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Das lebendige Erbe Mandelas

„Haben Sie irgendwelche Beschwerden über Regierungsstellen oder ihre Arbeit? Der Ombudsmann könnte Ihnen helfen! Rufen Sie an unter der kostenlosen Nummer: 0800 11 20 40“

So ist es auf der Website des Ombudsmanns Südafrikas zu lesen.

Klingt schön, aber welcher Dummkopf will schon glauben, dass eine Beschwerde unter dieser Nummer etwas bewirken könnte?! Ausgerechnet in Südafrika, dessen Präsident Jacob Zuma zum Symbol für Nepotismus, Misswirtschaft und Korruption geworden ist? Zuma, der mit seinem ANC die Wahlen mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewonnen hat, wird sich gewiss nicht fürchten müssen vor dem Ombudsmann!

Nun, er muss sich fürchten. Denn im Amt des Public Protector sitzt Thuli Madonsela, die ebenso hartnäckige wie unerschrockene Ombudsfrau Südafrikas. Madonsela hat sich einen Namen gemacht, weil sie die Mächtigen des Landes nicht verschont, wenn der Verdacht besteht, sie hätten sich nicht an die Gesetze gehalten. Auch vor Jacob Zuma macht sie nicht halt. Im März 2014 veröffentlicht sie den „Nkandla-Report“ – er trägt den schönen Titel: Secure in Comfort –  in dem sie detailliert nachweist, dass der Präsident sein luxuriöses, privates Anwesen in seinem Heimatort Nkandla mithilfe von Steuergeldern gebaut hat.

Madonsela hat sich dafür den Zorn der mächtigen ANC eingehandelt. Die Parteigranden werden nicht müde, sie anzuschwärzen. Dieser Tage ist erneut ein Konflikt ausgebrochen, weil Madonsela darauf hinwies, dass sie auf ihre Fragen und Forderungen bisher keine befriedigenden Antworten bekommen hat. Unter anderem verlangt sie, dass Zuma Steuergelder zurückzahlt.

Das alles nun könnte man als eine recht unbedeutende innenpolitische Auseinandersetzung abtun. Doch es geht um viel mehr als das. Es geht um die Frage, wie stark die südafrikanische Demokratie zwanzig Jahre nach ihrer Geburt ist.

Südafrika hat sich 1994 unter Führung von Nelson Mandela vom Joch der Apartheid befreit, auf friedlichem Wege. Das war eine erstaunliche, bis heute zu Recht bewunderte Leistung. Denn die Gefahr, dass das Land in einen Rassenkrieg abrutschen könnte, war real.

Dieses „Wunder“ hat Südafrika zu einer Projektionsfläche für große Erwartungen gemacht, sie kamen aus dem Inland wie aus dem Ausland. Südafrika, die Regenbogennation, sollte in allen Belangen besser sein als andere afrikanische Staaten, demokratischer, sozialer, wirtschaftlich erfolgreicher. Doch in den vergangenen Jahren, besonders unter der Präsidentschaft von Jacob Zuma, hat das Land in den Augen vieler Kritiker alle Übel erlebt, die man mit Afrika gerne verbindet: Korruption, Misswirtschaft, Nepotismus. Zuma, so seine Kritiker, verschleudere das Erbe Nelson Mandelas.

Dieses Erbe allerdings ist nicht so leicht zu zerstören.

Denn dazu gehört auch eine erstaunlich liberale Verfassung. In ihr ist die Rolle des Ombudsmanns festgeschrieben. Zum Erbe Mandelas gehört ebenso eine Gesellschaft, die so starke Figuren hervorbringt wie Thuli Madonsela. Sie wurde 1962 im Township Soweto als Tochter von Händlern geboren. Sie studierte Jura, arbeitete als Anwältin und machte eine steile Karriere. Sie war Mitglied der Kommission, die zwischen 1994 und 1996 die südafrikanische Verfassung schrieb.

In Thuli Madonsela kommen drei Dinge zueinander, die sie stark und populär machen: Unbestechlichkeit eines Amtsträgers, ein starkes Regelwerk und eine öffentliche Meinung, die für beides ein Sensorium hat und es honoriert. Das sind drei Säulen einer lebendigen Demokratie. Solange sie stehen, wird Südafrika vielleicht nicht die ohnehin überzogenen Erwartungen einlösen können — aber es hat Chancen eine besondere Nation zu bleiben.

