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Teherans Schwachpunkt sind die Menschenrechte

Wie kann man das iranische Regime im Atomstreit zum Einlenken bewegen? Die Antwort darauf lautete bisher: durch Druck, immer mehr und stärkeren Druck. Nur, bisher hat der Iran nicht eingelenkt.

Die Frage nach dem Nachgeben, ist natürlich eine Frage nach dem Schwachpunkt dieses hartleibigen Regimes. Wo ist es empfindlich? Wo tut es ihm weh?

Die Antwortet lautet: Dort, wo den Mullahs und ihren Schergen die Zustimmung der Bevölkerung verloren geht.

Die vom Westen verfolgte Sanktionspolitik geht davon aus, dass die ökonomische Zermürbung Irans irgendwann zu Protesten führen wird, die entweder eine Änderung der Teheraner Politik nach sich ziehen wird, oder gar zu dessen Sturz führt. Doch das ist unwahrscheinlich. Denn der iranische Durchschnittsbürger müsste verstehen, dass seine sich verschlechternde Lage mit der Politik seiner Regierung zu tun hat. Oder anders gesagt: „Der Westen macht mir das Leben schwer, um mich von diesem Regime zu befreien!“

Welcher Iraner wird das wohl glauben? Kaum einer. Denn es ist ja nicht so, dass der Ruf des Westens unter den Iranern — auch den Gegnern des Regimes – der beste ist. Dazu haben sich westliche Staaten allzu sehr in innere Angelegenheiten des Landes eingemischt. Der durch die CIA und Großbritannien provozierte Sturz des populären, demokratisch gewählten Mohammed Mossadegh im 1953 ist nur das spektakulärste Beispiel unter vielen.

Weil es diese unselige Vergangenheit gibt, fällt es dem Regime leicht, die westliche Sanktionspolitik als Fortsetzung einer kolonial-imperialistischen Politik zu denunzieren. Auch propagandistisch sind Wirtschaftssanktionen eine stumpfe Waffe.

Es gibt einen ganz anderen Punkt, an dem das Regime die Zustimmung der Bevölkerung verloren hat: die Menschenrechte. Die Iraner erleben Tag für Tag, dass sie als Bürger keine Rechte haben. Jederzeit kann jedermann von der Straße weg verhaftet und ins Gefängnis geworfen werden. Was ihnen dort droht, sind Folter und Tod. So ist es jüngst dem iranischen Blogger Sattar Beheshti ergangen. Seine Leiche wurden von den Behörden ohne Angaben über die Todesursache der Familie übergeben. So ergeht es auch der iranischen  Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh, die in einen Hungerstreik getreten ist, damit ihre Kinder sie besuchen können. Die Natur des iranischen Regimes kennen die Iraner bestens.

Wer also über Menschenrechte spricht, wer das öffentlich tut, mit Nachdruck und immer wieder, der wird bei den Iranern auf offene Ohren stoßen. Denn die Quälerei des Regimes ist ihr tägliches Brot.

Aber es redet fast niemand mehr über Menschenrechte. Regierungen tun es schon lange nicht mehr, auch die Medien halten sich immer mehr zurück. Alles ist dominiert von der Nuklearfrage. Dem iranischen Regime ist das ganz Recht. Denn es weiß: Das ist nicht unser Schwachpunkt.

 

Ausstellung

Hinweis in eigener Sache.
Zur Zeit ist eine Fotoausstellung von mir zu besichtigen. In Plawenn (BZ), bei Mals, Südtirol, Italien Das Thema: Die große Flut, Fotos aus Pakistan
 

Wir sind dran!

