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Die Frauen von Conakry

Krankenhäuser gelten gemeinhin nicht als Schauplätze des Widerstands, doch der Eindruck trügt. Ärztinnen, Pfleger und Therapeuten können sehr wohl den Zorn politischer Machthaber auf sich ziehen – vor allem dann, wenn sie die Opfer von Menschenrechtsverletzungen behandeln.

Ende Januar veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde unter dem Titel „La malédiction des femmes de Guinée“ einen ebenso erschütternden wie beeindruckenden Bericht über den „Fluch der Frauen von Guinea“. Gemeint sind jene Teilnehmerinnen einer Demonstration für Demokratie vergangenen Herbst, die mit einem Massaker und brutalen Vergewaltigungen durch Soldaten der Präsidentengarde endete.

Die Autoren des Artikels sind Ismael Baldé und Natalie Zajde. Zajde ist eine renommierte französische Trauma-Forscherin und Psychologin, die sich auf die Behandlung von Opfern schwerster Menschenrechtsverletzungen spezialisiert hat. Baldé ist Arzt und Gründer des Centre Mère et Enfants in Conakry, ein Hospital für Mütter und Kinder.

Nichts ist vergessen, nichts ist geahndet von dem, was sich am 28.September 2009 in der Hauptstadt des kleinen westafrikanischen Landes abgespielt hat. Tausende Demonstranten hatten sich zum Jahrestag der Unabhängigkeit im Sportstadion versammelt, um die Militärjunta des Hauptmannes Moussa Dadis Camara aufzufordern, den Weg für Wahlen frei zu machen.

Camara, der nach dem Tod des langjährigen Diktators Lansana Conte an die Macht gekommen war, hatte genau das versprochen: Freie Wahlen und den Rückzug der Armee aus der Politik. Stattdessen nahmen Repression gegen Opposition und Zivilgesellschaft zu. Als am 28. September die Menschenmenge im Stadion lauthals Demokratie forderte, eröffnete Camaras Präsidentengarde das Feuer.

Ermittler der Vereinten Nationen dokumentierten einige Wochen später ein Massaker mit mindestens 150 Toten, benannten den Präsidenten sowie zwei weitere Offiziere als Hauptverantwortliche und empfahlen, die drei wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.

Wie viele Frauen an diesem September-Tag von Soldaten vergewaltigt worden sind, weiß niemand genau, weil zahlreiche Opfer bis heute nicht wagen, die Tat öffentlich zu machen. Frauen waren an diesem 28. September, so schreiben Baldé und Zajde, „wie Zombies durch die Straßen der Stadt geirrt: völlig nackt, verschmiert mit Blut, Sperma, Dreck… und kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten.“ Bewohner der umliegenden Viertel versteckten mehrere tagelang vor den Soldaten, gaben ihnen anzuziehen, zu trinken, zu essen. Opfer, die zum Teil schwer verletzt in die Hospitäler geschleppt worden waren, mussten von Ärzten und Krankenschwestern durch die Hinterausgänge in Sicherheit geschmuggelt werden, weil die Soldaten  Krankensäle durchsuchten.

Baldé und Zajda berichten von Frauen, denen die Flucht nicht gelang, die über Wochen von Soldaten als Zwangsprostituierte fest gehalten worden sind. Manche kamen schließlich frei, andere sind bis heute verschwunden.

Was sich da am 28. September abgespielt hat, war mitnichten ein „Gewaltausbruch“ undisziplinierter Soldaten, sondern eine Demonstration militärischer Allmacht. ‚Ihr seid ein Nichts!’ Das war die Botschaft der Präsidentengarde an die Protestierer, vor allem an die Frauen unter ihnen.

Wie aber geht eine Gesellschaft, seit Jahrzehnten durch Diktatur und Militär drangsaliert, mit einem solchen Schock um? Wie kann sie über Verbrechen reden, die die Militärjunta schlichtweg bestreitet, deren Opfer über Radio als „Nutten“, „Verrückte“ und „Lügnerinnen“ bezeichnet werden?

Unmittelbar nach dem 28. September richtete das Centre Mère et Enfants eine eigene Abteilung für Überlebende und Traumatisierte ein – ein mutiger Schritt, weil damit öffentlich die Existenz von Opfern benannt wurde, die es nach herrschender Propaganda gar nicht geben durfte. Zu der Abteilung, der ersten dieser Art in Guinea, gehören Chirurgen, Aids-Expertinnen, Gynäkologinnen, Psychotherapeuten, Hebammen.

Die ersten Patientinnen trafen nach einigen Wochen ein – und zwar just in dem Moment, schreiben Baldé und Zajde, da die Vereinten Nationen beschlossen hatten, Ermittler nach Guinea zu entsenden. Es kamen Mütter mit ihren 15 jährigen Töchtern, die seit der Vergewaltigung kein Wort mehr gesprochen hatten. Frauen, deren Becken gebrochen war, die an schweren Infektionen litten, schwanger geworden oder mit HIV infiziert worden waren.

Indem die  internationale Gemeinschaft bestätigte, was die eigenen Machthaber leugneten, schreiben Baldé und Zajde, habe sie die Frauen ermutigt, „aus dem Versteck zu kommen“. Trotz Todesdrohungen durch Soldaten, trotz Scham und Ächtung, die manche in der eigenen Familie erfuhren. Die weltweite Anerkennung des Erlittenen, so Baldé und Zajde, „trägt zum therapeutischen Prozess der Opfer bei.“ Und macht diesen somit eminent politisch. Die Berichte von UN, Human Rights Watch und anderer Menschenrechtsorganisationen gehören inzwischen zum Lesestoff der Patientinnen im Centre Mère et Enfants.

Das Militär ist in Guinea immer noch mächtig. Aber es ist angeschlagen. Sein Führer, Präsident Moussa Dadis Camara, wurde im Dezember von einem seiner Offiziere angeschossen und lässt sich seither im Ausland behandeln. Nach Erscheinen des UN-Berichts sah sich die Armee gezwungen, eine eigene Untersuchungskommission einzusetzen. Die hat ein  Massaker mit 63 Toten zugegeben. Die Schuld dafür trage allein eine abtrünnige Gruppe der Präsidentengarde. Camara wird von aller Verantwortung frei gesprochen.