 

Warum man auf Afrikaner hören sollte

Europäer nehmen Ratschläge afrikanischer Politiker in aller Regel nicht an. Dafür nimmt man sie hierzulande nicht ernst genug. Nur Jahrhundertgestalten wie Nelson Mandela konnten die europäische Taubheit überwinden. Dabei täten die Europäer gut daran, auf Afrikaner zu hören. Sie könnten so manche Dummheit vermeiden.

Die Entscheidung 2011 in Libyen militärisch zu intervenieren war so eine Torheit, begangen vor allem von den Franzosen und den Briten. Libyen versinkt heute in Chaos und Gewalt. Genau das hatte der gabunische Politiker Jean Ping vorausgesagt, der damals Vorsitzender der Kommission der Afrikanischen Union war. Heute sagt er voller Entsetzen: „Ich habe damals alle europäischen Hauptstädte besucht, ich bin nach Washington und in das Nato-Hauptquartier, um vor einer Intervention zu warnen. Wir wussten, dass Libyen implodieren würde. Genau das geschieht heute.“

Aber wer ist schon Jean Ping? Und die Afrikanische Union erst? Welche Macht hat sie denn? Ist das nicht eine Ansammlung von Auto-, Klepto- und Gerontokraten? Da müssen die Europäer erst gar nicht hinhören! 2011 ignorierte man sie komplett.

Ping musste damals darum bitten, dass die Nato ihr Bombardement aussetzte, damit der südafrikanische Präsident Jacob Zuma nach Tripolis reisen konnte, um mit Gaddafi zu verhandeln. Zuma wollte Gaddafi überreden, freiwillig zurückzutreten. Über solche Initiativen machte man sich in Europa hinter vorgehaltener Hand lustig.

Und heute?

Heute ist Libyen ein schwarzes Loch vor der Haustür Europas. Es wird auf Jahre hinaus eine Quelle der Bedrohung für Europa bleiben.

Recht haben — das mag zwar ein schönes Gefühl sein, aber es währt nicht lange und vor allem: es trägt nichts bei zur Lösung einer dramatischen Situation. Das weiß auch Jean Ping, das weiß auch die Afrikanische Union.

Aber man kann was lernen für die unmittelbare Zukunft. Eine Lehre ist: Die Europäer müssen sich mit der Afrikanischen Union zusammensetzen, auf Augenhöhe. Dann müssen sie gemeinsam darüber beraten, wie man das Chaos in Libyen in den Griff kriegen kann. Und diesmal sollten die Europäer genau hinhören.

 

Demokratische Vitalität

Ebola, Boko Haram, Staatszerfall, Bürgerkrieg — wenn es Themen aus Afrika in die Schlagzeilen schaffen, dann sind sie derzeit durchweg negativ. Das passt in das Klischee vom Katastrophenkontinent. An dieser Stelle wollen wir deshalb über eine bemerkenswerte politische Nachricht berichten. Sie ist auf den ersten Blick unspektakulär, aber sie kann von großer Tragweite sein. Die Nachricht erreicht uns aus Burkina Faso.

In der Hauptstadt Ouagadougou sind am Wochenende Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Präsidenten Blaise Compaoré zu demonstrieren. Compaoré regiert seit 1987. Bei den Wahlen 2015 darf er nicht mehr antreten, doch angeblich bereitet er ein Referendum für eine Verfassungsänderung vor, die ihm eine weitere Amtszeit erlauben würde. Dagegen demonstrieren die Menschen, sie taten es in den vergangenen Monaten wiederholt. Man kann von einem breiten, gesellschaftlichen Widerstand gegen den Präsidenten sprechen, einem demokratischen Widerstand.

Burkina Faso ist ein relativ kleines Land mit etwas mehr als sechzehn Millionen Einwohnern — es fällt nicht besonders ins Gewicht, möchte man sagen. Doch dagegen sprechen zwei Gründe, ein aktueller und ein historischer.

Sollte Compaoré durch die Bewegung zum Rückzug gezwungen werden, dann wäre dies ein weiteres Beispiel für die demokratische Vitalität einer afrikanischen Gesellschaft: Die Demonstranten in Burkina Faso haben sich von der senegalesischen Jugendbewegung „Y’en a marre“ („Wir haben genug!“) inspirieren lassen, die 2012 entscheidend mithalf, den starrsinnigen, langjährigen Präsidenten Abdulaye Wade aus dem Amt zu drängen, der für eine dritte Amtszeit kandidieren wollte, obwohl die Verfassung das nicht vorsah.

