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Für digitale Bürgerrechte auf die Straße gehen

Am Samstag fand wieder eine Großdemonstration für digitale Bürgerrechte in Berlin statt. Unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ hatten erneut mehr als 150 Organisationen und Inititiativen aufgerufen, gegen Überwachung und Internetzensur auf die Straße zu gehen. Die Demonstration setzt ein klares Zeichen gegen die Vorratsdatenspeicherung, die heimliche Online-Durchsuchung oder den Aufbau einer Zensurinfrastruktur.

Die ersten „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen wurden 2006 vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Berlin initiiert. Damals wurde von Seiten der Politik immer darauf hingewiesen, dass Protest im Netz wenig bringen würde und dass man doch auch auf der Straße sichtbar sein sollte. Das probierten wir aus: Während zur ersten Demonstration nur rund 100 Menschen kamen, konnte 2007 mit ca. 15.000 Teilnehmern ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Im vergangenen Jahr kamen schon mehrere zehntausend Teilnehmer und diesen Samstag fast 25.000.

Nun kann man sich fragen, ob im Jahre 2009 Demonstrationen auf der Straße, zumal für digitale Bürgerrechte, noch was bringen? Der Aufwand ist enorm: Während man im Netz mit wenig finanziellen Ressourcen zeit- und ortsunabhängig Protest organisieren kann, braucht man für die Straße viel Geld und Zeit. Ein Bündnis will organisiert und gepflegt werden. Dazu benötigt man eine Bühne mit entsprechender Technik, Gespräche mit der Polizei und Behörden und natürlich viele Flyer, Poster und Transparente zur Werbung und Mobilisierung. Diese müssen auch verteilt und aufgehängt werden. Dazu ist alles abhängig vom Wetter: Regnet und stürmt es zum Zeitpunkt der Demonstration, kommen nur wenige. Scheint dagegen wie in den Vorjahren die Sonne, bietet sich für Viele eine schöne Gelegenheit für einen Spaziergang durch Berlin mit zahlreichen Gespräche und Eindrücken. Positiver Nebeneffekt, wenn alles gut geht: Die Bilder von (zehn-)tausenden Menschen auf der Straße, die kreativen und bunten Protest zeigen und eventuell sogar ein kurzer Hinweis in den Abendnachrichten.

Und wir erreichen damit unsere Eltern-Generation. Ansonsten bleibt uns natürlich noch das Netz. Im Vorfeld bekamen wir ein schönes Mobilisierungs-Video in Form eines Kino-Trailers von Alexander Svensson zugeschickt:

Freiheit statt Angst – der Trailer from Alexander Svensson on Vimeo.

 

Vom schwierigen Umgang mit dem Internet

Neue Kulturtechniken führen leicht zu Missverständnissen. Ein schönes Beispiel dafür liefert gerade die niedersächsische Polizei: „Die Entdeckung Deines Lebens“, steht als Slogan auf der Website des Freunde-Finder-Tools „aka-aki“, und das ist geradezu unheimlich treffend. Denn aka-aki, mit dessen Dienst man andere Nutzer in seiner Umgebung sehen und etwas über deren Interessen erfahren kann, hatte Besuch von der Polizei. Die wollte etwas mehr über einen der Nutzer erfahren. Eine Menge mehr. Glaubt man den Aussagen der Betreiber, wünschten die Beamten sich „wohl komplette Bewegungsprofile in Echtzeit“. Kostenlose Handy-Ortung also für Vergangenheit und Zukunft.

Das Vergehen des Betreffenden: Er hatte in einer „Statusmeldung“ auf seinem Profil seinen Unmut über die Welt geäußert. Wie bei anderen Netzwerken auch kann man bei akaaki in seine derzeitige Stimmung angeben und der Betreffende muss mieser Laune gewesen sein, hatte er doch sinngemäß alle Menschen auf der Welt zum Teufel gewünscht. Irgendjemand in Niedersachsen fühlte sich dadurch bedroht, erstattete Anzeige und traf auf einen Staatsanwalt, der sofort die Kavallerie losschickte und nun „wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ ermittelt.

Die Leute von akaaki können nicht begreifen, wie eine solche Profilmeldung so missverstanden werden kann. Schließlich würde in solchen doch alles Mögliche geschrieben und selbstverständlich nie so ernst gemeint. Ihr Anwalt hält das Ganze sogar in zweierlei Hinsicht für dämlich: „Das war eine Statusmeldung in einem Sprich-mich-an-Tool, da hat offensichtlich jemand vergessen, das Zwinkerauge mitzulesen“, sagt Maximilian Conrad. Und er habe auch noch geglaubt, dank GPS im Mobiltelefon sei eine einwandfreie Identifizierung der Nutzer möglich. In einer Großstadt wie Berlin könne das aber schon mal schwierig werden, den einen der X Handybenutzer im Umkreis von zwanzig Metern zu finden, der gemeint ist.

