Lesezeichen
 

Wie ein Israeli die Wahl im Kosovo gewann

Zur Feier des Wahltages hatte die KEK den Kosovaren am Samstag versprochen, 24 Stunden lang Strom zu liefern. Die KEK ist keine politische Partei, sondern der einzige Stromkonzern im Kosovo. Das Kürzel steht offiziell für „Korporata Energjetike e Kosoves“, die Kosovaren aber lesen: „Korruption, Energiemangel und kalte Füße“.

Denn in weiten Teilen des Kosovo gilt acht Jahre nach Kriegsende immer noch der „drei-drei-Rhythmus“. Oder der „vier-zwei-Rhythmus“. Soll heißen: Ein paar Stunden lang kommt Saft aus der Steckdose, ein paar Stunden lang kommt nichts. Das schlägt gewaltig auf die Stimmung. Vor allem an kalten Novemberabenden.

Wenn man also wissen will, warum die Beteilung an der Parlamentswahl am Samstag so erbärmlich niedrig war (vorläufigen Schätzungen zufolge lag sie bei 40 bis 45 Prozent), dann lautet die Antwort ganz einfach: KEK.

KEK ist in den Augen der Kosovaren das Synonym für alle Enttäuschungen seit Ende des Krieges: für unfähige Politiker, die anhaltend katastrophale Arbeitslosigkeit von 60 Prozent, waschbeckengroße Schlaglöcher in den Straßen; für ein Universitätskrankenhaus, in dem, „du dir nicht mal den Blinddarm entfernen lassen möchtest“, sagt mein Übersetzer Shpetim. Und die KEK ist auch Synonym für eine äußerst unbeliebte UN-Verwaltung der wir uns an anderer Stelle ausführlich widmen werden.

Also blieben die meisten Kosovo-Albaner bei Schneeregen und Saukälte zuhause. Zumal die KEK ihr Verprechen weitgehend hielt und von morgens bis abends Strom lieferte. Wohnungen und Kneipen waren durchgehend beheizt, es war viel angenehmer, das politische Personal vor dem Fernseher zu beschimpfen, als ihm seine Stimme zu geben.

Zum Sieger der Wahl hatte sich gegen ein Uhr morgens Hashim Thaci erklärt, einst ein Kommandant der paramilitärischen UCK, jetzt Chef der oppositionellen Demokratischen Partei (PDK). Nach meiner völlig unrepresentativen Volksbefragung in diversen Kneipen von Prishtina gilt die PDK derzeit als „nicht ganz so schlimm“ wie die bislang regierende Demokratische Liga (LDK). Die Partei Ibrahim Rugovas, der inzwischen verstorbenen Kultfigur des anfangs gewaltfreien Kampfes um Unabhängigkeit, verlor aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe und interner Machtkämpfe deutlich.

Platz drei geht an die „Allianz Neues Kosovo“, eine Neugründung des Baulöwen Behget Pacolli, der nach dem Motto „Wo-ich-bin-sind-Arbeitsplätze“ ein Ende der Wirtschaftsmisere versprach. Der Mann ist eine Art Ross Perot des Kosovo und wäre wahrscheinlich mit deutlich mehr Stimmen bedacht worde, hätte er seine Millionen nicht mit Bauprojekten in Moskau verdient. Wer sein Glück in Russland, dem entschiedenen Gegner kosovarischer Unabhängigkeit, gemacht hat, kann im Kosovo keine Wahlen gewinnen.

Bleiben die Dardanische Demokratische Liga, eine Abspaltung der LDK; die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ramush Haradinaj – der ehemalige UCK-Kommandant war im Wahlkampf verhindert, weil er wegen Kriegsverbrechen vor dem Den Haager UN-Jugoslawien-Tribunal auf der Anklagebank sitzt. Und es bleibt die ORA, die Partei der kosovarischen Kaffeehaus-Intelligentsia unter Führung des Verlegers Veton Surroi. ORA wurde gestern offenbar unter die Fünf-Prozent-Marke durchgereicht. So widerfährt es Intellektuellen in der Politik, wenn das Volk nicht mehr weiss, wie es Brot und Benzin bezahlen soll.

Wie geht es nun weiter? „Mit der Unabhängigkeit“, sagt Hashim Thaci. Gleich nach dem 10. Dezember will er ein souveränes Kosovo ausrufen – dann nämlich, wenn die Troika aus EU, USA und Russland dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das absehbare Scheitern der letzten Verhandlungsrunde zwischen Prishtina und Belgrad über den zukünftigen Status des UN-Protektorats verkündet.