Im nahe gelegenen Burkina Faso haben sich Vertreter der Militärs und der Opposition Ende Januar auf eine Übergangsregierung geeinigt. Als Premierminister wurde Jean Marie Doré, ein Oppositionspolitiker, eingesetzt. In sechs Monaten sollen Wahlen stattfinden. Allerdings hat die Armee für’s erste ein Drittel aller Posten in der Übergangsregierung besetzt, was Menschenrechtsaktivisten in Guinea alarmiert. Einige der am 28. September verhafteten Demonstranten sind bis heute verschwunden. Vergewaltigte Frauen erhalten weiterhin Drohanrufe.

Die Sanktionen von UN, EU und Afrikanischer Union gegen Junta-Mitglieder bleiben vorerst in Kraft. Mitte Februar wird Fatou Bensouda, stellvertretende Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh), in Conakry erwartet. Die Haager Anklagebehörde will demnächst entscheiden, ob die Verbrechen vom 28. September 2009 unter die Jurisdiktion des IStGh fallen und Ermittlungen eingeleitet werden.

 

Kongos Hilfe für Haiti

Ruanda hat 100.000 Dollar versprochen, Liberia 50.000 Dollar. Südafrika hat Rettungsteams geschickt, nigerianische Polizisten helfen bei den Bergungsarbeiten. Afrikas Länder fühlen sich nach dem Erdbeben zur Hilfe für Haiti verpflichtet. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade bietet Haitianern gar an, sich im Senegal niederzulassen – also „zurückzukehren“ auf den Kontinent, auf dem ihre Vorfahren einst als Sklaven verschleppt wurden.

Vor ein paar Tagen hat auch die kongolesische Regierung beschlossen,  den Vereinten Nationen 2.5 Millionen Dollar für Nothilfe und Wiederaufbau des karibischen Kleinstaates zur Verfügung zu stellen. Selbstbewusst erklärte Informationsminister Lambert Mende der BBC, der Kongo sei nicht bankrott, und die eigenen Probleme „sollten uns nicht daran hindern, einem Bruderstaat zu helfen.“

Auf den Straßen Kinshasas, in den Kneipen und auf den Märkten wird diese Großzügigkeit mit jenem sarkastischen Pragmatismus kommentiert, für den man die Kinois, die Einwohner der Hauptstadt, einfach lieben muss. Wo dieses Geld denn herkomme, fragen viele. Aus dem Topf für Gehälter der Beamten, die schon ewig nicht mehr bezahlt worden sind?

Die BBC zitiert den kongolesischen Politologen Ntanda Nkere, der das Hilfsversprechen für eine diplomatische Nebelkerze hält: „Unsere Regierung will einfach wie jede andere auf der Welt erscheinen.“ Was sie in Anbetracht des desolaten Zustandes ihres Haushaltes und diverser humanitärer Krisen natürlich nicht ist. Nkere arbeitet an der Universität von Kinshasa. Dass er in den vergangenen Jahren regelmäßig sein Gehalt bezogen hat, darf man bezweifeln.

Sei’s drum: Der Kongo wollte endlich einmal als Helfer auftreten, nicht als Hilfsempfänger. Gut so. Daran knüpfen wir jetzt die gewagte, fantastische Hoffnung, dass Herr Lambert Mende demnächst – sagen wir: in drei bis fünf Jahren – eine erfolgreiche Armeereform verkündet und den UN kongolesische Blauhelme anbietet. Und der Politologe Nkere bis dahin ein regelmäßiges Gehalt bezieht.

 

Better News from Congo (3): Ignace M. ohne Asyl

In diesem Fall müsste es heißen: Better news about the Congo. Am 11. Januar 2010 hat der 9. Senat des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Fall Ignace Murwanashyaka  (Az. 9B 08.3023) entschieden, dass der Exil-Ruander keinen Asylstatus mehr genießt.

Murwanashyaka, Präsident der FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“) samt ihrer Hutu-Miliz, sitzt ebenso wie sein Stellvertreter Straton Musoni seit November 2009 in deutscher Untersuchungshaft. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft ihnen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor – begangen von FDLR-Milizen im Ostkongo.

Dass die beiden Spitzen der FDLR jahrelang ungestört von ihrem deutschen Exil aus agieren konnten und Murwanashyaka im Jahr 2000 auch noch politisches Asyl erhielt, hatte den deutschen Justizbehörden wiederholt scharfe Kritik von Menschenrechtlern und UN-Experten eingebracht.

Die  FDLR, zu deren Anführern auch Täter des Völkermords 1994 in Ruanda gehören, kontrolliert und terrorisiert seit über 15 Jahren Gebiete im angrenzenden Ostkongo und gilt als ein Haupthindernis zur Befriedung dieser vom Krieg zerrütteten Region.

Eine inzwischen beendete Militärkampagne der kongolesischen Armee gegen die FDLR hatte vor allem zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Kongolesische und internationale humanitäre Organisationen bezeichnen „Operation Kimia II“ als Katastrophe – und die Kooperation der UN-Blauhelme mit der kongolesischen Armee als Desaster für die Vereinten Nationen.  Das ist zweifellos richtig, schließt aber nicht aus, dass „Kimia II“ die FDLR doch geschwächt hat, zumal die Miliz im  November von der Verhaftung ihrer Führer in Deutschland überrascht wurde.

Die tageszeitung berichtete Ende Dezember, die Nachricht habe die Truppen der FDLR demoralisiert. Immer mehr Deserteure stellten sich den UN-Blauhelmen und würden in Demobilisierungscamps nach Ruanda verbracht. Mit sinkender Kampfmoral ihrer Basis hat die FDLR-Führung schon seit längerem zu kämpfen. Die oft sehr jungen Milizionäre haben offenbar genug vom Plünderkrieg im Busch, wurden aber in der Vergangenheit durch Repression und gut organisierte Überwachung in den eigenen Reihen oft an der Flucht gehindert.

Statt also eine ausgehungerte, schlecht ausgebildete und völlig undisziplinierte Armee gegen die FDLR einzusetzen, hätte man deren Milizen womöglich durch gute psychologische Kriegsführung, durch mobile Auffanglager für Deserteure und durch eine internationale Polizeiaktion gegen ihr Führungsnetzwerk im Exil zermürben können. Das ist die bittere Schlussfolgerung aus diesen better news from Congo.

