Helden sind bekanntermaßen eine eher schwierige Gruppierung. Sie leiden an massiven Profilneurose und seit der französischen Revolution, aber spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts, sind sie moralisch sowieso diskreditiert. Versorgte uns die Geschichte des Altertums noch mit halbwegs brauchbaren Heldenfiguren wie Herkules, Iphikles oder David, wird das Thema Helden spätestens im 20. Jahrhundert dann eher unappetitlich. Den Heldentoten der Weltkriege folgen die Helden der Arbeit. Später geistern die Che Guevaras, Hồ Chí Minhs und Maos durch die Jugendzimmer. Neben diesem Panoptikum des Grauens wirken Operettenfiguren wie Superman oder Batman fast schon sympathisch.
Ein ganz anderer Held passt in keiner Weise in diese Muster historisch-theologischer Überhöhung, politischer Verklärung oder comichafter Überzeichnung. Dennoch muss man ihn thematisieren, will man aktuell überhaupt noch über Begriffe wie Held oder Märtyrer nachdenken. Zwar ist mittlerweile fast alles über ihn schon geschrieben, ist sein Fall ebensso offenkundig, wie sein vermeintlicher Heldenstatus. Aber trotzdem sorgt jede nähere Betrachtung weiterhin für Irritationen. Es geht um den mutmaßlich ungewöhnlichsten Held der Gegenwart: Bradley Manning. Diesen einen Obergefreiten der US-Armee, der als einziger von vielen tausend Befugten erkannte (oder handelte er naiv?), dass ihm durch schlichtes Kopieren von Datensätzen, eine Art Revolution light möglich würde. Zwar beinhalteten die mutmaßlich durch Manning kopierten Datensätze nichts anderes als das, was der US-amerikanische Militär- und Botschaftsapparat tagtäglich kommunizierte, ohne größtmögliche Geheimhaltungsstufen zu praktizieren, dennoch war ihre plötzlich Veröffentlichung durch WikiLeaks eine Sensation.
Eigentlich aber war nichts von dem, was im Zuge dessen bekannt wurde, eine Sensation. Alles war längst in der Diskussion. Eine Sensation war es dagegen aber, dass die kursierenden Debatten derartig leicht Belege erhielten: für die Schmutzigkeit der Kriege im Irak und in Afghanistan, für den Spott und den Hochmut der Botschafter, den staatlich sanktionierten Wirtschaftsprotektionismus etc. pp.
Eine noch viel dramatischere Sensation aber ist es, dass es nur diesen einen Obergefreiten gab, der auf die Idee kam, mit einem eher unterkomplexen Akt wie dem einfachen Kopieren von Daten politisch aktiv zu werden. Was dachten die anderen zehn-, fünfzig oder hunderttausend Befugten all die Jahre über?
Was ihm, diesem Märtyrer wider Willen, in den nächsten Jahren drohen wird, ist noch offen. Das Verfahren läuft. Die Drohgebärden der verletzten Nation USA deuten aber nicht gerade darauf hin, dass es irgendeine Form der Milde geben wird. Auch das ist am Ende eine bittere Sensation. Dieses große Land, diese mächtige Nation stürzt sich auf Figuren wie Bradley Manning oder Julian Assange, um die Wut über das eigene Unvermögen zu kompensieren.
Kein Wunder, dass einige unverzagte amerikanische Medien unermüdlich versuchen, mit neuen Texten und Publikationen der Figur Bradley Manning auf die Spur zu kommen. Das WIRED-Magazin hat beispielsweise gerade den kompletten Chat zwischen Manning und dem Ex-Hacker Adrian Lamo veröffentlicht. Nach langem Zögern. Denn es legt auch das Privatleben eines Verletzbaren frei. Denn anders als im Leben konventioneller Helden von der Stange ist die Existenz des Bradley M. kein reines Vergnügen gewesen. Es ist übrigens jener Chat, der Manning zum Verhängnis wurde und auf dem vieles fußt, das vor Gericht als Beweis der Anklage dienen soll. Aber auch der New Yorker portraitierte vor einigen Tagen eine der traurigsten Helden der Gegenwart. Es geht um die Einsamkeit von Bradley Manning’s Army of One. Ganz nebenbei stellt übrigens auch Glenn Greenwald auf Salon.com eine hervorragende Analyse zur Verfügung.
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Am Ende ist es immer simpel über die große Ungerechtigkeiten dieser Welt zu schwadronieren. Dennoch sind weiterhin massive Zweifel an der Vorgehensweise der USA angebracht. Wenn ein elender Obergefreiter den Druck einer ganzen gedemütigten Nation ertragen muss, während andere, wie zum Beispiel die Piloten des berühmt-berüchtigten Hubschraubereinsatzes im Irak auf freiem Fuß sind, muss man von asymmertrischer Rache sprechen. Stichwort Collateral Murder. Auch dieses Video soll Manning an WikiLeaks lanciert haben. Sonst keiner der vielen Tausend, die Zugriff hatten.