Haben Sie das Gefühl, dass die Regierungen dieser Welt alles im Griff haben, vom Euro über die Klimaerwärmung bis zum Krieg im Nahen Osten? Nein? Haben Sie nicht?
Ich kann Sie beruhigen, Sie sind damit nicht allein. Der Gedanke, dass »die da oben« nicht wissen, was sie tun, ist weit verbreitet und gut zu begründen. Aber was soll man machen, wenn dieser Gedanke zur Gewissheit wird? Wütend werden? Maulen, schimpfen, nicht zu Wahlen gehen oder gar sehr hässliche Parteien wählen? Davon werden wir nicht schlauer und die Dinge auch nicht besser – vor allem aber übersieht man den naheliegenden Schluss: Wenn die Regierenden nichts lösen können, sind sie nicht von Bedeutung. Dann sind sie überflüssig.
Das ist in der Tat beunruhigend. Wenn »die da oben« es nicht vermögen, sind nämlich »die da unten« gefragt. Das wären: wir.
Ja, aber wie sollen der sprichwörtlich kleine Mann und die kleine Frau, sagen wir, den Krieg in Syrien beenden? Unmöglich, in der Tat. Aber darüber nachzudenken, ob man seine Tür einem syrischen Flüchtling öffnen würde, um ihm Schutz zu gewähren, wäre schon mal ein guter Anfang. Wenn alle Deutschen bereit wären, Not leidende Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie dies auch bekunden würden, würde kein Innenminister mit einer hartherzigen Flüchtlingspolitik in den Wahlkampf ziehen, weil er sich davon nichts erwarten könnte. Er würde sich wichtigeren Dingen zuwenden müssen, etwa der Aufklärung der Morde des NSU. Geschähe das, würden die Deutschen mit türkischen Wurzeln nicht mit
dem Gefühl leben müssen, Bürger zweiter Klasse zu sein. Das wäre doch mal ein Schritt in Richtung einer gelungenen Integration. Das stärkte das ganze Land. Was für ein wunderbares Ergebnis das doch wäre. Und am Anfang stand nicht mehr als eine schlichte Einsicht und ein kleiner Schritt: Wir haben Macht.
Alles wohlfeile Utopie! Aber sicher doch. Zu Hilfe, das ist Anarchie! Auch das, gewiss. Aber ist die Vorstellung, dass eine sehr kleine Gruppe von Menschen (Regierungen) mit angehängter etwas größerer Gruppe von Menschen (Bürokratie) unser aller Leben besser regeln kann als wir selber, nicht geradezu gefährlich utopisch? So wie die Dinge der Menschheit liegen, lautet die Antwort: Ja, das ist die lebensbedrohliche Utopie.
Wir sind also dran, das ist besser, für uns und für die Welt.

 

Die Rache wird kommen

Der Protest gegen das Video über den Propheten Mohammed (The Innocence of Muslims) war in Pakistan besonders heftig. Den Demonstrationen in den Straßen pakistanischer Städte wurde in der Berichterstattung breiter Raum gegeben. Als dann auch noch der Eisenbahn-Minister für den Mord an den Autoren des Videos 100.000 Dollar bezahlen wollte, war das Urteil zementiert: Pakistan ist die Hochburg gewalttätiger Islamisten. Falsch ist das nicht, aber es ist eben nur ein kleiner Teil der Wahrheit — und es verdeckt eine größere, dramatischere Geschichte.

Pakistan ist Kriegsgebiet seit US-Präsident Barack Obama im Frühjahr 2009 den Begriff Afpak prägte. Das Kürzel besagte, dass der Krieg gegen die Taliban und Al-Kaida nicht nur auf Afghanistan beschränkt sei, sondern ab sofort auf Pakistan ausgeweitet werde. Dorthin nämlich zögen sich die Taliban zurück. Obama konnte freilich keine US-Truppen in das Staatsgebiet Pakistans schicken, denn immerhin ist Pakistan bis heute ein „privilegierter Partner der Nato“ — offiziell ein enger Freund. Doch Obama sandte Drohnen. Seit seinem Amtsantritt sind mehr als 3.000 Pakistaner bei Angriffen dieser fliegenden Killermaschinen ums Leben gekommen.

Die offizielle Lesart in den USA ist, dass der Drohnenkrieg effektiv, nützlich und erfolgreich sei. Er schaffe nämlich die Möglichkeit, „Terroristen gezielt zu töten“ und gleichzeitig die zivilen Opfer auf ein Minimum zu beschränken. Ein eben erschienener, umfassender Bericht der Stanford Law School und der New York University Law School stellt dazu geradeheraus fest: „Dieses Auffassung ist falsch!“

Blowback — Rückschlag, das ist ein Begriff, den die CIA für die unbeabsichtigten Folgen amerikanischer Politik geprägt hat. Man kann denselben Sachverhalt auch in etwas härterer Sprache fassen: Die Rache wird kommen, nicht morgen vielleicht, aber in naher Zukunft, vielleicht nicht in Form eines gewaltigen Anschlags, vielleicht in zahlreichen schmerzhaften Schlägen. Das alles wissen wir nicht.