 

Wo, bitte, liegt Cabinda?

Angola und Terrorismus – dieses Wortpaar existierte in der internationalen Presse nicht. Bis am Freitag Angehörige einer Separatistengruppe den Bus der togolesischen Nationalmannschaft unter Beschuss nahmen. Das Team war auf dem Weg ins angolanische Cabinda, um dort beim Africa Cup zum Erstrundenspiel gegen Ghana anzutreten. Jetzt liegen mehrere Spieler mit Schusswunden im Krankenhaus, der Busfahrer, der Assistenztrainer und der Pressesprecher sind tot. Angola hat „plötzlich“ ein Terrorismusproblem – und nicht nur Fußballfans in aller Welt fragen sich: Wo, zum Teufel, ist Cabinda? Was, zum Teufel, ist los in Cabinda?

Cabinda ist eine von 18 angolanischen Provinzen, eine Exklave, die durch einen Landkorridor, der zur Demokratischen Republik Kongo gehört, von Angola getrennt ist. Nicht nur geografisch, wie viele der rund 250.000 Bewohner Cabindas meinen. Sie sehen sich in einer völlig anderen geschichtlichen und kulturellen Tradition als der Rest Angolas. Immer wieder haben separatistische Gruppen zu den Waffen gegriffen – erst  gegen die portugiesischen Kolonialherren, dann gegen die angolanische Regierung.

Angolas Unabhängigkeit 1975 mündete in einen der längsten und verheerendsten Stellvertreterkriege des Ost-West-Konflikts: Eine marxistisch orientierte, von Moskau und Havanna unterstützte Regierung kämpfte gegen pro-westliche Rebellen der UNITA. Erstere finanzierte ihre Truppen hauptsächlich durch Erdölexporte, letztere durch Diamantenschmuggel. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dauerte es noch gut ein Jahrzehnt, bis in Angola ein Friedensschluss zustande kam. Aber eben nicht im ganzen Land. In Cabinda ging der Kampf zwischen Sezessionisten und Armee weiter, weshalb man von „Angolas vergessenem Krieg“ spricht.

Angola hat inzwischen Nigeria als größten afrikanischen Öl-Exporteur überholt. Von diesem Reichtum profitiert die Elite des Landes, die große Mehrheit lebt weiterhin in bitterer Armut. Nach Angolas „schwarzem Gold“ gieren die USA ebenso wie China. Über die Hälfte des Rohöls wird vor der Küste Cabindas gefördert. Sezessionisten werden von der Zentralregierung in Luanda also als existenzielle Bedrohung angesehen.

2006 schien ein Abkommen zwischen Regierung und den notorisch zerstrittenen Separatisten den Konflikt beendet zu haben. Doch schon seit längerem greift die „Front für die Befreiung der Exklave von Cabinda“ (FLEC), die sich auch zu dem Anschlag auf die togolesische Fußballmannschaft bekannt hat, immer wieder ausländische und einheimische Ölfirmen an.

Wieviel Rückhalt die FLEC  nach diesem brutalen Angriff auf ausländische Sportler bei der Bevölkerung noch hat, lässt sich schwer sagen. Fest steht, dass Zivilisten immer wieder  zwischen die Fronten geraten.  Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierte im Juni 2009 Folter, willkürliche Festnahmen und Isolationshaft in Cabinda. Bei den Opfern handelte es sich vor allem um Dorfbewohner, die bei Razzien von der Armee aufgegriffen worden waren.

Die FLEC hatte schon im Sommer angedroht, auch während des Afrika-Cup zuzuschlagen. Die Regierung in Luanda wiederum behauptet unverdrossen, dass der Krieg in Cabinda vorbei sei. Die jüngsten Opfer  dieser Selbsttäuschung sind vorerst drei tote Togolesen und eine traumatisierte togolesische Nationalmannschaft. Und vermutlich Cabindas Zivilbevölkerung, die nun neue Repressionen der Armee fürchten muss.

 

Helfen – aber wie? Spenden für den Kongo

Immer wieder fragen LeserInnen dieses Blogs nach Möglichkeiten, für die Opfer sexueller Kriegsgewalt im Ost-Kongo zu spenden. Die Antwort ist gar nicht so einfach. Erstens ist eine Auslandsüberweisung in den Kongo immer noch ein kompliziertes Unterfangen. Zweitens gibt es im internationalen Spendenwesen so einige Fußangeln und schwarze Löcher.

Wie man mit ganz einfachen Mitteln und langem Atem kleine Hilfen organisiseren kann, haben vier Schülerinnen aus Osnabrück gezeigt.

Schülerinnen sammeln für das Panzi Hospital

Nesrin, Dena, Sophia und Ana Pilar, alle zwölf Jahre alt, (auf dem Foto von rechts zusammen mit Lehrerin Tina Schick und deren Tochter Alyssa) engagieren sich seit der dritten Klasse für Projekte im Kongo. Beim letzten Anti-Kriegstag in ihrer Heimatsstadt sammelten sie umgerechnet 450 Dollar für das Panzi-Hospital in Bukavu, in dem vergewaltigte Frauen medizinisch behandelt werden. Das Geld konnte ich vergangene Woche im Hospital in Bukavu dem stellvertretretenden Leiter, Doktor Luhiriri, übergeben.

Panzi Team
Panzi-Mitarbeiter quittieren die Spende. Rechts Dr. Luhiriri

Da die Weihnachtszeit naht und die Leute – Wirtschaftskrise hin oder her – vielleicht ein paar Euro mehr für Hilfsorganisationen springen lassen, hier noch ein paar unverbindliche Tipps in Sachen Kongo:

Einrichtungen wie das Panzi-Hospital in Bukavu in Süd Kivu oder das Krankenhaus von HEAL AFRICA in Goma in der Provinz Nord Kivu leisten bewundernswerte Arbeit für die Opfer von Vergewaltigungen. Inzwischen sind sie international bekannt und dank ausländischer Hilfe relativ gut ausgestattet.