„Y’en a marre“ war ein Beweis dafür, dass man die scheinbar ewig herrschenden afrikanischen Staatschefs auch auf friedlichem Wege loswerden kann. Jung, fröhlich und sehr entschlossen war diese Bewegung. Die Strahlkraft von „Y’en a marre“ ist nicht zu unterschätzen. Und sie ist von großer Bedeutung in einer Region, in der eine Terrorgruppe wie Boko Haram für junge Männer attraktiv ist: Die Terrorgruppe rekrutiert offenbar auch Kämpfer in Burkina Faso und in Senegal.

Burkina Faso hat zudem einen Mann hervorgebracht, der viele Afrikaner inspirierte: Oberst Thomas Sankara. Er kam 1983 durch eine Revolution an die Macht und installierte ein linksgerichtetes Regime, das sehr viel Geld in soziale und Entwicklungsprojekte steckte. Sankara wollte die Verbindungen zum „imperialistischen“ Ausland kappen. Um das zu verdeutlichen, benannte er den Staat, der damals noch Obervolta hieß, in Burkina Faso um. Der Name ist Programm. Burkina Faso bedeutet „Land der Ehrenwerten“. Der Kampf gegen Korruption war eines der zentralen Anliegen Sankaras.

1987 wurde Sankara aus dem Amt geputscht, mit stillschweigender Zustimmung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Sankara und 30 seiner Mitstreiter wurden erschossen. Compaoré, der ein Weggefährte Sankaras war, wurde Präsident. Für viele war Sankara so etwas wie eine afrikanischer „Che Guevara“ , eine mythische Figur.

Junge Demonstranten in Burkina Faso beziehen sich nun auf ihn. Sie hören seine Reden, schauen Videos mit seinen Auftritten und zitieren ihn. Der Rapper Smockey, einer der Führer der Bewegung, gebrauchte etwa Sankaras folgende Worte: „Eine entschlossene Jugend hat vor gar nichts Angst, nicht einmal vor einer Atombombe!“ Und offenbar auch nicht vor einem Präsidenten, der nicht weichen will.

 

Aus Todfeinden werden Partner

Amerika und die Islamische Republik sind Feinde mit vielen Gemeinsamkeiten. Beide liefern derzeit Waffen an die Kurden Nordiraks, damit sie sich gegen die Terroristen des Islamischen Staats (IS) besser verteidigen können; beide haben darauf gedrängt, dass der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sein Amt abgibt; beide haben den Nachfolgekandidaten Haidar al-Abadi unterstützt.

Der Grund dafür liegt auf der Hand. Washington wie Teheran betrachten die IS-Terroristen als tödliche Gefahr, die es zu bekämpfen gilt.

Doch wird die „Kooperation“ zwischen den USA und Iran noch weitergehen? Ist das, was wir jetzt erleben, der Beginn einer neuen Freundschaft? Oder wenigstens Partnerschaft?

US-Präsident Barack Obama hat schon in seiner ersten Amtszeit klargemacht, dass er eine Annäherung mit dem Iran sucht. Er will vor allem den Nuklearstreit beilegen. Das war von Beginn an eine sehr riskante Politik. Denn keiner konnte mit Sicherheit sagen, ob denn die iranische Seite eine Befriedung will, ja ob sie dazu überhaupt in der Lage ist. Seit die Iraner aber Hassan Ruhani zum Präsidenten gewählt haben, stehen die Chancen besser. Ruhanis zentrale Wahlversprechen waren genau das: den Streit mit den USA beizulegen und den Iran gegenüber dem Westen zu öffnen.

Bis zum heutigen Tag ist weder der Nuklearstreit beigelegt, noch hat es eine umfassende Befriedung gegeben. Aber es gibt im Angesicht der Gefahr eine intensivierte, pragmatische Annäherung. Sie wird in der Unterstützung der Kurden und der Beschleunigung des politischen Wandels in Bagdad sichtbar.

Was wir in ihren Grundzügen erkennen können, sind die Ansätze einer neuen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten. Gebraucht wird diese dringend. Die USA, die den Nahen Osten weder alleine dominieren können noch wollen, und ein selbstbewusster, stabiler Iran sind die beiden Architekten.