Doch wir erleben bereits jetzt eine bedeutende geopolitische Verschiebung. Pakistan bricht dem Westen weg. Der Drohnenkrieg ist eine der wesentlichen Ursachen für diese sich nun rasant verstärkende Entwicklung. Die Drohnen mögen zwar Terroristen töten, aber ihr zerstörerisches Potenzial entfalten sie auf einer ganz anderen Ebene: Sie kappen die Verbindungen zu Pakistan. Angriff für Angriff entgleitet dem Westen dieses Land.

Die seit Jahren fortgesetzten Drohnenangriffe übermitteln den Pakistanern ja eine ganze Reihe verheerender Botschaften: Die Souveränität eures Staates ist uns egal; wir töten, wen wir wollen, wann wir wollen und wo wir wollen; wir bitten nicht um Erlaubnis; wir sind Euch waffentechnisch überlegen und sind bereit, diese Überlegenheit ohne Zögern einzusetzen. Eure Grenzgebiete zu Afghanistan erklären wir zu gesetzlosen Gebieten; die Menschen dort geben wir zum Abschuss frei, wenn sie uns gefährlich erscheinen; es reicht der Verdacht, es reicht unser Verdacht.

Wer diese Sprache der Drohnen hört, der versteht, dass die Proteste gegen das Video The Innocence of Muslims ein Oberflächenphänomen sind — dahinter wird ein Land sichtbar, das sich in einem unerklärten Krieg mit dem Westen befindet und gedemütigt wird.

 

 

Pakistan aufgeben?

Die USA haben vor elf Jahren dem Terror den Krieg erklärt. Es waren bittere elf Jahre für Pakistan. 35.000 Pakistaner sind seitdem ums Leben gekommen, bei Anschlägen, Kämpfen, Attentaten und Drohnenangriffen. Die Menschen in diesem Land sterben immer noch in großer Zahl durch terroristische Gewalt und Gegengewalt. Der Preis, den Pakistan für sein Bündnis mit den USA bezahlt hat, ist entsetzlich. Die Pakistaner fragen sich heute, ob es denn gut war, dass ihre Regierung sich nach 9/11 auf die Seite der USA geschlagen hat. Die Antwort, die sie sich geben ist: Nein. Das Bündnis mit den USA hat Unglück über uns gebracht.

Diese Meinung sollte niemanden verwundern. Viele pakistanische Bürger haben das Gefühl, dass ihre Opfer nicht wahrgenommen werden. Sie haben damit ohne Zweifel recht. Pakistan hat so einen schlechten Ruf wie sonst kaum ein anderer Staat der Welt: Hochburg gewalttätiger Fanatiker, instabile Atommacht, durch und durch korrupter Staat. Falsch ist das ja nicht, doch es ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere Seite ist die Bereitschaft, dieses Leid, das der Krieg gegen den Terror über das Land gebracht hat, zu erdulden.

Das muss man anerkennen. Das haben die Pakistaner verdient. Es würde auch eine ungewohnte Sichtweise auf dieses Land ermöglichen, das uns immer nur als bedrohlich erscheint. Wer einen neuen Blick auf Pakistan entwickelt, der könnte auch eine neue Politik machen, eine, die dem Land nicht so viele Opfer abverlangt.

Notwendig wäre sie allemal. Denn Pakistan rückt seit geraumer Zeit Stück für Stück vom Westen ab. Das ist keine gute Nachricht. Pakistan kann man nicht ignorieren, dazu hat es zu viel Eigengewicht.