Dringend notwendig ist jetzt die Dezentralisierung der Versorgung. Wahrscheinlich schafft überhaupt nur eine Minderheit der Opfer den Weg in die großen Städte Bukavu oder Goma. Doch weder in den Dörfern noch in den kleineren Städten der beiden Kivu-Provinzen finden sie medizinische Behandlung. Eine erste Ausnahme: das Krankenhaus von Kamituga in Süd Kivu. Bis vor zwei Jahren war dieses nicht mehr als ein abgewracktes Siechenheim. Seit Sommer 2008 ist die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur zusammen mit den einheimischen ÄrztInnen und PflegerInnen dabei, daraus wieder ein funktionierendes Hospital zu machen – demnächst mit einer eigenen Abteilung für Opfer von Vergewaltigungen. Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Wer jetzt schon spenden möchte, findet alle nötigen Informationen auf der Website von Cap Anamur.

Gleich eine Warnung hinterher: Erfolgreiche Arbeit lockt unverschämte Trittbrettfahrer. Eine Zeitlang behauptete ein „Deutsch-Afrikanisches Jugendwerk“, geleitet von der kongolesischen Honorarkonsulin in Frankfurt, Odette Maniema Krempin, den Wiederaufbau des Hospitals übernommen zu haben – und bat um Spenden. Nichts daran ist wahr, wie unter anderem jüngst das ZDF-Magazin Frontal 21 recherchiert hat.

Und noch eines: Wie alles andere hat auch das Elend seine Modethemen. Lange Zeit waren Kindersoldaten der Fokus internationaler Geldgeber und Spender. Jetzt sind es Opfer sexueller Kriegsgewalt. In beiden Fällen handelt es sich um horrende Probleme, die Aufmerksamkeit brauchen. Aber der Tunnelblick auf ein „Modethema“ führt oft dazu, dass man den Rest aus den Augen verliert. „Es wäre schön“, sagte mir unlängst eine kongolesische Aktivistin mit bitterem Sarkasmus, „wenn etwas mehr für die Frauen getan würde, die noch nicht vergewaltigt worden sind.“
Soll heißen: Viel fließt in die medizinische Nothilfe, einiges in die Reform der Justiz zwecks Bekämpfung der Straflosigkeit, aber immer noch herzlich wenig in die Prävention.

Prävention – das kann der Bau einer Straße ins isolierte Hinterland sein. Davon würden viele profitieren: Händler, die wieder Waren transportieren könnten; Polizisten und Richter, die schneller an ihren Einsatzort kämen; Hilfsorganisationen, die bislang abgeschiedene Regionen erreichten; Frauen, die sich sicherer bewegen könnten; Kriegsverletzte – und zu diesen zählen die meisten Vergewaltigungsopfer – die schneller in ein Krankenhaus gebracht werden könnten.

Prävention – das wäre vor allem die Reform des Militärs, von der nach Jahren internationaler Hilfe (unter anderem aus den Kassen der EU) immer noch herzlich wenig zu sehen ist. Das ist kein Problem, das einzelne Spender lösen können. Aber Spender sind auch Steuerzahler. Und als solche können sie – wie im Fall Afghanistan – ihre Regierungen und Abgeordneten fragen, was aus den hunderten Millionen Euro Aufbau- und Budgethilfe für die Regierung in Kinshasa eigentlich geworden ist.

 

„Barfuß-Anwälte“ im Kongo

Von Kinshasa nach Bukavu.  Keinen halben Tag dauert die Reise von der Hauptstadt in den Osten des Kongo – und doch wähnt man sich in einem anderen Land. In Kinshasa beherrschen die jüngsten Manöver von Weltbank und Gläubigern des hoch verschuldeten Kongo die Schlagzeilen. In Südkivu geht es um Probleme anderen Kalibers: die Hutu-Rebellen der FDLR, die kongolesische Armee und der low-intensity-war der beiden, den sie manchmal gegeneinander und meist gegen die eigene Bevölkerung austragen.

Nicht, dass dieser Konflikt überall sichtbar wäre. In Bukavu muss man dieser Tage nicht die FDLR fürchten, sondern die Erdrutsche der Regenzeit und die Lastwagen auf glitschigen Schlammpisten. Aber hier, in der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, laufen die Informationen aus dem Hinterland zusammen. Fast zwölf Monate sind vergangen, seit die kongolesische Armee den Hutu-Rebellen der FDLR offiziell den Kampf angesagt hat. Fast vier Wochen ist es her, seit die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die im deutschen Exil lebenden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni hat verhaften lassen. Ein schwerer Schlag für die Truppe, so hoffen UN-Experten. Und wie sieht die Lage vor Ort aus? Beginnen wir mit einer Stippvisite bei alten Bekannten.

„Schlecht“, konstatiert nüchtern Jean-Paul Ngongo, Anwalt und Chef der Menschenrechtsorganisation Vovolib (Voix des sans voix ni liberté). Nicht so dramatisch schlecht wie im Sommer, als zehntausende in Südkivu vor den Kampfhandlungen flohen. Aber, so Ngongo, es vergehe kaum ein Tag ohne getötete Zivilisten. Radio Okapi meldet FDLR-Attacken auf Dörfer im Territorium Uvira und neue Flüchtlinge in Shabunda. Auf Ngongos Schreibtisch liegt die herausgerissene Seite eines Schulheftes, „Territorium Kalehe, Bezirk Bunyiakiri, Gemeinde Karale, 16. November, 14 Uhr “ steht da mit akkurater Handschrift notiert. Der 16. November, das war einen Tag vor der Verhaftung von Murwanashyaka und Musoni in Deutschland. An diesem Tag sollen FDLR-Rebellen in Karale zehn Menschen exekutiert und mehrere Dorfbewohnerinnen vergewaltigt  haben. Die Provinzregierung spricht später von zwei Toten und neun Vergewaltigten.
Unstrittig sind die Ereignisse des Folgetages: Mehrere hundert wütende Demonstrantinnen aus Karale schleppen die Leiche einer verstümmelten Frau mehrere Kilometer bis zum nächsten UN-Stützpunkt, legen sie den pakistanischen Blauhelmen buchstäblich vor die Tür, rufen „Schluss mit den Vergewaltigungen“, beschimpfen die UN-Soldaten als Feiglinge und heimliche Komplizen der FDLR. „Was natürlich Unsinn ist“, sagt Ngongo, der selbst vor Ort war, „aber die Leute sind einfach zermürbt und verzweifelt.“ Weil die örtliche Polizei die Demonstration auflösen will, feuert sie Warnschüsse ab – offenbar nicht nur in die Luft. Zwei weitere Menschen werden getötet.
Ein ähnlicher Fall hatte sich einige Wochen zuvor unweit von Kamituga, rund 170 Kilometer südlich von Bukavu, ereignet. Zwei Männer wurden von FDLR-Trupps bei der Feldarbeit überfallen und enthauptet, eine Protestdemonstration der Bevölkerung endete mit Warnschüssen der Polizei – dieses Mal schoss sie tatsächlich nur in die Luft. So berichtet es nicht nur der Vizegouverneur der Provinz, Jean-Claude Kibala, so berichtet es auch Dieudonné  Wasolu, der das Außenbüro von Vovolib in Kamituga leitet. Wobei es sich in diesem Fall weniger um ein Büro, als um eine Holzhütte auf der Avenue Transco, Kamitugas Hauptschlammpiste, handelt. Eigentlich geht es der Stadt deutlich besser als noch vor einem Jahr.