Neu ist das ja nicht.

Bis 1979 waren die USA und der Iran enge Partner in der Region. Amerika war unumstrittene Führungsmacht im Nahen Osten, und der vom Schah regierte Iran diente den Amerikanern als Hilfspolizist am Persischen Golf. Beide waren damit zufrieden. Bis die Iraner 1979 den Schah stürzten und sich mittels der Revolution aus der Partnerschaft verabschiedeten.

Seither gleicht die Beziehungsgeschichte zwischen den USA und dem Iran jener zweier schlecht geschiedener Eheleute. Verständnis? Ausgeschlossen. Verzeihen? Niemals. Krieg? Rhetorisch immerzu, wenn es geht bis zur Auslöschung des anderen.

Möglich, dass dies nun zu Ende geht. Möglich, dass sich beide daran erinnern, was sie voneinander haben könnten.

 

Somalia am Mittelmeer

600.000 Menschen warten in Nordafrika darauf, auf den europäischen Kontinent überzusetzen. Oder sind es 300.000? Oder irgendwas dazwischen? So ganz genau kann der italienische Innenminister Angelino Alfano es nicht sagen. Aber die Monsterzahl hat er schon mal in die Welt gesetzt. Alfano berief sich auf Berechnungen seiner Geheimdienste. Geheimdiensten aber sollte man nicht trauen, aus Prinzip und aus Erfahrung nicht.

Wer mit einer so riesigen Zahl von 600.000 hantiert, suggeriert das Bild einer bevorstehenden Massenbewegung von den Ausmaßen einer sturzbachartig sich zutragenden Völkerwanderung. Er evoziert die Vision eines belagerten Kontinents. Das schürt bei den Europäern tiefsitzende Ängste – und sie werden sich bald in den Wahlergebnissen niederschlagen. Am 25. Mai wählen die Europäer ein neues Parlament. Rechtspopulistische Parteien, die mit eben solchen Ängsten vor einer Invasion arbeiten, sind im Aufwind.

Nein, das hier ist keine Verschwörungstheorie. Das ist nur ein Hinweis darauf, dass Geheimdienstinformationen immer hinterfragt werden müssen, auf ihren Wahrheitsgehalt und auf ihre politischen Motive.
Das Label der „Schutzverantwortung“
Und nein, das hier ist auch keine Leugnung, dass Migration aus Nordafrika eine zentrale Herausforderung für Europa ist. Weil es aber so ist, ist Präzision gefragt. Wenn man schon den Blick auf Nordafrika richtet, sollte er schärfer und genauer sein. Wohin also sollte man etwa schauen? Nach Libyen.
Dort herrschen heute — nach allem was man weiß — Milizen. Der Staat scheint zerfallen zu sein. Es ist ein Paradies für Schmugglerbanden.
Libyen ist Somalia am Mittelmeer, das ist freilich eine Übertreibung — aber keine allzu große.
Sie soll auch dazu dienen, die Europäer aufzurütteln. Libyen? War da was?
Ja, da war was.
Als es 2011 darum ging, den Diktator Muammar al-Gaddafi zu stürzen, da waren mit Ausnahme der Deutschen alle Europäer sehr engagiert, allen voran die Franzosen und Briten, auch die Italiener mischten ordentlich mit. Die Intervention der Nato führte man unter dem Label der „Schutzverantwortung“, welche die internationale Gemeinschaft überall auf der Welt für bedrängte Zivilisten habe.
Diese „responsibilitiy to protect“ aber ist nach ihren Erfindern ein Dreistufenmodell. Stufe 1: Vorbeugen. Stufe 2: Intervention. Stufe 3: Wiederaufbau. Drei Stufen, die also mit einander verbunden sind.
In Sachen Libyen gab es nur Stufe 2: Intervention — und dann kam das große Vergessen. Die große Leere. Und die italienischen Geheimdienste füllen sie mit der Zahl von 600.000 Menschen, die auf dem Sprung nach Europa seien. Vielleicht — man sollte ja nicht ungerecht sein — vielleicht will der italienischen Innenminister Angelino Alfano auch nur das, was dieser Artikel versucht: Libyen dem Vergessen zu entreißen.