Was also könnte getan werden? Zunächst einmal sollte man in der Betrachtung dieses Landes nicht immer vom Worst Case ausgehen, vom Zerfall. Es ist besser, die Stärke Pakistans in den Vordergrund zu stellen. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist der Staat nicht zerfallen. Dafür gibt es einen Grund, den man gerne übersieht: Pakistan ist die Heimat von 190 Millionen Menschen. Diese Menschen – mit Ausnahme der winzigen Elite – haben kein anderes Land, in das sie gehen könnten. Das macht Pakistan lebensfähig, diese unglaubliche Zähigkeit, mit der die einfachen Pakistaner an ihrem Land festhalten. Nicht die Existenz Pakistans steht infrage, sondern die Definition dessen, was dieses Land eigentlich ist, wofür es steht. Das ist der Kampf, der sich zu kämpfen lohnt.

 

Pakistan und Indien brauchen sich

Pakistan und die USA haben nach den Attentaten vom 11. September ein Zweckbündnis geschlossen. Seitdem sind in diesem Krieg gegen den Terror wahrscheinlich 35.000 Pakistaner ums Leben gekommen. Dieser entsetzliche Preis ist einer der Gründe, warum das Bündnis mit den USA eine Ende finden wird. Man kann dieses Ende sogar datieren. 2014 wird die Nato ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen. Pakistan wird dann für den Westen keine so große Rolle mehr spielen.

Die Pakistaner wissen dies, und sie bereiten sich rechtzeitig darauf vor. Sie wissen, dass sie für die USA nie mehr waren als ein Instrument im Krieg gegen den Terror. Sind die westlichen Soldaten einmal aus Afghanistan weg, dann hat Pakistan seine Schuldigkeit getan. Wohin aber wird sich das Land dann wenden?

Pakistan könnte zum Beispiel versuchen, sich ohne Bündnisse zu behaupten. Von seiner Größe her, wäre das durchaus möglich. Immerhin hat das Land 190 Millionen Einwohner und es verfügt über reiche Ressourcen wie die Gasvorkommen in der Provinz Baluchistan. Doch das Problem ist, dass dieser Staat nicht in der Lage ist, seinen Bürgern Sicherheit, Nahrung und eine Perspektive zu geben.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Zwischen 40 und 55 Millionen Pakistaner haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; 40 der insgesamt 70 Millionen Kinder im Schulalter gehen nicht zur Schule; 60 Prozent der Bevölkerung leidet unter Mangelernährung; 630 Kinder täglich sterben an verseuchtem Wasser. Diese Zahlen allein werfen bereits die Frage nach der Zukunftsfähigkeit Pakistans auf. Hinzu kommen der hausgemachte Terror, fanatischer Islamismus und schwere Spannungen zwischen den einzelnen Regionen.

Ein Zerfall Pakistans scheint also durchaus möglich zu sein. Das wäre eine Katastrophe für alle, denn Pakistan ist ein Atomstaat.

Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Staat nach 2014 in irgendeiner Form in ein System integriert wird, das stabilisierend wirkt. Das Antiterrorbündnis hat als stabilisierende Klammer nicht funktioniert, das ist offensichtlich. Es hat die Fliehkräfte Pakistans nur noch verstärkt. Doch neben den USA bieten sich zwei weitere Mächte an, mit denen Pakistan Bündnisse eingehen könnte: China und Indien.

Mit China verbindet Pakistan schon seit den fünfziger Jahren ein Freundschaftsvertrag. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng und sie werden permanent ausgebaut. Doch Chinas Interesse an Pakistan bleibt bisher auf der Basis der Ökonomie beschränkt. Das alleine reicht nicht, um den Staat auf Dauer zu stabilisieren. Denn es braucht eine Möglichkeit, neben der Wirtschaft vor allem die politischen Institutionen zu stärken. Dafür ist China nicht der richtige Partner. Pakistans Gesellschaft ist zu lebendig, zu widerspenstig und ja, zu demokratisch. Das autoritäre Modell kennen die Pakistaner zur Genüge. Sie haben es immer wieder abgeworfen.

Der natürliche Partner für Pakistan wäre Indien. Diese riesige Land hat alles, was Pakistan zu Stabilisierung braucht: Wirtschaftswachstum, rechtsstaatliche Strukturen, eine starke Demokratie. Das Beste wäre, Pakistan in den Orbit des indischen Aufstiegs einzubinden. Das wäre eine Perspektive.

