Es war eine durchaus erstaunliche Rede, die Salva Kiir, Präsident der Republik Südsudan, vergangenen Samstag zum Tag der Unabhängigkeit in Juba gehalten hat. Zwischen Pathos und Euphorie verabreichte er einige (Selbst)Kritik – adressiert an die eigene politische Elite und den zerstrittenen Vielvölkerstaat, der nun unter einer eigenen Fahne zusammengehalten werden muss.
Der Südsudan, der immerhin seit über fünf Jahren autonom regiert wird, habe sich, so Salva Kiir, bislang unfähig gezeigt, „die wichtigsten Grundbedürfnisse seiner Bürger zu befriedigen.“ Man breche „untereinander Konflikte vom Zaun“, die man auch friedlich lösen könne. „Von heute an haben wir keine Ausreden und keine Sündenböcke mehr. Es ist unsere Verantwortung, uns selbst, unser Land und unsere Ressourcen zu schützen.“ Stimmt alles, und man sollte den Mann in den kommenden Monaten und Jahren immer wieder an diese Worte erinnern.
Das Land schützen – damit ist nicht nur der Schutz vor Angriffen von außen gemeint. Die Landfrage war und ist eine Schicksalsfrage im Sudan. Landkonflikte haben eine erhebliche Rolle im jahrzehntelangen Bürgerkrieg gespielt und sie sind eines der zentrale Probleme für den neuen Staat im Süden.
Wem gehört das Land? Wer darf es wann und wie nutzen? In Europa sind Antworten darauf relativ einfach. Land ist entweder in öffentlichem oder privatem Besitz, Genaueres erfährt man beim Kataster – und Grundbuchamt. Aber in den meisten afrikanischen Ländern sind die Besitzverhältnisse alles andere als klar.
Beispiel Südsudan: Nicht, dass hier Platzmangel herrschte. Auf einer Fläche etwas größer als Frankreich leben rund neun Millionen Menschen. Die große Mehrheit, fast 80 Prozent, ernährt sich durch Viehzucht und Ackerbau. Krieg und Flucht haben alte Besitz-und Nutzungsverhältnisse oft zerstört oder verwischt. Jetzt kommen neue Probleme hinzu: moderne Gesetze kollidieren mit Gewohnheitsrecht. Neue Gemeinde- oder Provinzgrenzen zerteilen angestammte Gebiete bestimmter Volksgruppen, zerschneiden traditionelle Wege von Viehhirten zu Wasserstellen und Weideland. Rückkehrer , die während des Krieges in den Norden geflohen waren und nun vom Regime in Khartum systematisch heraus geekelt werden, stellen Ansprüche auf Land.
Reichlich Konfliktstoff also in einer neugeborenen Nation, in der es noch keine funktionierende Justiz gibt und Landkommissionen auf zentraler und einzelstaatliche Ebene nicht arbeitsfähig sind.
Reichlich Gelegenheit auch für „risikobereite Investoren“, sich riesige Flächen in – gelinde gesagt – dubiosen Verträgen zu sichern. In ihrer Studie „The New Frontier“ (Die neue Grenze – oder: das neue Grenzland) haben mehrere Untersuchungsteams im Auftrag der norwegischen Hilfsorganisation „Norwegian People’s Aid“ (NPA) Landverträge im Südsudan untersucht. Mit dem beunruhigenden Ergebnis, dass „ausländische Interessenten zwischen 2007 und Ende 2010 insgesamt 2.64 Millionen Hektar Land (26.400 Quadratkilometer) für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und die Produktion von Biotreibstoff entweder erworben oder zu erwerben versucht haben.“
Sich ausländische Investoren ins Land zu holen, ist per se nicht schlecht. Wenn ein Staat auf der Welt dringend eine Steigerung der Produktivität im Agrarsektor benötigt, dann ist es der Südsudan. Trotz fruchtbarer Böden ist dort ein Drittel der Bevölkerung auf Nahrungshilfe von außen angewiesen.
Die Frage ist nur: Wer sind die Investoren? Wer kontrolliert sie und ihre Verträge? Und wer stellt sicher, dass die Menschen, das Land und die Ressourcen dabei geschützt werden?