 

Renzi rettet Berlusconi

Matteo Renzi ist der neue Star der italienischen Linken. Millionen Italiener erwarten vom neuen Vorsitzenden des sozialdemokratischen PD, dass er sein Versprechen wahrmacht und die korrupte politische Kaste Italiens zertrümmert. Er selbst hat sich als „Rottamatore“ (Zertrümmerer, Verschrotter) bezeichnet und mit diesem Begriff Karriere gemacht. Aber was macht Renzi nun, kaum dass er an die Spitze des PD gewählt wurde?

Er trifft sich mit Silvio Berlusconi zu einem zweistündigen Gespräch! Renzi sagt, er habe mit dem Cavaliere völlige Übereinstimmung über einige zentrale Reformen erzielt. Dazu gehört ein neues Wahlrecht, dazu gehört auch die Abschaffung des Senats. Wenn diese Reformen richtig gemacht werden, dürften sie dem politischen System Italiens mehr Stabilität und mehr Effizienz geben. Beides wird dringend gebraucht.

Doch äußerstes Misstrauen ist angebracht. Silvio Berlusconi hat in den zwanzig Jahren, in denen er Italiens Innenpolitik beherrschte immer nur seine persönlichen Interessen verfolgt. Der Staat war für ihn nur ein Instrument, um seine Geschäfte voranzubringen. Er erließ Gesetze, die den einzigen Zweck hatten, ihn selbst vor den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu schützen. Berlusconi hat sich Italien nach seinem Bilde geformt.

Warum sollte es diesmal anders sein? Wie kann Renzi glauben, dass der alte Fuchs Berlusconi plötzlich tatsächlich im Dienste der Gemeinschaft handelt? Warum gerade jetzt?

Silvio Berlusconi ist rechtskräftig verurteilt. Er hat deswegen seinen Sitz im Senat verloren. Er ist seiner Immunität verlustig gegangen, was den Weg für eine ganze Reihe weitere Prozesse gegen ihn frei machen würde. Das alles interessiert Renzi überhaupt nicht.

Er behauptet, er brauche Berlusconi für die angepeilten Reformen. Denn dazu benötigte man eine Zwei-Drittel–Mehrheit. Das stimmt und stimmt nicht. Berlusconi ist nicht mehr der unumschränkte Herr in seinem eigenen Haus. Seine Partei hat sich schon gespalten. Viele Abgeordnete, die ihm verblieben sind, sind ihm nicht unbedingt treu ergeben. Er ist politisch auf dem Abstieg. Seit seiner Verurteilung befindet er sich geradezu im freien Fall.

Und ausgerechnet Renzi wirft ihm nun ein Rettungsseil zu, indem er ihm eine zentrale Rolle für die Zukunft Italiens zuschreibt. Ausgerechnet Renzi, der selbst ernannte Zertrümmerer des Alten, hofiert das älteste was die alte politische Kaste zu bieten hat!

 

 

Wer es mit Putin zu tun bekommt, sollte einen Plan haben

Es gibt dieser Tage viel Gezeter über Russlands Politik gegenüber der Ukraine. Der russische Präsident Wladimir Putin wird durchgehend als eine Art Gangsterboss beschrieben, der die Ukrainer rücksichtslos und mit allen Mitteln erpresst. Nun ist der Mann gewiss alles andere als harmlos, aber er ist kein Dämon. Er ist der russische Präsident, der sich das Ziel gesetzt hat, Russland als Weltmacht zu etablieren, nachdem die Sowjetunion 1991 zerfallen war. Das ist seit Jahren allseits bekannt. Und ebenso seit Jahren bekannt ist, dass Putin keinerlei Rücksichten nimmt. Russlands Verhalten gegenüber der Ukraine ist kein Sonderfall, sondern die Regel. Es ist Moskaus Politik.

Es gibt also keinen Anlass, sich über Putin zu wundern. Es bringt auch gar nichts, sich über ihn zu echauffieren. Wer es tut, der offenbart nur seine Hilflosigkeit.

Wenn man es mit Putin zu tun bekommt, dann hat man besser einen Plan. Das haben die USA in Syrien lernen müssen. Dort hat Putin jeden Vorstoß der USA so lange blockiert, bis man in Washington einsah, dass es ohne den russischen Präsident keine Lösung geben werde. Die EU erfährt in diesen Tagen Ähnliches. Sie dachte wohl, die Ukraine würde das ausgehandelte EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnen, und Moskau würde das einfach so hinnehmen. Als sich herausstellte, dass dem nicht so ist, hatte man in Brüssel keinen Plan.