Doch leider trennt beide eine historische Feindschaft. Sie haben vier Kriege gegeneinander geführt. Die Pakistaner müssten jedoch verstehen, dass sie nur mit Indien aufsteigen können. Und die Inder müssten verstehen, dass sie mit einem Nachbarn, der immerzu vor dem Zerfall steht, nicht zur Weltmacht werden können. Pakistan ist ein Bleigewicht an den Füßen Indiens. Ein zerfallendes Pakistans wäre es noch viel mehr. Die Regierungen beider Länder scheinen diese wechselseitige Abhängigkeit langsam zu begreifen. Sie haben unlängst für indische und pakistanische Geschäftsleute die Visabestimmungen stark gelockert. Das ist schon ein erster Schritt, klein aber ermutigend.

 

Die libysche Gefahr

Barack Obama schickt zwei Zerstörer der US-Navy vor die libysche Küste. 50 Marinesoldaten sind bereits in Bengasi. Welchen Auftrag Schiffe wie Soldaten erfüllen sollen, ist nicht klar. Obama will jedenfalls Stärke demonstrieren, nachdem der amerikanische Botschafter in Bengasi bei einem Anschlag ums Leben gekommen ist. Nach Auffassung der US–Behörden steht Al-Kaida hinter dem Attentat.

Die Attentäter können sich jedenfalls über Obamas Reaktion freuen. Sie wollen die Eskalation. Den übermächtigen Gegner an empfindlichen Stellen treffen und ihn dann zum unverhältnismäßigen Gegenschlag zu provozieren. Das war das strategische Kalkül hinter den Anschlägen von 9/11. „Wir müssen nur irgendwo die Flagge Al-Kaidas hissen und die Amerikaner werden ihre Soldaten schicken“ — das sind die Worte Osama bin Ladens. In Afghanistan ging Osama bin Ladens Kalkül auf. Er lockte die Weltmacht in den afghanischen Treibsand, aus dem sie sich erst Jahre später mit Mühe und Not zu befreien sucht.

Libyen ist nicht Afghanistan, gewiss. Nach dem Sturz des Autokraten Muammar al-Gaddafi hat Libyen erfolgreiche Parlamentswahlen abgehalten. Das ist eine sehr gute Nachricht. Das Land besitzt große natürliche Ressourcen. Es hat eine entwickelte Ölindustrie. Das alles sind sehr wesentliche Unterschiede zu Afghanistan.

Aber es gibt Parallelen zu Afghanistan. Die libysche Regierung hat Mühe, sich durchzusetzen. Die Institutionen des Staates sind noch schwach. Es wimmelt von Waffen und Kriegern. Das sind potenziell gute Bedingungen für Al-Kaida. Diese Organisation sucht ein solches Umfeld.

Al-Kaida ist nicht stark genug, um sich im libyschen Staat an zentralen Stellen einzunisten. Das gelang Al-Kaida in Afghanistan. Aber wenn sie es schafft, dass jemand von außen mit dem Hammer auf diesen Staat einschlägt, dann ist die Lage ganz neu zu bewerten. Obama muss sich zurückhalten. Er muss mit den libyschen Behörden zusammenarbeiten, so schwach sie auch sein mögen.

Obama wird Libyen nicht mit Raketen beschießen. Die Gefahr ist eine andere. Was zum Beispiel würde geschehen, wenn die 50 Marinesoldaten an Land in einen Kampf verwickelt werden? Was, wenn ein paar von ihnen dabei ums Leben kommen?

Ein solches Szenario hat es schon einmal gegeben. 1992 in Somalia. Damals haben US-Marines Jagd auf den somalischen Warlord Mohammed Aidee gemacht, mitten in Mogadischu. 18 Marines sind dabei getötet worden. Einige Leichen dieser Soldaten sind unter den Augen der Welt und dem Johlen der Menge durch die Straßen von Mogadischu geschleift worden. Der damalige US-Präsident Bill Clinton beendete umgehend die Intervention in Somalia, die man unter der UN-Flagge begonnen hatte, um dem vom Bürgerkrieg und Hunger geplagten Land zu helfen.