Wahrscheinlich wird es so schnell nicht gehen. Irgendwann Anfang 2008, sagen die Kaffeesatzleser, wird das Kosovo unter serbischem Geschrei und kalkuliertem russichen Grollen in die ersehnte Unabhängigkeit stolpern. Und bis dahin dürfte der Euphorie-Pegel noch weiter sinken. Der Preis für einen Laib Brot ist in den vergangenen zwei Monaten von 25 auf 50 Cent gestiegen, der Liter Benzin kostet inzwischen 1,10 Euro, Billig-Zigaretten (für viele Kosovaren ein Hauptnahrungsmittel) 80 Cent pro Packung. Das macht bei einer Schachtel pro Tag 24 Euro im Monat, ein Zehntel des durchschnittlichen Monatsgehalts von 240 Euro – wenn man denn Arbeit hat.

Nicht, dass die Kosovo-Albaner von ihrer Forderung nach einem eigenen Staat abrückten. Aber die Zumutungen des Alltags trüben zunehmend die Vorfreude. Und so war es nicht verwunderlich, dass der Wirt der durchräucherten Trattoria „Tirana“ in Prishtina gestern abend die Wahlberichterstattung im Fernsehen abwürgte – und auf Fußball umschaltete.

Gerade rechtzeitig zur Schlussphase des Länderspiels Israel gegen Russland, Spielstand 1:1. Als dem Fussballzwerg Israel in der 92.Minute der Siegtreffer gelingt, liegen sich im „Tirana“ alle in den Armen. „Russia, ass kick“, brüllt einer der Gäste, damit sich auch die Ausländer im Lokal der politischen Bedeutung dieses Tores bewusst werden. Omer Golan heißt der Torschütze. Im „Tirana“ war er an diesem Samstag der Wahlsieger.

 

