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Die Kehrtwende der SPD bei Zensursula

 

In der Zensursula-Debatte rund um die geeigneten Werkzeuge gegen Kinderpornographie kündigt sich bei der SPD-Fraktion eine Kehrtwende an.

Zum Hintergrund: Im Juni 2009 verabschiedeten Union und SPD im Bundestag gemeinsam das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz. Dies regelte unter anderem, dass zur Unterstützung der Bekämpfung von Kinderpornographie eine Netzzensur-Infrastruktur bei den Providern errichtet werden sollte.

Gegen die Netzzensur regte sich massiver Widerstand im Netz, der auch über die erfolgreichste Petition in der Geschichte des Online-Petitionssystems des Deutschen Bundestages artikuliert wurde. Sie fand mehr als 134.000 Mitzeichner. Es half alles nichts, die Große Koalition stimmte fast geschlossen für das Zugangserschwerungsgesetz, das auf „Löschen vor Sperren“ setzte.

Nun die überraschende Kehrtwende: Schon Anfang November kritisierte der neue Berichterstatter für neue Medien in der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, in der SPD-Zeitung Vorwärts das Zugangserschwerungsgesetz und forderte: „Gesetz muss weg“. Das verwunderte noch nicht, wird Kingbeil, der neu im Bundestag ist, doch eher dem progressiven Flügel der SPD-Netzpolitik zugeschrieben. Im aktuellen Spiegel kamen dann kritische Worte vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, der in weiten Teilen die Kritik der Bürgerbewegung an dem Zugangserschwerungsgesetz wiederholte:

“Internetsperren sind ineffektiv, ungenau und ohne weiteres zu umgehen. Sie leisten keinen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie und schaffen eine Infrastruktur, die von vielen zu Recht mit Sorge gesehen wird.” Die SPD bestehe auf dem Prinzip “Löschen vor Sperren”.

Hier klang noch das „Löschen vor Sperren“ heraus, das von der SPD in der Debatte als Leitlinie ausgegeben wurde. Dies wurde damals massiv kritisiert, weil trotzdem eine Netzzensur-Infrastruktur geschaffen werden sollte. In einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion wurde die Kritik diese Woche wiederholt.

Im Interview mit dem Schaltzentrale-Blog der Süddeutschen Zeitung verkündete dann Martin Dörmann, der Chefunterhändler der SPD-Fraktion während der Zensursula-Debatte, eine ganz neue Haltung:

Die Verträge zwischen BKA und Providern sind auf Eis gelegt, seit dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Wiesbaden geklagt wurde. Das BKA hat dann erklärt, in den nächsten Jahren gar keine Sperrlisten anzulegen. Im Moment sind wir in einem rechtlichen Schwebezustand. Unser Grundsatz war auch immer: Löschen statt Sperren. Mittlerweile hat das auch die Union akzeptiert. Daher, und weil die Verträge zwischen BKA und Providern nicht in Vollzug sind, ist das Gesetz unnötig geworden.

Hier taucht auf einmal ein „Löschen statt Sperren“ auf, was man bisher von offizieller Seite der SPD nicht gehört hat. Es überrascht ein wenig, wie schnell die SPD-Bundestagsfraktion innerhalb weniger Tage die Richtung geändert hat. Vor allem, weil man in der Großen Koalition die Möglichkeit hatte, das Gesetzesvorhaben und die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur zu verhindern. Und es klingt wenig glaubwürdig, wenn Dörmann nun öffentlich verkündet, der Grundsatz der SPD sei schon immer „Löschen statt Sperren“ gewesen. Ein Blick in die Archive des Netzes zeigt deutlich, dass es einen offiziellen SPD-Parteitagsbeschluß gibt, der explizit „Löschen vor Sperren“ als Leitlinie vorgibt.

Aber wahrscheinlich ist man noch nicht so bewandert in der neuen Oppositions-Rhetorik, wie die Taz heute berichtet:

Am Donnerstag sagte Dörmann der taz, „Löschen statt Sperren“ sei ein Versprecher gewesen, er könne sich durchaus noch an die frühere Haltung seiner Partei erinnern.

Es ist erfreulich, dass sich die SPD besinnt und nun gegen die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur argumentiert. Die Glaubwürdigkeit in der Netzpolitik hat aber in den letzten großen Schaden genommen, weil man vor einem halben Jahr noch das Gegenteil abgestimmt hat. Die Zensursula-Debatte wird für lange Zeit der schwarze Fleck in der Geschichte der sozialdemokratischen Netzpolitik bleiben. Es wird nicht leicht für die SPD werden, diese Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.