Den überstürzten Rückzug aus Somalia hat ein Mann aufmerksam registriert: Osama bin Laden. Somalia hat er seinen Anhängern immer wieder als Beispiel vorgestellt. Die Weltmacht rennt davon, wenn man sie trifft; oder sie schlägt mit einem übergroßen Hammer zu.

Osama bin Laden mag zwar tot sein – aber sein Erbe ist gefährlich lebendig.

 

Der gefährliche Überlebenskampf der Mullahs

Wir sind nicht isoliert! Das ist die Botschaft, die das iranische Regime auf dem Gipfel der Blockfreien Staaten vermitteln wollte. Der Gipfel fand in Teheran statt. Der Iran übernahm von Ägypten für drei Jahre den Vorsitz über diese 118 Staaten umfassende Organisation. Es war eine gute Gelegenheit, sich der Welt zu präsentieren. Doch das ist gründlich schief gelaufen, nicht nur wegen des Auftritts von Ägyptens Präsident Mursi.

Der Spielverderber ist die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) mit Sitz in Wien. Sie veröffentlichte just während des Gipfels einen Bericht, wonach der Iran weitere Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran gebaut habe. Und plötzlich redet alles nur mehr von der nuklearen Gefahr, die von Teheran ausgeht. Der Iran befand sich im Handumdrehen genau dort, wo ihn seine Gegner haben wollen: In der Ecke des isolierten Pariahs.

Warum hat die IAEA ihren Bericht gerade jetzt veröffentlicht? Das iranische Regime gibt darauf eine eindeutige Antwort: Die IAEA sei keine unabhängige Institution und sie habe  die Namen von Wissenschaftlern, die am iranischen Atomprogramm arbeiten, an westliche Geheimdienste weitergeben. Eine ganze Reihe dieser Experten sind inzwischen Attentaten zum Opfer gefallen. In Teheran behauptet man da einen Zusammenhang. Man muss diese Auffassung des Regimes nicht teilen, doch es besteht kein Zweifel daran, dass der Krieg gegen Teheran schon seit einiger Zeit geführt wird. Die Attentate sind ein Teil davon, die Attacke mit dem Computervirus Stuxnet ebenfalls, auch die harten Sanktionen der USA und Europas sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Das alles geschieht angeblich, um zu verhindern, dass der Iran die Atombombe baut.

Aber es sind Zweifel angebracht, dass dies das primäre Ziel dieser Politik ist. Alle Experten sind sich einig, dass kein einziges Mittel, welches eingesetzt wird, den Iran auf lange Sicht davon abhalten könnte, ein Bombe zu bauen. Selbst ein Krieg brächte nur eine Verzögerung. Wenn Teheran will, dann wird es die Bombe bauen. Ja, selbst wenn morgen die Opposition an die Macht käme, ist es nicht ausgemacht, dass der Iran von seinem nuklearen Weg ablassen wird. Auch die Führer der Grünen Bewegung haben nie ausdrücklich auf das Recht verzichten wollen, Uran anzureichern. Dieses Recht steht dem Iran zu. Allerdings nur dann, wenn Uran für zivile Zwecke angereichert wird und nicht für den Bau einer Bombe.

Das Regime in Teheran sieht sich zu Recht in einem Abwehrkampf, bei dem es um seine Existenz geht. Die Herrscher wissen auch, dass sie eine Bombe politisch zwar völlig ins Abseits stellen würde, sie aber militärisch unangreifbar macht. Durch eine Bombe wären sie immun. Obwohl die Mullahs gerne als Verrückte dargestellt werden, sind sie es keineswegs. Sie verhalten sich rational. Deswegen spielen sie mit der Möglichkeit, eine Bombe zu bauen – doch sie lassen die Welt darüber im Ungewissen, ob sie sich dazu entschieden haben. Es ist nicht einmal sicher, ob die Führung beschlossen hat, eine Bombe herzustellen.

