Man soll es nicht beschreien, aber es ist erstaunlich ruhig in Kinshasa. Viel Polizei auf den Straßen, die Märkte sind geöffnet – ein gutes Zeichen, denn die Markthänderlerinnen sind die ersten, die Unruhen riechen.
Seit sieben Tagen befindet sich Jean-Paul Bemba, Kongos exilierter Oppositionsführer, in einem belgischen Gefängnis, festgenommen am vergangenen Samstag aufgrund eines Haftbefehls des internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) in Den Haag. Die Nachricht traf seine Anhänger in Kinshasa wie ein Hammerschlag. Tage zuvor war in der Hauptstadt noch über Bembas Rückkehr in den Kongo spekuliert worden.
Im Stadtteil Gombe sieht man an den Hauswänden immer noch die Einschusslöcher des Mini-Krieges, den sich Bembas Miliz mit der Armee und der Präsidentengarde seines Erzfeindes, Staatspräsident Joseph Kabila, vor über einem Jahr geliefert hatte. Die Kämpfe hatten sich mitten im Diplomatenviertel der Hauptstadt abgespielt. Opfer in der Zivilbevölkerung waren den Kontrahenten immer schon egal, mögliche Tote und Verletzte beim ausländischen Botschaftspersonal offenbar auch. Zeitweise setzte Kabila sogar frisch aus der Ukraine importierte Panzer ein, deren mit schwerem Gerät völlig unvertraute Besatzungen in alle Himmelsrichtungen ballerten.
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006, die Bemba trotz erstaunlich guten Abschneidens verloren hatte, sah sich Kinshasa in einem andauernden Zustand der Belauerung gefangen – bis Bemba schließlich nach seiner zweiten, dieses Mal blutigen Niederlage im März 2007 nach Portugal ins Exil ging. Das MLC, größte Oppositionspartei im Parlament, blieb ohne seinen charismatischen (und steinreichen) Führer weitgehend wirkungslos. Für den 27. Mai hatten Zeitungen in Kinshasa nun Bembas triumphale Heimkehr angekündigt. Doch drei Tage vorher zerstörte der Strafgerichtshof diese Träume.
Amtshilfe leisteten die belgischen Behörden, die Bemba in Brüssel festnahmen, wo er nun auf seine Auslieferung nach Den Haag wartet. Dort wird er eine Zelle im Scheveninger Gefängnis beziehen, der Haftanstalt mit der weltweit größten Dichte mutmaßlicher Kriegsverbrecher: hier sitzen die Untersuchungshäftlinge des UN-Jugoslawientribunals; der von einem internationalen Sondergericht angeklagte Ex-Präsident Liberias, Charles Taylor; sowie die drei kongolesischen Häftlinge des Internationalen Strafgerichtshofs, Thomas Lubanga, Germaine Katange und Mathieu Ngujolo. Bei letzteren handelt es sich um kleinere Kriegsherren aus dem ostkongolesischen Bezirk Ituri, gegen die unter anderem wegen Rekrutierung von Kindersoldaten und ethnischen Massakern ermittelt wird.
„Zu wenige und zu keine Fische“. So lautete lange die Kritik von Menschenrechtsorganisationen am IStGh. Mit Bemba hat sich das Gericht nun zweifellos einen „großen Fisch“ vorgenommen: Der 45-jährige Multi-Millionär, Sohn eines mächtigen Vaters aus der Machtclique Mobutus, mischte während der verheerenden Plünderkriegs im Kongo mit seiner eigenen Miliz mit, war Vize-Präsident der Übergangsregierung, und nach den Wahlen 2006 Senator des Parlaments. Allerdings bezieht sich der Haftbefehl nicht auf Kriegsverbrechen seiner Miliz im Kongo. Die wurden vor dem 1.Juli 2002 begangen und damit vor dem Inkrafttreten des Statuts des Gerichtshofs. Doch zwischen Oktober 2002 und März 2003 schickte Bemba seine Rebellenarmee über die Grenze nach Zentralafrika, um dem dortigen Präsidenten Ange-Felixe Patasse gegen einen Putschversuch zur Seite zu stehen. Es handelte sich dabei um einen grenzüberschreitenden Freundschaftsdienst eines Kriegsherren für einen Despoten. In dessen Verlauf verübten Bembas Truppen Massaker an Zivilisten, plünderten und vergewaltigten. Die Ankläger beim IStGh wollen sich vor allem auf die Vorwürfe sexueller Kriegsgewalt konzentrieren. Bembas Kämpfer sollen auf öffentlichen Plätzen Mädchen und Frauen vergewaltigt haben – zwecks Demonstration der eigenen Allmacht.