Neben diesem, sagen wir, Unverständnis für neue kulturelle Ausdrucksformen, hat der Fall aber noch eine Dimension: Wenn die Polizei in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jemanden finden wollte, klingelte sie an seiner Wohnungstür. Wenn derjenige dringend gesucht wurde, vielleicht auch noch an der Tür seiner Eltern und der seines Chefs. Fand man ihn dort nicht, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben in der Hoffnung, irgendein Streifenpolizist werde ihn schon irgendwo entdecken. Heutzutage jedoch klingeln Polizisten nicht mehr auf gut Glück, sondern kommen offensichtlich lieber mit einem Durchsuchungsbeschluss zum sozialen Netzwerk Deines Vertrauens.

Abgesehen davon, dass aka-aki die geforderte Überwachung mit seinen Daten weder leisten kann noch will, ist es ein hübscher Trick der Beamten. Denn will die Polizei so etwas selbst machen, muss sie eine Hürde überwinden. Paragraf 100 der Strafprozessordnung erlaubt den Einsatz sogenannter IMSI-Catcher zum Finden und Überwachen von Mobiltelefonen nur bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“. In diesem Katalog steht zwar inzwischen einiges, Hehlerei, Computerbetrug oder Steuerhinterziehung beispielsweise, doch braucht es für den Richterbeschluss einen dringenden Tatverdacht. Dass der in diesem Fall gegeben war, kann bezweifelt werden.

Entweder ist der ermittelnde Staatsanwalt also ein technischer Tropf oder ein kreativer Kopf, der versucht, die Grenzen des Gesetzbuches zu dehnen. Beides lässt Schlimmes ahnen.

 

Piraten aus Bequemlichkeit

Früher dauerte es maximal 30 Sekunden, sein Buch zu verleihen: Aus dem Regal nehmen, überreichen, fertig. Im digitalen Zeitalter ist das nicht mehr ganz so einfach. Und es reicht auch nicht, den USB-Stick in den Rechner des Freundes zu stöpseln, um das Buch auf dessen Festplatte zu spülen.

Denn eBook ist nicht gleich eBook. Jedes läuft nur mit einem bestimmten Programm. Deren Zahl aber erinnert an einen Blick ins Staubsaugerbeutel-Regal. Um ein Buch zu verleihen, muss der Freund das gleiche Programm haben, denn jedes ist selbstverständlich kopiergeschützt.

Sechs mal darf der Besitzer des Buches – und wissenschaftliche Bücher können auch digital schnell an die 50 Euro kosten – mit seinem Hab und Gut so verfahren. Dann ist die Zahl der maximal erlaubten Kopien erreicht. Wer je den Gedanken hatte, das gebrauchte Buch später auf dem Flohmarkt wieder loswerden zu wollen, kann sich das dank massiver Softwareprobleme getrost abschminken.

Eigentum sieht anders aus.

Kein Wunder, dass illegale Kopien gedeihen. Und zwar nicht unbedingt, weil der Kaufpreis gespart werden soll, sondern schlicht im Dienste der Bequemlichkeit – geknackte Kopien lassen sich tauschen.

Das Problem: Wenn die Tauschbörsen-Mechanismen erst mal gelernt sind, wird es den Buchhändlern schwer fallen, dies den Kunden wieder auszutreiben. Selbst wenn es sich die Verlagswelt später doch noch einmal anders überlegt mit dem restriktiven Kopierschutz. Erinnert sei nur an die Smashing Pumpkins-CD, die sich Fans scharenweise illegal im Netz besorgt haben, obwohl sie sogar kostenlos zum legalen Download bereit stand.

Ein bisschen Vertrauen täte gut. Denn im Gegensatz zu den jungen Wilden, die der Musikindustrie in den vergangenen Jahren heftig das Geschäft vermasselt haben, dürfte die Mehrheit der Bücherkäufer getrost einer Kundenkategorie angehören, die kriminelle Praktiken scheut und illegalen Tauschbörsen und technischen Hackereien eher kritisch gegenüber steht.

Kompliziertes Digital Rights Management ist aber nicht nur ein Misstrauensvotum. Es ruiniert auch den Vorteil des digitalen Konsums: den Komfort. Schließlich greift man zu einem eBook, weil man sich den Weg in die Bibliothek oder den Buchladen sparen will, weil man keine Lust hat, schweres Papier herumzuschleppen, weil man nicht tagelang auf seine Bestellung warten mag. Flinkes Click & Buy macht den Erfolg der Technik aus; einfache Programme und eine komfortable Abrechnung sind wichtige Erfolgsfaktoren im eCommerce. Und Ausleihen und Mitnehmen wichtig für den Lesespaß.

Amazons eBooks lassen sich zum Beispiel nur im restriktiven AZW-Format herunterladen und nur auf dem teuren Kindl oder mit entsprechender Software auf dem iPhone lesen. So langsam scheint sich der Gedanke durchzusetzen, dass man mit dem Versuch, Konkurrenten auszusperren, auch die Kunden gängelt: Im Moment gewinnt der “open e-book publishing standard (epub)” an Zuspruch. Sony beispielsweise hat gerade mit dem Sony-Reader auf epub umgestellt und die eigene Lösung aufgegeben.