Glückspilze und Elendsdiamanten

Er ist Kongos Glückspilz des Jahres: Amos Maseko, Diamantensucher aus Banalia in der Provinz Orientale, hat in einem Flussbett einen Diamanten mit 143 Karat gefunden und für 1,4 Millionen Dollar an einen libanesischen Zwischenhändler verkauft. Das Geld soll nun an die Gewerkschaft gehen, der Maseko angehört. Die wird – hoffentlich im Geiste der Brüder-und Schwesterlichkeit – über die weitere Verwendung entscheiden.
Diamanten haben einiges von ihrem Glanz verloren, seit Menschenrechtsorganisationen in den 90er Jahren erstmals die Verbindung zwischen Diamantenschmuggel, Waffenhandel und Bürgerkriegen offen legten. Das hässliche Wort der „blood diamonds“ machte die Runde. Die Industrie, von der Reinheit der Steine ebenso abhängig wie von der Reinheit ihres Images, reagierte erstaunlich schnell mit freiwilligen Selbstkontrollen, Export-und Importländer haben inzwischen ein Zertifizierungssystem, den sogenannten Kimberley-Prozess, entwickelt, der es Kriegsherren und Rebellengruppen erschwert, Diamanten auf den Weltmarkt zu schmuggeln.
Nun ist der Stein, den Amos Maseko, gefunden hat, kein „Blutdiamant“. Die Zeiten, in denen warlords und ihre Milizen Kongos Bodenschätze plünderten und sich mit den Profiten hochrüsteten, sind (in fast) allen Landesteilen vorbei.
Nein, Maseko gehört nicht mehr zum Heer der Zwangsarbeiter, die für wechselnde Kriegsherren schuften mussten, sondern zum Heer der „creuseurs“, der „Schürfer“, die auf eigene Faust und Rechnung in verlassenen Bergwerken, Gruben, Schächten und in Flüssen nach Edelsteinen, Uran oder Erzen suchen. Es vergeht kaum eine Woche ohne tödliche Unfälle, die Arbeitsbedingungen sind mittelalterlich, die Erträge reichen kaum zum Überleben, die Profite machen Zwischenhändler und Endverkäufer. Tausende von Kindern verdingen sich als „creuseurs“ – alle in der Hoffnung, wie Amos Maseko den einen, großen Coup zu landen. Es sind keine „Blutdiamanten“, aber „Elendsdiamanten“, die auf diese Weise auf den Weltmarkt kommen.
Unter den „creuseurs“ finden sich viele ehemalige Arbeiter der staatlichen kongolesischen Bergbaugesellschaften, deren Bodenschätze in den Kriegsjahren nicht nur von Rebellen, sondern auch von der eigenen Regierung und ihren militärischen Verbündeten ausgeschlachtet wurden. Regierungsvertreter, Firmendirektoren, Offiziere aus Angola oder Zimbabwe transportierten die Rohdiamanten gleich säckchenweise aus den Bergwerken des staatlichen Miba-Konzerns in der Kasai-Region. Heute steht der Miba-Konzern am Rande des Konkurs. Der Export ist trotz Friedenszeiten um 80 Prozent gesunken, die Arbeiter seit Monaten nicht bezahlt, die Maschinen liegen still.
Warum? Nun, unter anderem, weil täglich tausende von „creuseurs“ ihr Glück auf dem Territorium der Miba versuchen – und sich notfalls mit Gewalt gegen die Sicherheitskräfte der Firma wehren, die sie unter Beschuss nehmen.
Womit man bei einem zentralen Problem des „neuen“, mehr oder weniger friedlichen Kongo wäre: Viele staatliche Bergwerksbetriebe sind, anders als Miba, längst ausgeschlachtet und noch von der Übergangsregierung zu Schleuderpreisen an ausländische Konzerne verkauft worden. Diese wollen nun unter Einsatz von möglichst viel Maschinen und möglichst wenigen Arbeitern mit der Ausbeutung ihrer Schatzgruben beginnen – in den Goldminen von Ituri und Süd-Kivu, in den Kupferbergwerken von Katanga, in den Diamantenfeldern der Kasai-Provinzen. Genau dort aber kratzen, schürfen, sieben und graben Tausende von „creuseurs“ täglich um ihr Überleben. Und die werden nicht friedlich abziehen – schon gar nicht, wenn klar ist, dass von den Profiten der multinationalen Konzerne so gut wie nichts in die Kassen der kongolesischen Zentral- und Provinzregierungen fließt. Nicht, dass es da besonders gut aufgehoben wäre. Aber wenn man die kongolesische politische Elite mittelfristig zu „good governance“, also zu effektivem, am Gemeinwohl orientiertem Regieren drängen will, dann muss erstmal Geld in die Kasse kommen. Nun hat aber eben diese Elite, darunter ihr alter und neuer Präsident Joseph Kabila, allein 2005 nach Schätzungen der Weltbank etwa 75 Prozent aller Kupfer-und Kobaltvorkommen verscherbelt. (siehe Kongo-Blog vom 27.12.2006)
Soll heissen: Minister und Berater verkauften die Konzessionen zu solche miserablen Bedingungen, dass dem kongolesischen Staat fast keine Einnahmen aus Lizenzgebühren oder Exportsteuern bleiben werden. Oder sie schlossen Joint Ventures ab, bei denen der Privatinvestor kein Eigenkapital beisteuern muss – ausser im Zweifelsfall den „Bonuszahlungen “an jene Regierungsmitglieder, die die Verträge abgeschlossen haben. Mindestens drei dieser Verträge zwischen dem bankrotten staatlichen Bergwerksbetrieb Geçamines und drei ausländischen Bergbaukonzernen sollen jetzt auf Drängen der Weltbank „überprüft“ werden. Bloß glaubt niemand, dass diese „Überprüfung“ Folgen haben wird.
Dabei hat eine andere afrikanische Politikerin gerade eindrucksvoll demonstriert, wie man’s macht: Im August 2005 hatte Mittal Steel, inzwischen nach einer Fusion unter dem Namen Arcelor Mittal der Welt grösster Stahlkonzern, mit der Übergangsregierung im kriegszerstörten Liberia einen Vertrag zum Abbau der liberianischen Eisenerzvorkommen abgeschlossen. Darin hatte die Übergangsregierung dem Konzernriesen fünf Jahre Steuerfreiheit zugesichert, ihm die Kontrolle über Hafen und Eisenbahn übertragen sowie den Aufbau einer privaten Sicherheitsarmee ausserhalb staatlicher Kontrolle erlaubt. Das grösste Geschenk für Mittal bestand darin, dass der Konzern das Eisenerz weit unter Weltmarktpreis an eine Tochtergesellschaft hätte verkaufen dürfen – und damit Lizenzgebühren und Exportsteuern an den liberianischen Staat gen Null gesunken wären.
Was ist nun der Unterschied zwischen dem Kongo und Liberia? Nun, in Liberia amtiert seit Januar 2006 Ellen Johnson-Sirleaf, Afrikas erstes weibliches Staatsoberhaupt, Ökonomin und Frauenrechtlerin. Johnson-Sirleaf bestand auf einer Neuverhandlung mit Arcelor Mittal. Ende Dezember wurden von Regierung und Konzernleitung ein neuer Vertrag unterzeichnet. Der Preis für das exportierte Eisenerz richtet sich nun nach den marktüblichen Regeln, Hafen und Eisenbahn bleiben Hoheitsgebiet des liberianischen Staates, der Konzern sichert Investitionen in Höhe von einer Milliarde Dollar zu – darunter Stipendien und Ausbildungsplätze.
„Eiserne Lady“ nennt man Ellen Johnson-Sirleaf in Liberia. Solange es die Richtigen trifft, ist das kein schlechter Spitzname.