Straßenmarkt in Kamituga

Straßenmarkt in Kamituga

Es gibt Strom, das Krankenhaus hat seinen Betrieb wieder aufgenommen, die Stadt selbst gilt als sicher, ebenso die Schotterstraße nach Bukavu, Waren sind billiger geworden, seit sie per LKW transportiert werden können und nicht mehr eingeflogen werden müssen. Fortschritte, die Richtung Wiederaufbau zeigen und auf die umliegende Region ausstrahlen könnten. Wäre da nicht der Krieg, sagt Wasolu, käme es im Hinterland nicht immer wieder zu Angriffen, Racheakten, Vertreibungen.

Zu sechst arbeiten sie hier an der „Avenue Transco“, ihre Ausstattung besteht aus ein paar Mobiltelefonen, Papier und Kugelschreibern. „Barfuß-Anwälte“ könnte man sie nennen, obwohl die meisten gar keine Juristen sind. Die Vovolib-Mitarbeiter fordern bei der Polizei Auskunft über Verhaftete, sie befragen Zeugen in Dörfern nach Attacken der FDLR, gehen in die maisons d’écoutes, um die Aussagen von Vergewaltigungsopfern aufzunehmen. So nennen sie die Beratungsstellen für Frauen, die oft nur aus einem Bretterverschlag bestehen.  Die Vergewaltigungen, sagt Wasolu, hätten deutlich zugenommen. Die Täter sind hauptsächlich FDLR-Rebellen und Armeeangehörige. Die neueste Taktik der Hutu-Rebellen aber „sind Entführungen. Sie überfallen ein Dorf, kidnappen ein Dutzend Leute und verlangen dann hundert Dollar Lösegeld pro Kopf. “

Diese jüngste Variante der Geldbeschaffung ist offenbar eine Folge der militärischen Schwächung der FDLR. MONUC-Sprecher wie lokale NGOs, deren Einschätzungen sonst weit auseinanderklaffen, sind sich zumindest darin einig: FDLR-Einheiten in Süd Kivu seien in kleinere Trupps aufgesplittert worden, hätten die Kontrolle über einige rohstoffreiche Gebiete verloren und sind jetzt ins Kidnapping-Geschäft eingestiegen. Das entspricht zumindest für Süd Kivu nicht ganz dem Bild der wieder erstarkten Rebellentruppe, welches eine Gruppe von UN-Experten in ihrem jüngsten Bericht an den Sicherheitsrat gezeichnet hat. Für die Bevölkerung verheißt das wenig Trost: Manche der Splittergruppen suchen einen Weg zu desertieren, viele andere sind unberechenbarer und in ihren Aktionen brutaler als zuvor.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Kamituga nun die 14. Brigade der kongolesischen Armee stationiert worden ist, eine für Plünderungen und Disziplinlosigkeit berüchtigter „Mistbande“, wie eine andere Menschenrechtsaktivistin sagt. Die 14. Brigade wird zudem verdächtigt, Geschäfte mit FDLR-Truppen zu machen. Dabei sind keineswegs alle Einheiten der kongolesischen Armee gleichermaßen verschrien. Es geben durchaus Brigaden, sagen lokale NGOs, die gut ausgebildet seien und sich diszipliniert verhielten.

Fahnenappell

Pakistanische Blauhelme beim Fahnenappell in Südkivu

Zurück in Bukavu sitzt Jean Paul Ngongo gerade über der Jahresbilanz in Sachen Strafjustiz. Vovolib hat im Jahr 2009 achtzehn Frauen juristisch betreut, die ihre Vergewaltiger angezeigt haben. In sechzehn dieser Fälle hätten die Richter Gefängnisstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verhängt. Sechs der Verurteilten seien schließlich im Gefängnis gelandet. Kongolesische Justiz-Arithmetik.
Und die anderen?
„Das Übliche“, sagt Ngongo. „Ein paar Scheine für die Wärter – und weg sind sie.“
Aber der Anwalt hat noch eine überraschende Statistik parat: Zehn dieser Urteile seien vom Militärgericht verhängt worden, in einem Fall sogar gegen einen Oberst. Zehn Urteile wegen Vergewaltigung gegen Soldaten und Offiziere? Wenn der gute Ngongo sich da nicht verzählt hat, dann ist das ein erstaunlicher Fortschritt.
Wie kommt’s?
„Internationaler Druck. Die UN sind massiver aufgetreten, der Besuch von Hillary Clinton im Ostkongo hatte Wirkung“, sagt Ngongo. „Außerdem viel Aufklärung vor Ort. Und mehr mutige Frauen, die vor Gericht gehen.“

 

Szenen aus Kinshasa: Der Stuhl des Leoparden

Seit einer Woche wieder auf Besuch in Kinshasa. Es wird höchste Zeit, sich endlich einmal die Kulturstätten der Hauptstadt anzusehen. Das kongolesische Nationalmuseum liegt auf dem Gelände von Mobutus ehemaligem Amtssitz im Stadtteil Mont Ngaliema. Soldaten öffnen das Tor,  nicht ohne vorher ausgiebig den Kofferraum des klapprigen Toyota von Monsieur Vicky, meinem Taxifahrer, zu inspizieren. „Wie wär’ mit einer Spende für eine Cola“, sagt einer, was für einen Mann mit einer Kalaschnikow eine recht bescheidene Forderung ist. „Später“, sagt Monsieur Vicky.

