ihrer Wut am liebsten auf der Straße Luft machen – gegen Polizei und Präsidentengarde, aber auch gegen die Prügeltrupps aus dem Kabila-Lager. Bei Zusammenstößen in den vergangenen Tagen sind laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge über 20 Menschen getötet worden.
Mit reichlich Verspätung hat die internationale Gemeinschaft nun auf „Achtung! Gefahr!“-Modus umgeschaltet und ihre Feuerwehrdiplomatie in Gang gesetzt. UN, EU, AU, das amerikanische State Department, die französische Regierung und Südafrikas Präsident Jakob Zuma shutteln oder telefonieren zwischen Kabila und Tshisekedi hin und her, ermahnen beide, provozierende Äußerungen zu unterlassen und ihre Fusstruppen ruhig zu halten, suchen nach möglichen „Kompromissen“ und Vermittlungsoptionen.
Das Problem ist: Vorerst gibt es nichts zu vermitteln. Vorerst gibt es nur eine Frage: Kann man aus einem völlig verfahrenen Wahlprozess noch ein halbwegs akkurates und sauberes Ergebnis heraus destillieren?
Diese Wahlen standen von Beginn an unter dem Verdacht massiver Einflussnahme und Manipulationen von Seiten Kabilas: Angefangen von der Verfassungsänderung, die den Sieg durch eine einfache Mehrheit ermöglichte; über die Besetzung der Wahlkommission; bis hin zu einer umstrittenen Wählerregistrierung, zur Einschüchterung von Oppositionskandidaten und der Manipulation von Wahlurnen. Die Mission der EU hat „serious irregularities“ fest gestellt, also „ernsthafte Unregelmäßigkeiten“. Das Carter Center hält das Wahlergebnis für „nicht glaubhaft“. Die Frage ist, ob diese Unregelmäßigkeiten so massiv und vorsätzlich waren, dass sie das Ergebnis entscheidend beeinflusst haben – und ob die ausländischen Beobachter in der Lage und willens wären, das fest zu stellen. Die katholische Kirche, die mehrere zehntausend Wahlbeobachter gestellt und wohl den größten Überblick über das Chaos hat, rückt mit ihren Ergebnissen noch nicht raus – angeblich aus Angst, die extrem angespannte Lage weiter zu verschärfen.
Was also tun?
Die Ergebnisse offenlegen – und zwar Wahllokal für Wahllokal. Und die Wahlprotokolle veröffentlichen, welche die Beobachter der verschiedenen politischen Parteien in jedem Lokal unterzeichnen. Das fordern kongolesische NGOs, das fordert in einer aktuellen „Dringlichkeitserklärung“ auch die „International Crisis Group“ (ICG).
Dann allerdings müssten sämtliche Kandidaten mit massivem internationalen Druck darauf verpflichtet werden, das durchgeprüfte Ergebnis anzuerkennen – notfalls mit der Androhung gezielter Sanktionen.
Die ICG möchte zudem möglichst schnell eine koordinierte UN-EU-AU-Krisendelegation in Kinshasa sehen. Die allerdings müsste dort erst einmal ihren Ruf als unparteiischer Akteur etablieren. In den Augen der Opposition hat die internationale Gemeinschaft viel zu lange Kabilas Machtgebaren zugesehen, um noch als neutral zu gelten.
Viel Zeit für politische und diplomatische Interventionen bleibt jedenfalls nicht: Bis zum 17. Dezember soll der (mit Kabila-Loyalisten besetzte) Oberste Gerichtshof des Landes über sämtliche Beschwerden gegen das Wahlergebnis entschieden haben und den endgültigen Sieger bestätigen. Aus Kinshasa werden unterdessen vereinzelt Siegesfeiern von Kabila-Anhängern gemeldet und vereinzelt Proteste in den Vierteln der Tshisekedi-Anhänger. Dabei ist die Hauptstadt keineswegs der einzige Brennpunkt. In Mbuji-Mayi, Hauptstadt der Provinz Ost-Kasai, einer Hochburg Tshisekedis, soll es ebenfalls Unruhen geben. Und dort schießen die Sicherheitskräfte angeblich gleich mit scharfer Munition.