Was kann die EU der Entschlossenheit Moskaus entgegenhalten? Es müsste etwas sehr Konkretes sein. Doch das hat die EU nicht. Russland hingegen bietet Kiew Milliardenkredite und billiges Gas. Moskau rettet die Ukraine vor dem Bankrott, nicht Brüssel.

Nun kann man sagen, Putins Russland sei doch eine böse Macht, die ohnehin bald das Zeitliche segnen werde. Russland also sei so etwas wie eine Macht von gestern. Aber das hilft aktuell weder der EU noch der Ukraine weiter.

In den europäischen Hauptstädten sollte man sich eher mit einem worst-case-Szenario befassen: dem Zerfall der Ukraine. Sicher, das erscheint aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Doch vor mehr als zwanzig Jahren glaubte man auch, dass Jugoslawien ein stabiler Staat sei – bis er in einem grausamen Krieg unterging. Die Ukraine ist nicht Jugoslawien. Doch die Ukraine steht unter enormen Spannungen, so wie Jugoslawien in den achtziger Jahren. Und die Ukraine ist tief gespalten, in eine Hälfte, die nach Europa will, und eine, die das ablehnt. Auch in Jugoslawien gab es Vergleichbares.

Und was tat die EU als Jugoslawien zerbrach? Sie schaute tatenlos zu. Und Hunderttausende kamen ums Leben.

Putin wird sein Ziel verfolgen, auch wenn dies den Zerfall der Ukraine mit sich bringen könnte. Und wie weit wird die EU gehen, um ihr Ziel zu erreichen? Wenn sie denn überhaupt etwas erreichen will, was man Ziel nennen könnte.

 

Mandela ist tot, der ANC lebt – mehr schlecht als recht

Nelson Mandela ist tot. Das ist ein großer Verlust  für Südafrika und für die Welt. Doch am härtesten trifft es den ANC, Mandelas Partei. In diesen Tagen der Trauer bleibt das im Hintergrund.

Was ist der ANC ohne Mandela?

Das ist für die Zukunft Südafrikas eine entscheidende Frage. Denn der ANC ist so etwas wie die Staatspartei des Landes. Seit dem Ende der Apartheid im Jahr 1994 dominiert sie das Land nach belieben. Mandela war ihre unantastbare Vaterfigur. Seine Strahlkraft war so groß, dass man insbesondere im Ausland den Eindruck gewann, Mandela und der ANC seien ein und dasselbe. Er war die Partei, die Partei war er.

Was genau der ANC aber war, das interessierte weniger. Doch nun wird der Blick nicht mehr verstellt werden von der Lichtgestalt Mandela. Bald wird der ANC in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Spätesten anlässlich der Wahlen im April 2014.

Also, was ist das für ein Partei?

Sie versucht bis heute von ihrem Ruf als Antiapartheids-Bewegung zu profitieren. Tatsächlich ist der ANC die älteste nationale Befreiungsbewegung Afrikas und sie war am Ende sehr erfolgreich.

Die Politiker des ANC pflegen immer noch die Rhetorik von Befreiungskämpfern. Doch die Apartheid ging 1994 zu Ende. Der ANC ist seit bald  zwanzig Jahren an der Macht. Eine Regierungspartei, die spricht wie eine Befreiungsbewegung, klingt hohl und unangebracht.

Der Verweis des ANC auf seine historischen Verdienste allein wird nicht mehr ausreichen, um dauerhaft eine Mehrheit zu gewinnen. 2014 werden zum ersten Mal die sogenannten born frees wählen können. Das sind Männer und Frauen, die nach 1994 geboren worden sind. Sie sind weniger an der glorreichen Geschichte des ANC interessiert, sondern daran, ob die Partei in der Lage ist, ihnen eine Perspektive zu geben. Und die ökonomische Performance des ANC ist alles andere als gut.

Der ANC ist eine zerstrittene Partei, in der sich unterschiedliche Fraktionen bis aufs Messer bekämpfen. Die politische Kultur der alten Parteigarde  ist immer noch geprägt von ihrer Untergrundarbeit während der Apartheid: Sie ist konspirativ, populistisch und manipulativ.