Selbst für die Verlage wäre es günstiger. Bislang zumindest behaupten sie, durch eBooks lediglich Mehrkosten zu haben. Kein Wunder, bei dieser teuren Veröffentlichungsstrategie. Könnten sie ihre Bücher in einem einzigen Format veröffentlichen, würde endlich das Versprechen wahr, dass digitale Bücher nicht nur Papier sparen, sondern auch Geld.

 

Viele Grüße von der Internet-Gemeinde

Ein Gespenst geht um in deutschen Medien und der Politik: Die Internet-Community ist da. Irgendwie zumindest. Manchmal heißt sie auch eingedeutscht Internet-Gemeinde. Politiker laden sie zum Dialog ein, manche starten ihre neuen Wahlkampf-Blogs mit „Liebe Internetgemeinde“ und andere beschweren sich, dass die Internet-Community ihre tolle Politik kritisiert.

Das erste Mal begegnete mir der Begriff im Rahmen der EU-weiten Proteste gegen eine EU-Richtlinie zur Patentierung von Software. Das war Anfang dieses Jahrtausends und Politiker im EU-Parlament versuchten zu definieren, was ihnen da an vernetztem Protest aus dem Internet begegnete. Ein weiterer Meilenstein waren die Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung, die zwischen 2007/2008 ihren Höhepunkt in Deutschland fanden. Und dieses Jahr kam der Begriff im medialen und politischen Mainstream an. Innerhalb von vier Tagen unterzeichneten mehr als 50.000 Bürger eine Online-Petition gegen die Pläne der Bundesregierung, im Rahmen des Zugangserschwerungsgesetz im Kampf gegen Kinderpornographie eine Zensurinfrastruktur zu errichten. Nie zuvor war der Protest aus dem Netz so schnell sichtbar geworden. 134015 Mitzeichner waren es sogar nach Ende der Zeichnungsfrist.

Das Netz schafft neue Öffentlichkeiten, wo jeder über Blogs, Twitter und Soziale Netzwerke zum Sender wird. Rund um einzelne Themen und Ereignisse vernetzen sich Menschen Ad-Hoc und formen Koalitionen. Das ist mit dem alten Denken in traditionellen Organisationsstrukturen nicht mehr greifbar. Wenn man in diesen Tagen mit Journalisten und Politikern über Netzpolitik redet, ist die „Internet-Community“ immer dabei. Man denkt dann immer, die halten “die Internet-Community” für eine Art Gewerkschaft und man selbst ist für sie sowas wie ein Sprecher dieser “Gemeinde”. Es ist dann immer schwierig, diesen zu erklären, dass es sich um Menschen handelt, die ähnlich wie unsere Gesellschaft äußert vielfältig und wenig organisiert sind. Bisher tauchen diese Ad-Hoc Koalitionen vor allem rund um Themen der Netzpolitik so massiv auf. Das liegt wahrscheinlich daran, dass viele Knotenpunkte in diesen neuen Öffentlichkeiten ein besonderes Bewusstsein dafür haben, gut vernetzt sind und nur sich nur wenige traditionelle Organisationsstrukturen dieses Themas annehmen. Das wird sich aber ändern. Schon 70 Prozent der Bevölkerung nutzt das Internet und immer mehr Bürger werden sich zu anderen Themen vernetzten und ihre Anliegen artikulieren.

Und man fragt sich, wie das damals war, als zum ersten Mal Politiker im Fernsehen auftraten. Begrüßten diese die Zuschauer mit den Worten „Liebe Fernseh-Gemeinde?“

 

Man merkt, dass die Welt sich wandelt (I)

…wenn eine im Bundestag residierende Partei ernsthaft darüber nachdenkt, in Computerspielen Wahlkampf zu machen und entsprechende Werbung zu schalten. Nicht in Fifa09 oder in Pferdegames, sondern in Counterstrike und ähnlichen.

Kein Scherz, bei Bündnis90/Die Grünen hat man überlegt, Geld für Ingame-Werbung auszugeben, um Gamer an die Urnen zu holen. Nicht wie die Piraten als Spraylogos, die von Fans verbreitet werden. Sondern ganz offiziell über Vermarkter, die die Banner auf den Servern der großen Onlinespiele platzieren sollten. Einige tausend Euro hätte das gekostet.

Sie haben es dann doch nicht gemacht, Angst vor der eigenen Courage, oder so. Aber immerhin, das ist ein Anfang. Gelten Gamer doch nicht nur als unpolitisch und daher für Parteien uninteressant, sondern ihre Spiele in der Politik auch noch als gefährlicher Schund.

Ist das vielleicht gar ein Trend, die Entdeckung einer bislang unentdeckten Zielgruppe? Immerhin hatte selbst die Junge Union einen Stand bei der Gamescom in Köln. Was schon erstaunlich ist, beherbergt die gleiche Partei doch auch Mitglieder, die „Killerspiele“ gern mit Netzsperren bekämpfen würden, oder Gemeinderatsfraktionen, die Intel Friday Night Games aus ihrer Stadt jagen. Wenn das kein Kulturkampf ist.