Der kongolesische Menschenrechtler Jean-Paul Ngongo ist tot. LeserInnen dieses Blogs kennen ihn als Anwalt und Leiter der Organisation VOVOLIB (Voix des sans voix ni liberté – Stimme derer ohne Stimme und Freiheit). Er starb vergangene Woche nach schwerer Krankheit in seiner Heimatstadt Bukavu.
Ich traf Ngongo zum ersten Mal im Sommer 2007, zu einem Zeitpunkt, da die Sicherheitslage für Leute wie ihn besonders prekär war. Kritische Journalisten erhielten ebenso Todesdrohungen wie Anwälte und Aktivisten, die Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch Mächtige anprangerten und das bis dahin Undenkbare wagten: mutmaßliche Täter vor Gericht zu bringen.
VOVOLIB gehört zu den kongolesischen Organisationen, die sexualisierte Gewalt dokumentierten, lange bevor westliche Medien das Thema entdeckten. Ihre MitarbeiterInnen befragen Opfer (Frauen wie Männer) und benennen Verdächtige, auch wenn diese die Uniform der Armee tragen und damit vielerorts immer noch als „unantastbar“ gelten. Die wenigen Frauen in Bukavu, die 2007 den Mut hatten, gegen Soldaten oder Offiziere vor Gericht auszusagen, wurden von VOVOLIBs Anwälten vertreten und von Helfern betreut. Bei unserem ersten Gespräch im winzig kleinen Büro der Organisation berichtete Ngongo – noch sichtlich unter Schock – dass wenige Tage zuvor eine seiner Mitstreiterinnen vor ihrem Haus erschossen worden war. Sie hatte eine vergewaltigte Frau im Verfahren gegen einen Offizier begleitet.
Dass über die letzten Jahre in Südkivu spürbare, wenn auch immer noch viel zu kleine Fortschritte im Kampf gegen Straflosigkeit zu verzeichnen sind, ist vor allem Leuten wie Ngongo zu verdanken. Die kongolesische Justiz befindet sich immer noch in einem erbärmlichen Zustand, aber der ist eben nicht mehr ganz so erbärmlich wie 2007. Inzwischen sind in mehreren Fällen nicht nur Soldaten, sondern auch Offiziere wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden.
Zusammen mit anderen NGOs hat VOVOLIB die Verbrechen von Rebellengruppen dokumentiert wie zum Beispiel der Hutu-Milizen der FDLR. Deren politische Führungsspitze, die im europäischen Exil operierte, muss sich inzwischen vor der Justiz verantworten – nicht im Kongo, sondern vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Ich habe mich – und ihn – oft gefragt, wie man das aushält. Wie man über anderthalb Jahrzehnte den schlimmsten Tatort von Kriegsverbrechen seit 1945 auf der Suche nach Wahrheit buchstäblich umgräbt, zwischendurch selbst mit der Familie fliehen oder abtauchen muss, nur um nach dem Abzug einer Rebellentruppe sofort wieder mit Stift, Block und Aufnahmegerät die angerichtete Verheerung zu dokumentieren. Seine Frau, eine Krankenschwester, hat von dieser Verheerung ebenfalls viel gesehen. „Manchmal macht es einen müde“, war alles, was er dazu sagte.
Ich selbst verdanke Jean Paul Ngongo lange Gespräche, ohne die ich die horrende Geschichte seines Landes nicht annähernd verstanden hätte. Auf mehreren Reisen ins Hinterland der Provinz habe ich ihn begleitet. Er war ein ziemlich schlechter Autofahrer und ein unschätzbarer Führer und Übersetzer. Seine Kontakte eröffneten mir Gespräche mit Bäuerinnen, Dorfältesten, Lehrerinnen, Ärzten, die ich allein oder im Tross einer ausländischen, weißen Delegation nie hätte führen können. Er vermittelte mir Interviews mit Gefängnisinsassen, Polizisten und Richtern, die ich sonst nie bekommen hätte.
Vor allem aber war er frei von politischer und ethnischer Ideologie, was im Kongo auch in Kreisen von Menschenrechtlern nicht selbstverständlich ist. Menschenrechte waren für ihn unteilbar und universal.
Jean Paul Ngongo wurde 44 Jahre alt. Er hinterlässt Frau und vier Kinder.