Der jetzige Präsident Südafrikas Jacob Zuma etwa hat sich 2007 in einem gnadenlosen Machtkampf gegen seinen Amtsvorgänger Tabo Mbeki durchgesetzt. Zuma war während der Apartheid verantwortlich für den internen Geheimdienst der Partei. Er weiß, wie man Gegner loswerden kann. 2012 schloss Zuma seinen politischen Weggefährten Julius Malema aus der Partei aus. Malema war Vorsitzender der mächtigen Jugendorganisation des ANC. Er war für Zumas Aufstieg zum Staatspräsidenten entscheidend. Malema hat inzwischen eine eigene Partei gegründet, mit der er dem ANC Konkurrenz machen will.

Der ANC symbolisiert nicht mehr das große Versprechen, das er einmal war – er hat es vielleicht nie getan. All das wird nun klarer zum Vorschein treten, da Mandela tot ist. Das wird schmerzvoll sein. Es sind die Schmerzen der Normalität.

 

Saudi-Arabiens Abstieg hat begonnen

Der Durchbruch in den Atomgesprächen mit dem Iran, er wird den Nahen und Mittleren Osten verändern. Denn der Iran könnte nun wieder zur international akzeptierten Ordnungsmacht in der Region aufsteigen – eine Macht, die er schon einmal war.

Bis 1979 war das Land eine bestimmende Größe im Nahen und Mittleren Osten, mit dem Segen der USA. Die iranische Revolution setzte dem ein Ende. Seitdem war der Iran politisch vom Westen isoliert. Durch den Streit um das iranische Atomprogramm wurde aus Isolation Ächtung. Heute ist der Iran mit harten Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen belegt.

Das Regime in Teheran selbst hat den Anspruch, die bestimmende Macht der Region zu sein, niemals aufgegeben. Doch es war eine Rolle, die seit 1979 niemand akzeptieren wollte. Der Iran war ein Paria.

Das aber ist jetzt möglicherweise vorbei. Das Abkommen, das der Iran mit der 5+1-Gruppe (USA, Russland, China, Frankreich, England, Deutschland) geschlossen hat, beendet die Isolation. Die Atomfrage ist zwar noch nicht gelöst, es sind noch viele Streitpunkte ungeklärt. Auch ein Scheitern ist möglich. Doch es ist das erste Abkommen, auf das man sich unter amerikanischer Beteiligung in 35 Jahren mit dem Iran geeinigt hat.

Wenn der Iran nun wieder auf die große Bühne tritt, dann wird das Land andere von dort verdrängen. Allen voran Saudi-Arabien.

In den vergangenen Wochen haben die Saudis mehrmals deutlich gemacht, wie unzufrieden sie mit der Politik der Annäherung gegenüber Teheran sind. Nun haben sie in der Region sehr großen Einfluss, schon durch die vielen Milliarden, die sie freizügig verteilen.

Zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien herrscht seit Jahrzehnten ein Kalter Krieg. In Syrien ist dieser Kalte Krieg zu einem heißen geworden. Dort bekämpfen sich beide Seiten gnadenlos. Und jetzt müssen die Saudis frustriert mitansehen, wie ihr Todfeind eine internationale Aufwertung erfährt. Wie werden sie nun angesichts der neuen Lage ihre Macht einsetzen? Das ist nach dem Abkommen mit dem Iran eine der entscheidenden Fragen.

Der Einfluss des saudischen Königshauses dürfte in Washington jedenfalls gesunken sein. Das hat gute Gründe. Die USA haben in der Region drei strategische Interessen: Ölversorgung, Eindämmung Irans, Sicherheit Israels. Um diese Interessen wahrzunehmen, war Saudi-Arabien wichtig.

Doch die Ölversorgung verliert an Bedeutung, seit die USA zum größten Erdölproduzenten der Welt geworden sind. Die Eindämmung Irans wäre nach einem erfolgreichen, stabilen Abkommen über die Nuklearfrage nicht mehr notwendig, auch das relativiert die Macht des saudischen Königshauses. Nur für die Sicherheit Israels ist Saudi-Arabien nach wie vor von Bedeutung. Aber das reicht nicht, um seine Rolle als privilegierter Partner weiter aufrechtzuerhalten.

Wir erleben also derzeit einen relativen Abstieg Saudi-Arabiens. Der Nahe und Mittlere Osten indes wird dadurch nicht ruhiger. Im Gegenteil: Das Atomabkommen und seine Folgen dürften zu heftigen Erschütterungen in der Region führen.