Im jüngsten IAEA-Bericht steht, dass der Iran mehr Gaszentrifugen gebaut hat, als bis dahin angenommen wurde. Doch diese „neuen“ Zentrifugen arbeiten noch nicht. Teheran will damit sagen: Wir könnten, wenn wir wollen. Und es hängt von eurer Politik ab, ob wir diesen Weg beschreiten. Was aber bezweckt das Regime damit? Vor allem eines: auf Dauer zu überleben. Wenn möglich ohne Bombe, wenn nötig mit.

 

Hilfe aus Teheran?

Der Iran kann helfen, die syrische Tragödie zu beenden. Das wusste Kofi Annan, der bis vor Kurzem Sonderbeauftragte der UN für Syrien war. Darum wollte er den Iran in Gespräche einbinden. Doch der Plan scheiterte am Widerstand der USA. Washington will das Regime in Teheran auf keinen Fall aufwerten, sondern weiter isolieren. Annan warf daraufhin enttäuscht das Handtuch.

Die Machthaber in Teheran halten gewiss nicht den Schlüssel für eine Lösung des syrischen Bürgerkrieges in Händen. Doch ihr Einfluss ist groß genug, um jede Lösung zu verhindern. Wenn das iranische Regime dies will, kann es Syrien in große Schwierigkeiten bringen, das System entscheidend destabilisieren. Viel deutet darauf hin, dass es dazu bereit ist – bis heute hält es jedenfalls treu zu seinem Verbündeten Baschar al-Assad. Doch das Bündnis mit Damaskus ist kein ideologisches. Die Theokratie Iran und den säkularen Clan der Assads verbindet ein rein strategisches Machtkalkül – das aber kann sich ändern. Irans religiöser Führer Ali Chamenei könnte Assad auch fallen lassen. Dazu müsste sich etwas Grundsätzliches in derwestlichen Syrienpolitik ändern.

Manch ein Interventionist macht keinen Hehl daraus, dass es in Syrien nicht um das syrische Volk geht, sondern darum, »das schwächste Glied jener Kette zu schleifen oder gar zu brechen, die sich von Teheran über Damaskus bis zu den Iranosauriern der Hisbollah spannt« (Bernard-Henri Lévy, ZEIT Nr. 34/12). Das Hauptziel ist also die Schwächung der Islamischen Republik Iran, des Erzfeindes des Westens in der Region. Assads Sturz soll nur die Ouvertüre zum Sturz der Mullahs in Teheran sein. Diese Überlegung, nicht das Interesse an einer demokratischen Zukunft Syriens, verbindet die USA und Europa mit Saudi-Arabien und Katar.

Dabei kann man Syriens Bürgerkrieg als ebenso traurigen wie dringenden Anlass betrachten, den Iran endlich mit in die Nahostpolitik einzubeziehen. Kofi Annan wollte das, als Diplomat weiß er, dass man auch mit Gegnern sprechen muss. Der Iran möchte eine politische Rolle spielen, weil er sich aufgrund seiner Größe, seiner Geschichte und seiner Kultur als Ordnungsmacht in der Region versteht. Solange man aber dem Regime in Teheran die Pistole auf die Brust setzt, wird es mit ebensolcher Härte dagegenhalten. Besonders in der Nuklearfrage ist diese Verhärtung zu spüren.

Kaum jemand weiß, ob das Regime in Teheran überhaupt willens oder gar in der Lage ist, eine konstruktive Politik in der Region zu betreiben, eine Politik, von der keine Bedrohung ausgeht. Doch ein Versuch wäre es wert. In diesen Tagen findet die Konferenz der Bewegung der Blockfreien Staaten statt – ausgerechnet in Teheran. Die Bewegung wurde 1961 von Ägypten, Indien, Jugoslawien gegründet, um den Supermächten USA und Sowjetunion ein Gegengewicht entgegenzustellen. Die Konferenz hat wenig Bedeutung, doch potenziell immer noch viel Gewicht. Denn die Blockfreien vereinen 118 Mitglieder und stellen damit eine Mehrheit der UN-Vollversammlung. Auf dieser Plattform könnte der Iran zu einer neuen Politik ermuntert werden, und es gibt auch schon einen Mann, der diese Einladung aussprechen könnte: der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi. Er reist an diesem Donnerstag nach Teheran. Mursi ist mit einer frischen, demokratischen Legitimation ausgestattet, er ist ein Repräsentant des politischen Islams, als ebensolche verstehen sich auch die Mullahs in Teheran. Mursi verfügt also über einen gewissen Spielraum in der verfahrenen Politik des Nahen Ostens, auch gegenüber Teheran könnte Mursi neue Töne anschlagen. Nach Auskunft seiner Mitarbeiter soll der ägyptische Präsident einen Vorschlag mit nach Teheran bringen: den Iran in eine geplante Syrien-Kontaktgruppe einzuladen.