Patasse wurde wenig später trotz Bembas Militärhilfe gestürzt. Es war denn auch die neue Regierung Zentralafrikas, die 2004 den IStGh bat, Ermittlungen aufzunehmen. Dass Bemba irgendwann in einer Den Haager Zelle landen könnte, war in-und außerhalb Kinshasas seit langem Gegenstand von Spekulationen. Doch Bemba selbst muss sich zunehmend sicher gefühlt haben, als er 2006 seinen Wahlkampf führen konnte, von Ministern der EU und der USA empfangen wurde und sich im europäischen Exil ungehindert bewegen durfte.
Und nun?
Nun hat der IStGh zweifellos seinen ersten wirklich großen Fall, der Kongo deswegen aber noch kein Problem weniger. Nicht, dass es mit Bemba den Falschen getroffen hätte. Aber nach Lesart der Kongolesen war seine Verhaftung natürlich ein politischer Akt. Für Bembas Anhänger handelt es sich dabei um einen Deal zwischen internationaler Gemeinschaft und Präsident Kabila, um dessen Hauptrivalen endgültig aus dem Weg zu räumen. Kabila-Fans, von denen es in der Hauptstadt nicht allzu viele gibt, sehen darin einen Versuch Belgiens, seine zerrütteten Beziehungen zur einstigen Kolonie wieder zu reparieren. Denn der belgische Außenminister Karel de Gucht hat in den vergangenen Wochen durch öffentliche Kritik an korrupten kongolesischen Politikern eine diplomatische Eiszeit heraufbeschworen. Seiner Strafpredigt gegen Parlamentarier, die sich Dienstautos zum Stückpreis von 40.000 Dollar leisten, anstatt endlich für eine menschenwürdige Bezahlung streikender Lehrer zu sorgen, mag man wirklich nicht widersprechen. Aber erstens war die Tonlage war nicht besonders klug gewählt. Zweitens hat Belgien hat aufgrund seiner horrenden Kolonialgeschichte wenig Grund, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Und drittens glauben die kongolesischen Medien, dass de Gucht einfach nur seinem Ärger über die blühenden Geschäfte zwischen dem Kongo und China Luft machen wollte.
Ob Präsident Joseph Kabila die belgischen Handschellen für Jean Pierre Bemba als Geste der Versöhnung interpretiert, ist bislang nicht bekannt. Kabila hat sich seit seiner Wahl ohnehin selten zu irgendetwas geäußert, geschweige denn, irgendein nennenswertes Projekt zum Aufbau seines Landes initiiert.
Womöglich wird ihn Bembas Festnahme noch teuer zu stehen kommen. In dessen regionaler Hochburg, der Provinz Equateur, ist die Lage gespannt. Dort kam es in den vergangenen Tagen immer wieder zu gewalttätigen Protesten.
In Kinshasa ist die Lage, wie gesagt, ruhig. Eine Demonstration von Bembas Partei MLC am vergangenen Dienstag verlief erstaunlich friedlich und diszipliniert. Ein weiterer Protest, angekündigt für diesen Samstag, wurde vom Gouverneur von Kinshasa verboten – und bislang halten sich Bembas Anhänger daran. Aber in der Hauptstadt stauen sich Frust und Wut auf die Regierung, die seit ihrem Amtsantritt so gut wie nichts zur Verbesserung der Lebenssituation beigetragen hat. Streikende Studenten haben vor kurzem erst Büros des Bildungsministeriums mit Steinen angegriffen. Lebensmittel sind teurer geworden. Die Preisexplosion für Reis und Getreide auf dem Weltmarkt merkt man natürlich auch hier. Die Inflationsrate steigt. Am härtesten trifft die Menschen der rasant steigende Benzinpreis. Was in Kinshasa gegessen wird, muss größtenteils aus dem Hinterland eingeflogen oder über den Kongo-Fluss per Boot herbeigeschafft werden. Ein Weltmarktpreis von 130 Dollar pro Barrel Rohöl zwingt die Bewohner der Slums von Massina, Ndjili oder Kimbanseke, ihre ohnehin schon kargen Maniok-, Mais- oder Gemüserationen zu verkleinern. Oder auf das morgendliche Sammeltaxi zu verzichten und die zehn, fünfzehn Kilometer vom Außenbezirk ins Zentrum zu den Märkten und Straßengeschäften zu Fuss zu laufen. Selbst die unendlich geduldigen Einwohner Kinshasas spüren irgendwann nur noch die Wut im Bauch – wenn sie nicht vorher die Erschöpfung übermannt.