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Whistleblowing auf Papier

 

In der zurückliegenden Woche blieben die spektakulären Enthüllungen aus. Der USA-Besucher und chinesische Staatschef Hu Jintao war ein Thema. Ein anderes war Rudolf Elmer, Ex-Banker, der Assange in London Daten von 2000 Bankkunden und mutmaßlichen Steuerhinterziehern übergeben hatte und kurz darauf in der Schweiz verhaftet wurde. Die Haftumstände eines anderen, des US-Gefreiten Bradley Manings, der vermeintlichen Quelle für Depeschen und Kriegsprotokolle, waren ebenfalls ein kontroverses Thema. Vor allem aber dominierte mal wieder Julian Assange die Schlagzeilen. Für ein Biopic, einen Kinofilm, der das Leben des Wikileaks-Gründers inszeniert, sollen die Vorbereitungen laufen.

Umso spektakulärer dürfte es in der gerade startenden Woche werden. Zumindest was die Buchtitel betrifft, deren Erscheinen angekündigt ist. Denn zahlreiche Verlage wollen am Großthema Wikileaks mitverdienen und haben ihre Autoren ins Rennen geschickt oder gleich Wikileaks-Macher als Autoren gewinnen können. Den Buchtiteln zufolge versprechen die Neuerscheinungen die große, die ganz große Story.

Der Suhrkamp Verlag tastet sich mit seinem Sammelband noch ganz vorsichtig heran und betitelte ihn ganz im Stile eines gut abgehangenen Schulfunkjargons: „Wikileaks und die Folgen. Netz – Medien – Politik.“ Der weitgehend unbekannte Scorpio-Verlag ist da schon weniger zimperlich. Hier werden gleich die großen Buchstaben ausgepackt: „Julian Assange, der Mann der die Welt veränderte.

Der abtrünnige Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg ließ sich vom Econ-Verlag zu dem Titel „Inside Wikileks – Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ verführen. Was in etwa so verlockend klingt wie „Mein Leben als Rennfahrer im schnellsten Wagen der Formel 1“ oder „Meine Nacht mit Gunter Gabriel an einem der gefährlichsten Tresen der Welt“. Unterdessen hat der Guardian ebenfalls ein Wikileaks-Buch angekündigt. Mit den ganz großen Begriffen wird auch hier hantiert. „Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“.

Das ungeduldige Publikum in den Bahnhofsbuchhandlungen dagegen haben offensichtlich die Macher eines Spiegel-Buchs im Blick. Unter ihnen Holger Stark, Leiter des Hauptstadtbüros des Spiegel und eine Art Wikileaks-Koordinator beim Nachrichtenmagazin (hier noch der Link zu einem interessanten Werkstattgespräch mit Stark über die konkrete Arbeit mit Assange und Wikileaks). Sie titeln: „Staatsfeind Wikileaks“. Und der Leser erhofft sich natürlich sofort rasend schell geschnittene Szenen wie beim Blockbustermovie Staatsfeind Nummer 1.
Der endgültige Abräumer aber kommt dann im April. Die Autobiografie von Julian Assange. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch kündigt das Buch ganz zurückhaltend mit einem Assange-Zitat an : »I hope this book will become one of the unifying documents of our generation.“

Bescheidenheit ist eine Zier, aber es geht auch ohne ihr. Und die Assangeworte von der befürchtete Exekution in Guantanamo bekommen plötzlich etwas von einem Kinotrailer, der uns einen Showdown im Frühling ankündigt.

Aber – wer weiß. Am Ende haben sie sogar alle Recht, die großspurigen Titel. Denn Wikileaks und Assange könnten tatsächlich so etwas wie die digitalen Protagonisten der neuen Dekade werden. Die Frage bleibt, wie geht es weiter?

UPDATE: Es dürfte in dieser Woche noch ein zweites großes Thema geben. Die Geheimdokumente der Nahost-Friedensverhandlungen.