 

Die Intervention in Syrien hat bereits begonnen

Stinger-Raketen
Afghanische Taliban mit Stinger-Raketen aus US-Produktion (1999) (c) Reuters

Den syrischen Rebellen gelingt es regelmäßig, T-72-Kampfpanzer der staatlichen Armee zu zerstören. Dafür brauchen sie schwere Waffen, zum Beispiel den Raketenwerfer Milan aus französischer Produktion oder das amerikanische TOW-System. Es ist nicht einfach, diese Raketenwerfer zu bedienen. Man braucht Anleitung. Man braucht Ausbilder.

Allein aus diesem Umstand kann man ablesen, dass es in Syrien eine ausländische Intervention militärischer Natur bereits gibt. Ohne sie könnten die Rebellen gegen die hoch gerüstete syrische Armee nichts ausrichten. Und so sehen wir eben immer wieder explodierende, brennende T-72-Kampfpanzer.

Gute Militärapparate sind fähig, sich von Konflikt zu Konflikt zu verbessern. Jeder Krieg ist eine Schule für den nächsten. Die westlichen Armeen haben aus Afghanistan und Irak Lehren gezogen. Das hat man in Libyen gesehen. Auch dort wollte man – wie in Afghanistan und Irak – einen Diktator stürzen, doch konnte man es nicht mehr mit dem Einmarsch eigener Soldaten bewerkstelligen. Es fehlte das Geld, vor allem aber die Zustimmung der kriegsmüden westlichen Öffentlichkeit. Für die Libyer wollten die Bürger nicht das Leben eigener Soldaten riskieren.

Das zwang die interventionswilligen Regierungen des Westens zu einer Anpassung ihrer Kriegsführung. Sie schickten ihre Kampfbomber unter der Fahne der Menschenrechte und dienten de facto als Luftwaffe der libyschen Rebellen. Gleichzeitig versorgten sie diese  mit schweren Waffen, um gegen die Armee  Muammar al-Gaddafis kämpfen zu können, gegen seine Panzer vor allem. Schließlich kamen auch Spezialeinheiten am Boden zum Einsatz, fern jeder öffentlichen Aufmerksamkeit. Diese Einheiten spielten eine entscheidende Rolle beim Fall von Tripolis und dem eigentlichen Sturz des Diktators.

Libyen ist für die Militärs erfolgreich gewesen. Es war billig, es dauerte nicht allzu lang und keiner im Westen hatte das Gefühl, dass eigenes Blut riskiert werden musste. Im Falle Syriens argumentieren die Interventionsbefürworter heute mit dem libyschen Modell.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die USA intervenierten in den achtziger Jahren in Afghanistan. Sie rüsteten die afghanischen Freiheitskämpfer gegen die sowjetischen Besatzer aus. Unter anderem lieferten sie ihnen Stinger-Raketen. Mit ihnen konnten die Mudschaheddin die gefürchteten sowjetischen Helikopter abschießen. Die Stinger-Raketen wurden kriegsentscheidend.

Als die USA aber 2001 in Afghanistan intervenierten, mussten sie die Stinger-Raketen von den ehemals so hofierten afghanischen Freiheitskämpfern, von denen viele zu Taliban mutiert waren, wieder zurückkaufen. Sie fürchteten ihre eigene Waffe, die sie wenige Jahre zuvor an die Freiheitskämpfer gespendet hatten. Der Westen mischt sich ein, ohne selbst zu schießen. Das scheint der neue, alte Weg zu sein – und Syrien sein Anwendungsfall. Aber auch solche Interventionen haben den Effekt eines Bumerangs: Irgendwann kommen sie zurück und richten Schaden an.