Wie erklärt man ein neues Gesetz, das selbst die, die es vehement fordern, nicht wirklich umreißen können? Vielleicht, indem man das Problem erklärt, das es lösen soll? Ha, schon das ist keine leichte Übung. Also:
Verlage verkaufen weniger Abos ihrer Tageszeitungen und Zeitschriften, weil die Dinge, die darin stehen, auch kostenlos im Internet zu finden sind. Na und, könnten nicht involvierte Beobachter einwenden, müssen sich die Verlage eben etwas anders zum Geldverdienen suchen. Und wenn sie das nicht schaffen, dann müssen sie halt sterben. Küfer und Seifensieder gibt es ja auch nicht mehr und niemand vermisst sie.
Das sehen die Verlage und viele, die für sie arbeiten, naturgemäß anders. Sie wollen von der Politik ein „Leistungsschutzrecht“, damit sie all die Dinge weiterverkaufen können, die von ihnen und nur von ihnen geleistet, daher produziert werden. Wie kompliziert es aber sein kann, diese Verlagsleistung an dem Gesamtwerk „Zeitung“ zu kennzeichnen, zeigte sich unter anderem bei einer Veranstaltung der Böll-Stiftung am Mittwochabend.
Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs beim Springer-Verlag, war dort angetreten, zu erklären, was das geforderte Gesetz können soll: „Es hat einen anderen Schutzgegenstand als das Urheberrecht“, sagte er. „Es schützt die organisatorische und finanzielle Vor- und Nachleistung des Werkmittlers.“ Es meine also ausdrücklich nicht die kreative Schöpfung von Buchstaben und Wörtern.
Was in der Theorie noch irgendwie logisch klingt, wird in der Praxis wirr. Denn, so Keese, weder am Text (der durch Urheberrechte geschützt ist), noch am Layout (das durch Marken- und ebenfalls Urheberrechte Schutz genießt), wolle man die Leistung der Verlage festmachen. Die Antwort, woran man es dann knüpfen wolle, blieb er schuldig und erzählte irgendwas von Ascii-Code und PDF-Dokumenten-Headern.
Etwas klarer war da schon das Wie: Man wolle von gewerblichen Nutzern, also allen Firmen und Organisationen, Lizenzen kassieren dafür, dass sie Inhalte aus Zeitungen nutzen. Festgemacht werden soll das an der „Vervielfältigungshandlung“. Früher habe jede Bank Zeitungsabos gehabt, so Keeses Beispiel, die hätten sie nun nicht mehr, weil sie die Texte nun im Netz lesen könnten. Wenn also künftig ein Bankmitarbeiter einen Zeitungstext ausdrucke, um dessen Informationen für seine Arbeit zu nutzen, solle er das nur dürfen, wenn seine Bank vorher eine entsprechende Lese- und Drucklizenz bei dem Verlag gekauft hat. Ein Abo also.
Dass die das kaum tun wird, wenn Hunderte andere Zeitungen ihre Inhalte weiter kostenlos ins Netz stellen, ist auch Keese klar. Daher möchte er ein Quasimonopol der Verlage errichten, ähnlich der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort), die für alle Autoren deren Rechte wahrnimmt und Geld für die Nutzung von Urheberrechten eintreibt. Eine VG Verlag, sozusagen. Über Höhe der Vergütungen und alle anderen Modalitäten müsse noch verhandelt werden, im Zweifel vor Gericht, das dauere zwar, aber sei letztlich kein Problem.
So. Der Irrsinn an der Idee ist, dass sie versucht, ein Geschäftsmodell zu retten, das offensichtlich stirbt. Das Internet hat mit der problemlosen digitalen Vervielfältigung die bisherige Abo-Idee beseitigt und die Idee der teuren, weil durch den begrenzten Platz in einer Zeitung exklusiven Werbung gleich mit. Und zwar vor allem für jene, die sich nicht allzusehr von ihren Konkurrenten abheben und bei denen sich der Unterschied auf die Art der Präsentation der sonst gleichen Nachrichten beschränkt.