Die Auffahrt zum Museum führt einen Hügel hoch, rechts treibt der Kongo-Fluss Richtung Atlantik, links steht ein haushoher runder Käfig, in dem Mobutu einst Leoparden gehalten haben soll. Sagt Monsieur Vicky im Flüsterton. Monsieur Vicky flüstert immer, wenn wir uns ehemaligen Palästen oder Amtsitzen Mobutus nähern. Monsieur Vicky ist ein gläubiger Christ, was Respekt vor den Geistern der Toten nicht ausschließt. Und da Mobutu nicht in seiner Heimat, sondern im marokkanischen Exil beerdigt worden ist, können seine Geister unmöglich ruhen. Also empfiehlt es sich, die Stimme zu senken.

Das Nationalmuseum hat den Charme eines Werkshofes, über den eine Schar talentierter Graffiti-Sprayer hergefallen ist. Im Hof rosten die Räder alter Lokomotiven und ein Kahn, mit dem seinerzeit Henry Morton-Stanley den Kongo-Fluss entlang fuhr. Offenbar hat sich seit längerem kein Besucher mehr hier blicken lassen, weswegen bei unserem Anblick drei ältere, kleine Herren aus einer Baracke stürzen, um unsere Führung zu übernehmen. Das Rennen macht das Männchen, das sich als „N’kanza Lutayi, secretaire scientifique“, als wissenschaftlicher Sekretär, vorstellt, und uns nun mit Hingabe zu den Schätzen des Museums führt: zuerst zu den verbeulten Aktenschränken, in denen auf 45.000 vergilbten Karteikarten jedes Ausstellungsstück handschriftlich registriert ist. Dann in eine Wellblechhalle mit einer geschätzten Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent, einem geschätzten Staubgehalt von 50 Prozent sowie „12903 Masken von 413 Stämmen“. Sagt Herr N’kanza.

Es sind herrliche, bizarre, wuchtige Holzgesichter, deren verschobene Proportionen an kubistische Bilder erinnern. Angefertigt von Maskenschnitzern der Tetela, Chokwe, Yeka, Kuba und anderen, die Gesichter und Grimassen für alle Sorgen, Riten und Lebenslagen entworfen haben: zur Initiation von Jungen und Mädchen in die Welt der Erwachsenen, zur Beerdigung des Dorfchefs, zur Heilung von Epilepsie, zur Vorbereitung auf Kriegszüge und zur Warnung vor Unglück. In der nächsten Halle lagern hunderte von Speeren und Lanzen, Schildern, Töpfen und Trommeln, dazwischen Pirogen und die Strohwand einer traditionellen Hütte. Dazu Musketen und Säbel, Hinterlassenschaften der europäischen „Entdecker“ und Kolonialherren.

Herr N’kanza präsentiert besonders stolz einen eiförmigen Helm mit der Aufschrift „Garde de Paris“, als wolle er sagen: ‚Seht her, Ihr habt nicht nur von uns geklaut. Wir haben auch Trophäen von Euch.’ Wenn auch sehr rostige. Der Kulturschatz eines ganzen Landes vermodert in dieser nationalen Rumpelkammer. „Wir sind im Krieg gegen Feuchtigkeit und Staub,“ sagt seufzend Herr N’kanza, „aber uns fehlen die Mittel.“

Monsieur Vicky ist unterdessen unruhig geworden. Er befürchtet, dass uns das Beste vorenthalten werden soll. „Fragen Sie nach dem Stuhl von Mobutu“, raunt er. „Irgendwo steht hier der Stuhl von Mobutu.“ Prompt fummelt Herr N’Kanza an seinem Schlüsselbund und öffnet die Tür zum Allerheiligsten, der „Abteilung für Archäologie“. Der Begriff der Archäologie wird im kongolesischen Nationalmuseum offenbar weit gefasst, denn außer einigen Speerspitzen und Tonscherben sind hier auch zu besichtigen: Mobutus Jagdtrophäen, darunter ausgestopfte Köpfe von Hirschen und Zebras; Haushaltswaren und Kitsch aus Europa, darunter Weinkrüge aus dem Badischen, Eierbecher aus Frankreich, Porzellan-Pudel aus England. Mittendrin stehen zwei Stühle. Der Linke ist mit abgeschabtem grünen Samt bezogen, auf der Rückenlehne ist das ehemalige goldene Landeswappen aufgedruckt mit dem Motto „Gerechtigkeit, Frieden, Arbeit“, wovon die Kongolesen seit der Gründung ihres Staates so gut wie nichts gesehen haben. Hier pflegte Mobutus Gattin Platz zu nehmen. Der rechte ist aus schwarzem Ebenholz geschnitzt und mit Leoparden-Fell bezogen. Mobutus „Thron“.

Wir stehen unschlüssig vor dem guten Stück. „Fotografieren verboten“ steht auf einem Schild. Aber Sekretär N’Kanza ist großzügig. „Setzen Sie sich ruhig drauf“, sagt er, was ich mir nicht zwei Mal sagen lasse. Monsieur Vicky tritt nervös von einem Fuß auf den anderen.  Als ich aufstehe, springt er mit einem Satz in den Stuhl. „Schnell, ein Foto.“
Monsieur Vicky auf Mobutus Stuhl Monsieur Vicky auf dem Stuhl Mobutus

Siehe da, es sitzt sich gut auf dem Leopardenfell des Diktators. Vicky probiert ein paar Posen, rutscht hin und her, grinst sichtlich überrascht über die eigene Courage. Zum Teufel mit den Geistern Mobutus, dies ist die späte, kleine Rache eines ehemaligen Untertanen. Ich möge ihm beim nächsten Besuch in Kinshasa einen Abzug des Fotos mitbringen, sagt er. So groß wie irgend möglich.

