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Zum Feiertag ein Krieg

 

30. Juni 2009, 49. Jahrestag der Unabhängigkeit im Kongo, Tag der Paraden und Fanfaren in Kinshasa. Eigentlich gibt es wenig Grund zum Feiern, schon gar nicht für die Menschen im Osten, wo eine neue Kriegsrunde ausgebrochen ist.

Krieg? Welcher Krieg, fragen die Leute in Kinshasa. Für die meisten Kinois sind die Kivu-Provinzen, der Schauplatz scheinbar ewiger Katastrophen, ein fremdes Land, dessen Ereignisse nichts mit ihrem täglichen Überlebenskampf zu tun haben. Dabei ist das Ausmaß der neuen humanitären Katastrophe durchaus mit den jüngsten Kriegsfolgen in Pakistan und Sri Lanka zu vergleichen.

Die Verheerung im Osten ist Folge einer politisch richtigen, aber katastrophal ausgeführten Entscheidung: Im Januar diesen Jahres hatten Kongos Präsident Joseph Kabila und sein ruandischer Amtskollege Paul Kagame – bis dahin in tiefster Feindschaft verharrend – die internationale Gemeinschaft und die eigenen Landsleute mit einem sensationellen Deal verblüfft. Kabila gestattete Kagame, ruandische Truppen nach Nord-Kivu  zu entsenden. Diese sollte innerhalb weniger Wochen zusammen mit der kongolesischen Armee die Milizen der FDLR entwaffnen. Das ist die Nachfolgeorganisation jener Hutu-Kommandos, die 1994 den Genozid in Ruanda verübten, sich seither im Grenzgebiet des Nachbarlandes Kongo festgesetzt haben, wo sie rohstoffreiche Landstriche kontrollieren und mit Dauerterror die Befriedung der Region verhindern. Ruanda zog als Gegenleistung den kongolesischen Tutsi-Rebellenführer Laurent Nkunda aus dem Verkehr, der die Präsenz der FDLR immer wieder als Vorwand für militärische Aktionen in den Kivus genutzt hatte.

Die ruandisch-kongolesische Kooperation hat ein erstaunliches politisch-ökonomisches Tauwetter eingeleitet. Der militärische Teil jedoch war ein Fehlschlag – mit desaströsen Folgen für die Zivilisten. Weder gelang es, die Führungsstruktur der FDLR zu zerschlagen, noch eine nennenswerte Zahl der rund 6000 Kämpfer zu entwaffnen. Kaum waren die ruandischen Truppen abgezogen, nahmen Hutu-Milizen verlorene Stellungen in Nord-Kivu wieder ein. Seither rächen sie sich an der Bevölkerung – umso mehr, als nun kongolesische Truppen mit Unterstützung der UN-Blauhelme die FDLR  auch in Süd-Kivu angreifen. „Kimia II“ heißt die Operation.

In der Nacht zum 10. Mai überfielen Hutu-Kämpfer das Dorf Busurungi in Nord-Kivu und zündeten mehrere hundert Hütten an. Über 30 Menschen sollen bei lebendigem Leib verbrannt, Dutzende andere mit Äxten, Messern und Macheten massakriert worden sein. Die UN-Mission im Kongo (MONUC) sprach zunächst von 60 Toten, inzwischen ist von über 100 Ermordeten die Rede. Nach Aussagen von Flüchtlingen spießten FDLR-Milizionäre die Köpfe einiger Opfer am Dorfeingang auf – als Warnung an die Überlebenden, nie wieder mit der Armee zu kooperieren.

Mehrere hunderttausend Menschen sind inzwischen auf der Flucht. Andere werden offenbar von FDLR-Trupps mit Gewalt im umkämpften Gebiet festgehalten – offensichtlich, um sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen. Die Zahl der Vergewaltigungen ist in den umkämpften Gebieten dramatisch angestiegen.

Die Militärkampagne gegen die FDLR erinnert an ein ähnliches Desaster, das sich erst vor wenigen Monaten im Nordosten des Kongo, im Bezirk Ituri nahe der kongolesisch-ugandischen Grenze abgespielt hat. Dorthin hat sich die ugandische Miliz der „Lord’s Resistance Army“ (LRA) zurückgezogen, deren Führer Joseph Kony vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Haftbefehl gesucht wird. Die LRA ist berüchtigt für Massaker, Verstümmelungen und die massenhafte Zwangsrekrutierung von Kindern.