Der Sudan hat mit dem Phänomen des land grabbing reichlich Erfahrungen – und die sind zumindest aus Sicht der Bevölkerung durchweg schlecht. Schon in den 60er und 70er Jahren, als der Begriff noch gar nicht existierte, forcierte die Regierung in Khartum Programme zur groß angelegten Mechanisierung der Landwirtschaft: Große Agrarflächen wurden an Polit-Funktionäre, Armeeoffiziere und Privatunternehmer vergeben, Kleinbauern und Viehhirten vertrieben. Besonders hart betroffen von dieser Art der staatlichen „Landnahme“ waren die Nuba-Berge und die Region Blauer Nil, deren Bewohner sich genau aus diesem Grund während des Bürgerkriegs auf die Seite der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM/SPLA schlugen. In den Nuba-Bergen, die zum Territorium des Nordens gehören, ist der Krieg inzwischen neu aufgeflammt – mit offenbar verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung.
Land grabbing bekam in den vergangenen Jahren eine neue Qualität: Weil Preise auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel zunehmend dramatischen Schwankungen ausgesetzt sind, verlegen sich reichere Staaten darauf, in anderen Ländern gigantische Agrarflächen auf Jahrzehnte zu pachten, um mit den Erträgen die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. „Die neue Welle des Outsourcing“ nennt das der Economist. Das sudanesische Regime hat sich für solche Deals ganz besonders empfänglich gezeigt und rund 1.5 Millionen Hektar seines besten Agrarlandes an Ägypten, Südkorea und mehrere Golfstaaten verpachtet. Auf 99 Jahre.
In der Vergangenheit betraf das überwiegend Terrain im Norden des Landes. Im Süden verloren Dörfler und Kleinbauern ihr Land in den ölreichen Gebieten, um Platz und „Pufferzonen“ rund um Ölfelder und Pipelines zu schaffen. NPA dokumentiert nun in seiner Studie mehrere fragwürdige Landdeals im Südsudan: Im ölreichen Einzelstaat Unity hat die amerikanische Investment Firma „Jarch Management“ schon 2009 400.000 Hektar von einem südsudanesischen Joint-Venture geleast, das von der Familie eines Warlords geführt wird. Der hatte im Bürgerkrieg mal auf der einen, mal auf der anderen Seite gekämpft, sein Besitzanspruch auf das verpachtete Land basiert schlicht auf der Macht seiner Miliz.
Jarch-Boss Philippe Heilberg, ein ehemaliger Wall Street-Banker mit guten Beziehungen zur Washingtoner Polit-Szene, erklärte damals gegenüber der Financial Times, er habe sich auf Landgeschäfte in Staaten spezialisiert, die von Zerfall bedroht seien.
Kaum hundert Kilometer südlich der Hauptstadt Juba hat eine amerikanische Firma namens „Nile Trading and Development“ von einer ominösen einheimischen Kooperative 600.000 Hektar gepachtet – mit einer Option auf weitere 400.000 Hektar, um mechanisierte Landwirtschaft zu betreiben, Biotreibstoff herzustellen und auf diese Weise auch in den Emissionshandel einzusteigen. Und im Einzelstaat Eastern Equatoria hat sich ein Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den Großteil eines Nationalparks gesichert, um den Ökotourismus aufzubauen. „Öko“ klingt immer gut. Doch erkundigt man sich in Juba nach diesem interessanten Vorhaben, runzeln die wenigen Landrechtsexperten und Umweltschützer die Stirn. Bis jetzt gebe es dort lediglich eine solide ausgebaute Start-und Landebahn, und der Tourismus beschränke sich auf luxuriöse Jagdausflüge von Scheichs samt ihrer Entourage.
Verfasser der NPA-Studie ist David Deng, Sohn eines südsudanesischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, Stipendiat und Absolvent der Jura-Fakultät der New York University. Auffällig sei, so Deng bei einem Treffen in Juba, dass die betroffene Bevölkerung in vielen Fällen überhaupt noch nicht wisse, dass ihnen das Land unter den Füßen weggezogen wurde. „Die meisten Investoren haben ihre Gebiete noch gar nicht angerührt“, sagt Deng, was wiederum den Verdacht nahelegt, dass auch Spekulanten am Werk sind, die die betreffenden Flächen mit vielfachem Gewinn weiter verpachten wollen.
Was also wäre zu tun?
„Erst einmal müsste man ein Moratorium verhängen“, sagt Deng. „Keine weiteren Verpachtungen, bis nicht klare gesetzliche Grundlagen und Kontrollmechanismen geschaffen sind.“ Von den meisten Deals wussten weder die zuständigen Ministerien noch das Parlament in Juba. Regierung und Parlament werden dann auch untersuchen müssen, inwieweit die bereits geschlossenen Verträge annulliert werden müssen. Vorausgesetzt, sie meinen ernst, was Salva Kiir in seiner Rede am vergangenen Samstag beschwor. Dass von nun an nur noch eines zähle: „Das Gemeinwohl, das Gemeinwohl, das Gemeinwohl.“