 

News from Kinshasa: Ein deutscher Haftbefehl und seine Folgen

Ist das der Anfang vom Ende der FDLR? Seit Dienstag muss die Hutu-Miliz, die seit Jahren die Zivilbevölkerung im Ost-Kongo terrorisiert, ohne ihr Führungsduo auskommen. Ignace Murwanashyaka, der Präsident der FDLR, und sein Stellvertreter Straton Musoni, beide seit Jahren in Deutschland lebend, sind verhaftet und sollen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden.  Murwanashyaka wird beschuldigt, von Deutschland aus als Oberbefehlshaber der bewaffneten Truppen im Ostkongo agiert zu haben und „Rädelsführer einer Terrororganisation“ gewesen zu sein. Musoni wird vorgeworfen, ihn in militärischen Angelegenheiten vertreten und beraten zu haben.

‚Es wurde aber auch Zeit!‘ – so kann man die Reaktion des Leiters der UN-Mission im Kongo (MONUC), Alan Doss, beschreiben. Doss bezeichnete die Festnahmen im fernen Deutschland als Schritt in „eine friedlichere Zukunft des Kongo“ und forderte, dass andere Länder, in denen FDLR-Funkionäre Zuflucht gefunden haben, dem deutschen Beispiel folgen.

Mehr noch als in Kinshasa beherrschen die Nachrichten aus Deutschland im Ost-Kongo das Tagesgespräch. Menschenrechtler begrüßen die Verhaftung, fürchten aber eine Eskalation der Gewalt durch den harten Kern der FDLR. Der besteht vor allem aus Mittätern des Genozids 1994 in Ruanda und weiteren jüngeren Kommandeuren, die um ihre Einnahmequellen aus Rohstoffschmuggel und Zwangsarbeit fürchten.

Zweifellos dürfte die Festnahme und Anklage gegen Murwanashyka und Musoni die Truppe nachhaltig schwächen. Die internationalen Medienauftritte Murwanashyakas sind den Fußtruppen im Ost-Kongo immer wieder als Propaganda und als „Beweis“ für die internationale Bedeutung der FDLR vorgespielt worden. Viele der jungen Milizionäre aber, die selbst nicht in den Völkermord in Ruanda verwickelt waren, sind des bewaffneten Kampfes müde. Die Nachricht von der Verhaftung ihrer Chefs könnte eine Welle der Desertionen auslösen – trotz des gut funktionierenden Überwachungssystems innerhalb der FDLR.

Dass deutsche Behörden so lange brauchten, um gegen die beiden FDLR-Führer vorzugehen, ist einer Mischung aus politischer Ignoranz und objektiven juristischen Hürden zuzuschreiben. Der Terror der Hutu-Miliz im fernen Afrika passt nicht in das Schema des „Krieges gegen den (islamistischen) Terror“. Also wurde er politisch lange Zeit unter der Rubrik „unübersichtliche afrikanische Stammeskriege“ abgeheftet. Murwanashyaka bekam im Jahr 2000 sogar politisches Asyl – ein Skandal, den die zuständige Verwaltungsgerichtsbarkeit bis heute nicht behoben hat.

Gleichzeitig war es für Ermittler im Strafverfahren zweifellos schwierig, Zeugen und Beweismaterial gegen Verdächtige zusammen zu tragen, die mehrere tausend Kilometer vom Tatort entfernt agiert haben. Ein erstes Verfahren gegen Murwanashyaka scheiterte 2006 aus Mangel an Beweisen.

Die Nummer drei des Diaspora-Netzwerks der FDLR bleibt nach wie vor unbehelligt. Der Exekutivdirektor der FDLR, Callixte Mbarushimana, lebt seit Jahren in Paris. Im Gegensatz zu Murwanashyaka, der zum Zeitpunkt der Völkermords in Ruanda bereits als Student in Deutschland lebte, steht  Mbarushimana im Verdacht, 1994 selbst gemordet zu haben. Bis auf weiteres übernimmt er jetzt offenbar die Pressearbeit der Miliz. „Es existiert keine Strategie der FDLR, Zivilisten anzugreifen“, erklärte er gegenüber der BBC. Nach Angaben der französischen Behörden gibt es keine Ermittlungen gegen den ruandischen Hutu, der 1994 ausgerechnet als UN-Mitarbeiter dafür gesorgt haben soll, dass sämtliche Tutsi unter seinen Kollegen massakriert wurden.

Für die Zivilbevölkerung im Ostkongo, so steht zu befürchten, wird sich vorerst nicht viel ändern. Selbst wenn die FDLR wie durch ein Wunder in den nächsten Wochen aufgelöst werden sollte, steht den Menschen dort ein alter, neuer Feind gegenüber: die eigene Armee.

Seit Februar verfolgen kongolesische Soldaten die Hutu-Miliz der FDLR, und werden dabei von UN-Blauhelmen unterstützt. Kimia II heisst diese Operation. Der UN-Sonderermittler Philip Alston hat nun mehrere Massaker der Armee in Nordkivu dokumentiert, darunter eines, bei dem im April diesen Jahres rund 50 Zivilisten erschossen oder erschlagen, und mindestens 40 Frauen verschleppt wurden. Einigen gelang die Flucht, sie berichten von Vergewaltigungen und Verstümmlungen. „Manchen“, so Alston, „hatte man Teile der Brust abgehackt.“

Alston, ein australischer Völkerrechtler ist seit 2004 der UN-Sonderberichterstatter für extralegale, massenhafte und willkürliche Hinrichtungen. Er recherchiert Morde und Exekutionen von Paramilitärs in Kolumbien, Polizisten in Brasilien oder Spezialkommandos in Sri Lanka. Im Kongo hat er nun zum ersten Mal Kriegsverbrechen einer Armee ermittelt, die von den UN militärisch unterstützt werden. Die UN reagierte mit der Erklärung, ab sofort jede Unterstützung für jene Armee-einheiten einzustellen, die für das Massaker verantwortlich gemacht werden. Das ändert nur nichts am katastrophalen Fazit von Kimia II.  Auf der Erfolgsseite der Bilanz stehen 1071 entwaffnete FDLR-Kämpfer. Auf der Negativseite 1193 getötete Zivilisten, mindestens 7000 Opfer von Vergewaltigungen und 900.000 Flüchtlinge. Macht pro entwaffnetem Milizionär einen toten Zivilisten, sieben Vergewaltigte und 900 Vertriebene.

