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Geschäftsmodell: Nett sein zu Piraten

 

In einem Interview mit Fora.TV beschreibt der WIRED-Chefredakteur Chris Anderson ein Geschäftsmodell, demzufolge man von Netzpiraten durchaus profitieren könne. Verhindern kann man illegale Kopien von Musik, Film, Spielen und Software sowieso nicht, dafür ist das Kopieren technisch zu einfach und zudem äußerst billig zu bewerkstelligen.

Anderson hat jüngst mit seinem Buch „Free“ (hier der Link zum kostenlosen Audiobook) eine Bresche geschlagen für Geschäftsmodelle, die auf einer Kultur des Schenkens beruhen: Langfristig könnten sowohl Unternehmer als auch Künstler davon profitiert, wenn sie ihre Inhalte zunächst kostenlos heraus geben. Passend dazu will Anderson  jetzt auch eine Bresche schlagen für Software-Piraterie.

Als Beispiel nennt er den Software-Hersteller Microsoft. In Entwicklungsländern wie China kursieren derzeit vermutlich mehr illegale Microsoft-Kopien als lizensierte, und mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Der erste Reflex von Microsoft war anfangs, Druck auf Peking auszuüben und auf eine Bestrafung der Software-Piraten zu drängen.

Heute sieht die Situation völlig anders aus. Zwar halten die massiven Urheberrechtsverstöße an, aber Microsoft geht kaum noch ernsthaft gegen die Piraten vor. Bill Gates selbst hat dazu gesagt: „Der chinesische Markt entwickelt sich rasant. Wenn die Chinesen Software stehlen, dann ist es uns am liebsten, wenn sie wenigstens unsere Software stehlen.“

Dank kostenloser Software sänken die Kosten fürs Computing, was die wirtschaftliche Entwicklung beschleunige. Langfristig würden die Chinesen so in die Lage versetzt, für Software auch bezahlen zu können. Und dann wären Millionen bereits Kunde von Microsoft, und an die Produkte des Konzerns gewöhnt. Langfristig hat sich Microsoft damit also einen riesigen, neuen Markt erschlossen.

Heute behandelt Microsoft auch junge Firmen so: Start-ups, die weniger als 3 Jahre auf dem Markt sind und weniger als eine Million Dollar Umsatz machen, können Microsoft-Software kostenlos benutzen. Weil das ihre eigenen Infrastruktur-Kosten reduziert, werden die Firmen schneller in die Lage versetzt, zu expandieren. Und dann viele Lizenzen von Microsoft kaufen, so das Kalkül.

Könnte man diese These nicht auch auf jugendliche Netzpiraten anwenden? In der Tat laden vor allem junge Menschen Musik und Filme herunter. Junge Menschen, die in der Regel nur über ein knappes Taschengeld verfügen. Spielte Geld überhaupt keine Rolle – und wären offizielle Online-Shops benutzerfreundlich genug zu bedienen – trügen sicher viele von ihnen liebend gern dazu bei, dass Autoren und Musiker von ihrer künstlerischen Arbeit vernünftig leben könnten.

Die Branche klagt gerne über die durch Tauschbörsen entgangenen Einnahmen. Selten ist in den Gewinn-Verlust-Rechnungen der Unterhaltungsindustrie indes von den immensen Umsatzeinbußen die Rede, die die große Gruppe der Nicht-Musikhörer und Nicht-Kinogänger verursacht. Das schlimmstmögliche Szenario für die Branche wäre doch, wenn junge Menschen gar keine Musik mehr hörten, und keine Filme mehr guckten. An Kulturkonsum gewöhnt man die Jugendlichen am besten in frühen Jahren. Und vielleicht werden viele junge Piraten von heute dann schon morgen in der Lage sein, für ihre Leidenschaften auch zu bezahlen.