Das geschah vor allem, weil die Verlage jahrelang keinen Plan hatten, was sie im Internet wie wollen und nun feststellen, dass sich das Netz eigene Wege und eigene Wirtschaftsformen gesucht hat. Google war schlauer und schneller.
Sicher kann man versuchen, die alte Idee der Mischung Abonnement/Werbung zu retten, um redaktionelle Inhalte zu finanzieren. „Mehr desselben“, nannte der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik den Versuch, mit altem Denken neue Probleme zu lösen. Kann man machen, nutzt aber nicht viel. Wie der Hase im Märchen, der so lange immer wieder gegen die beiden Igel antritt, bis er tot ist.
Ich glaube ja, nicht die Art der Finanzierung hat sich durch das Netz erledigt, sondern die Art der Präsentation. Tot ist vor allem das General-interest-Angebot, wie es im Mediendeutsch heißt, also die Zeitung, die Politik, Wirtschaft, Sport und noch mehr auf ein Mal präsentieren will und sich dabei aus den gleichen Quellen bedient wie die Konkurrenz. Haben wir uns doch alle längst daran gewöhnt, solch strenge Verlagsauswahl zu ignorieren und uns unsere eigenen Medien zusammenzustellen, sei es über RSS-Feeds, Twittertimelines oder den Facebookfreundeskreis.
Spezialisierte Medien hingegen könnten durchaus eine Chance haben, ihre Inhalte für Geld im Netz anzubieten. Es braucht nur simple Abrechnungslösungen, die es bislang noch nicht gibt. Das aber hieße für große Verlage nicht, immer mehr Redaktionen zusammenzuschmeißen und zu einem Brei zu verquirlen, der dann nur noch aus verschiedenen Abflüssen eines einzigen Tanks quillt.
Es hieße, Redaktionen aufzuspalten in kleine, autonome und flexible Einheiten, die sich thematisch spezialisieren und in ihrem Bereich eigenständig und letztlich führend und damit interessant werden können. Und deren Arbeit einzeln anzubieten. Als Abo oder Text für Text.
Statt sich jedoch darauf zu konzentrieren, wieder exklusive Inhalte zu schaffen – also wieder eine echte Verlagsleistung zu erbringen –, geht es im Moment darum, die längst nicht mehr exklusiven Dinge, die Nachrichten, einzusperren. Im Moment wirkt das wie das Bemühen, Zahnpasta wieder in die Tube zurückzustopfen.
Der neben Keese sitzend Till Jaeger, ein Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, sagte: „Vielleicht muss man den Wandel einfach akzeptieren.“ Darum aber geht es gerade auf keinen Fall, die Zahnpasta soll wieder in die Tube. Wie gesagt, kann man versuchen.
Mehr Einschätzungen zu dem Abend gibt es beispielsweise hier und hier und natürlich bei Twitter.
Update: Ich habe den Text mit etwas Abstand noch einmal gelesen und finde inzwischen, hier muss ein kleiner emotionaler Disclaimer hin. Ich habe mich geärgert an diesem Abend. Mehrere Stunden lang war davon die Rede, wie man eine Verlagsleistung von der kreativen Leistung der Autoren abgrenzen und gesondert vergüten kann. Nun finde ich, dass es eine Verlagsleistung gibt, die vor allen anderen Lob und Vergütung verdient: die nämlich, die Qualität von Texten zu heben und zu sichern.
Ich weiß nicht genau, wie man das in der Realität monetär beziffern will. Aber ich weiß, dass in diesen drei oder vier Stunden nicht ein einziges Mal von Qualität die Rede war. Und ich habe in dieser gesamten Debatte das Gefühl, dass einige Verlage alles mögliche zu tun bereit sind – inklusive ihre Leser zu verklagen –, aber als letztes darauf kommen, die Qualität ihrer Produkte zu heben (von einigen rühmlichen Ausnahmen natürlich wie immer abgesehen). Das finde ich, ja, ärgerlich.
Noch ein Disclaimer: Christoph Keese war mal mein Chef und ich schätze ihn durchaus. Die Haltung aber, die er als Verlagsvertreter einnimmt, finde ich zweifelhaft.