Alstons Empfehlungen sind schon hunderte Mal vorgetragen worden, aber deswegen nicht weniger richtig: Straflosigkeit ist die Wurzel des Problems. Soldaten, die wissen, dass sie für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, werden weiterhin Verbrechen begehen. Also braucht es nicht nur die immer wieder geforderte Armee-Reform, sondern auch den Aufbau einer Militärgerichtsbarkeit. Alles leicht gesagt und unendlich mühsam umzusetzen. Aber in Afghanistan hat man diese Lehren immerhin endlich gezogen und investiert entsprechend Geld und Personal. Im Kongo aber hat sich donor fatigue breit gemacht, die gefürchtete Geber-Müdigkeit. Und die meint nicht nur das Geld, sondern auch den politischen Willen.

 

Kongos erster (alternativer) Nobelpreisträger

Hier ein kurzes Portrait (erschienen in der ZEIT vom 15.10.) des kongolesischen Umweltschützers und Menschenrechtlers René Ngongo Mateso, der dieses Jahr den„Right Livelihood Award“, den alternativen Nobelpreis, erhält. Wer mehr über den Mann erfahren will: Bei einem Deutschland-Besuch 2007 gab er der Online-Redaktion des Greenpeace-Magazin zusammen mit seinem Mitstreiter Adrien Sinafasi Makelo ein ausführliches Interview.

Der Pionier

Barack Obama glaubt selbst nicht, dass er den Friedensnobelpreis wirklich verdient. René Ngongo müssen solche Zweifel nicht plagen. Der 48-jährige Kongolese hat dieses Jahr den Right Livelihood Award, den Alternativen Nobelpreis, gewonnen. Nicht für Reden, sondern für Taten – vor allem gegen den Klimawandel. Wenige Wochen vor der großen UN-Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen, deren Erfolg derzeit wieder in den Sternen steht, ist die Entscheidung der Jury ein Mahnruf.

Ngongo ist ein Pionier der Ökologiebewegung in seinem Land. Weil sich Umweltschützer im Kongo zwangsläufig mit Rohstofffirmen, korrupten Politikern und Milizen anlegen, hat er neben erstaunlichen Erfolgen auch zahlreiche Morddrohungen gesammelt.

Als Rebellen, Militärs und ausländische Armeen das Land sechs Jahre lang in verheerende Kriege stürzten, dokumentierte der gelernte Biologe den Rohstoffraub durch die Kriegsparteien. Das Land ist reich an Kupfer, Diamanten, Gold und Erzen – und dieser Reichtum ist ihm immer wieder zum Verhängnis geworden.

Ausgerechnet der Schatz, dem Ngongos größte Aufmerksamkeit gilt, ist jetzt, im Frieden, besonders gefährdet. Bereits 1994 hatte er die Organisation OCEAN gegründet, deren Mitglieder sich für Wiederaufforstung und nachhaltige Forstwirtschaft einsetzen. Im Kongo befindet sich der nach dem Amazonasgebiet zweitgrößte Regenwald, »die zweite Lunge des Planeten«, wie Ngongo ihn nennt.

Während der Kriegsjahre war den meisten Holzfirmen die Arbeit zu gefährlich, es wurden weniger Bäume gefällt. Mit dem Frieden sind auch die Holzfäller zurückgekommen. Laut Greenpeace könnte der Kongo bis zum Jahr 2050 vierzig Prozent seines Regenwaldes verlieren.

Ngongo arbeitet inzwischen am Aufbau von Greenpeace im Kongo, dokumentiert weiter illegalen Rohstoffabbau und erklärt willigen Politikern und Aktivisten die nationalen Gesetze zum Bergbau und zur Forstwirtschaft, die so schlecht gar nicht seien. Nur müsste jemand auf ihre konsequente Einhaltung achten. Wie dramatisch der Klimawandel die Welt verändern wird, hängt ganz maßgeblich von seinem Heimatland ab.

 

Neues über Ignace M.

Eine Leseempfehlung: die taz veröffentlicht in ihrer Wochenendausgabe eine ausführliche Recherche über die Hutu-Miliz FDLR und ihren Präsidenten Ignace Murwanashyaka, der in Deutschland als anerkannter Flüchtling lebt.

Die anhaltenden Kriegsverbrechen der FDLR im Ostkongo sind ausführlich dokumentiert, ebenso der Umstand, dass zahlreiche Führungsmitglieder zu den Haupttätern des Genozids von Hutu an rund 800.000 Tutsi 1994 in Ruanda zählen. UN-Experten haben zudem das Netzwerk der FDLR-Exilanten in Europa und Nordamerika durchleuchtet. Bleibt die Frage, die wir Anfang August auch in der ZEIT gestellt haben: Warum wird Murwanashyaka nicht angeklagt? Warum hat er immer noch den Status eines anerkannten politischen Flüchtlings inne?

Weil es bislang angeblich nicht genügend Beweise gibt, um der FDLR konkrete Verbrechen und Murwanashyaka eine direkte Verantwortung nachzuweisen. Laut taz finden sich aber durchaus Zeugen: in Ruanda unter Aussteigern, also ehemaligen FDLR-Offizieren, die mit Hilfe der UN demobilisiert und in ihre Heimat zurückgebracht worden sind:

„Offiziere der militärischen Führung bestätigen: Alle wichtigen Entscheidungen – ob die FDLR sich zum Angriff wappnet oder zurückzieht, welche Allianzen sie mit kongolesischen Truppen eingeht – werden in Deutschland getroffen, unter Murwanashyakas Codename „Mihigo“. Die UN-Mission im Kongo verfügt über einen Funkspruch der FDLR vom März, der die aktuelle Terrorstrategie der Miliz darlegt, seit sie von Kongos Armee aktiv bekämpft wird: „Versorgungsoperationen durch Schläge gegen die Armee, um Munition und Waffen zu erbeuten, sowie gegen Krankenhäuser und Gesundheitszentren vorgehen, um Medikamente zu erbeuten“, werden darin befohlen, und auch: „Die Bevölkerung angreifen, um eine humanitäre Katastrophe zu verursachen.“

Hört sich nach nach recht handfestem Beweismaterial an.