Eine Militäraktion der ugandischen Armee im Dezember 2008 (ausgeführt mit Erlaubnis der kongolesischen Regierung und verhaltener Unterstützung der USA) schlug fehl, Kongos Präsident Kabila ordnete den Abzug der Ugander an. Seither haben Konys Trupps in Rachefeldzügen über 1000 kongolesische Zivilisten ermordet und mehrere hundert Kinder entführt. Weder die notorisch überforderten Blauhelme der UN noch die kongolesische Armee, bekannt und berüchtigt für ihren desolaten Zustand, können die Bevölkerung in den unzugänglichen Regionen Ituris zu schützen.

Das gleiche Drama spielt sich nun in den Kivu-Provinzen ab. „All das kann nur mit aggressiver internationaler Intervention gestoppt werden“, schrieb der Afrika-Experte des „Institute for War and Peace Reporting“ (IWPR), Peter Eichstaedt, schon vor Wochen und forderte eine „multi-nationale Eingreiftruppe – bestehend aus erfahrenen NATO-Verbänden – mit Mandat des UN-Sicherheitsrats“, um die Führung der LRA wie der FDLR „einzukreisen und festzunehmen“.

Bei aller Skepsis gegenüber multi-nationalen Greiftrupps – im Fall des Kongo könnten sie tatsächlich erfolgreich sein und damit unzählige Menschenleben retten. Aber die politischen Vorzeichen in Washington und den europäischen Hauptstädten machen ein solches Engagement höchst unwahrscheinlich.

Und so bleibt vorerst nur die aktuelle Chronik einer Militäroperation, in der die Bevölkerung zwischen alle Fronten gerät. Denn die Menschen fliehen, so sie denn fliehen können, nicht nur vor der FDLR, sondern auch vor der eigenen Armee. Deren Soldaten haben oft seit Monaten keinen Sold mehr erhalten. Die UN versorgen die Militärs mit Nahrung, um allzu schlimme Plünderungen zu verhindern.

Im MONUC-Hauptquartier in Kinshasa beschwört man die Fortschritte bei Operation „Kimia II“ und gesteht offiziell allenfalls „logistische Probleme“ zu. Hinter vorgehaltener Hand räumen MONUC-Mitarbeiter durchaus ein, dass die Blauhelme in eine Militäroperation hineingezogen worden sind, auf deren Verlauf sie keinen Einfluss haben, und deren unmittelbare Folgen für die Zivilisten im krassen Gegensatz zum Kern des UN-Mandats stehen: dem Schutz der Bevölkerung.

Auch Süd-Kivus Vize-Gouverneur Jean-Claude Kibala setzt auf den Erfolg von „Kimia II“ –nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Mit militärischem Druck müsse man die Infrastruktur der FDLR zerstören, sagte Kibala vor wenigen Tagen in einem Interview mit Radio Okapi, „Sobald die einzelnen FDLR-Trupps nicht mehr miteinander kommunizieren können, keinen Rohstoffschmuggel und Viehhandel mehr betreiben können, sind sie blockiert.“

Andere Beobachter teilen diesen Optimismus nicht, sind sich aber mit den Befürwortern von Operation „Kimia II“ in zwei Punkten einig: Ohne die Eliminierung der FDLR in den Kivus ist, erstens, ein Frieden und damit ein Staatsaufbau im Kongo nicht möglich. Und zweitens wären die Erfolgsaussichten weit größer, wäre die Verheerung für die Zivilbevölkerung deutlich geringer, hätten die USA und Europa außer dringenden Appellen, die Hutu-Milizen endlich auszuschalten, etwas handfestere Hilfe zu bieten. Wenn schon keine Eingreiftruppe, dann vielleicht eine Truppenverstärkung für die Blauhelme, um diese für Einsätze gegen die FDLR zu entlasten. Oder ein paar Hubschrauber. Oder Aufklärungstechnologie. Oder ausreichend Geld und Personal für die Demobilisierung vor allem jüngerer FDLR-Kämpfer, die ihre Waffen niederlegen wollen. Oder wenigstens massiven Druck auf Kongos Regierung und Armee, dessen Offizierskorps weiterhin die Soldkassen plündert und das Geld unter anderem in den kleinen Bauboom in der Hauptstadt investiert.

In Kinshasa entdeckt man nach langem Suchen doch noch einen Hinweis auf den Krieg: „Cultivons l’amour, pas la guerre“ steht in großen Buchstaben auf einem Straßenplakat im Bezirk Limete. „Lasst uns die Liebe kultivieren, nicht den Krieg.“ Es handelt sich um Kondomwerbung für die Marke „Prudence“. In den Zeiten von AIDS ist das ein recht origineller Spruch. Gemessen daran, was sich dieser Tage im Ostkongo abspielt, ist es der blanke Hohn.