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Openleaks geleakt

Der Launch des neuen Leakingportals OpenLeaks.org wird seit Wochen erwartet und seit fast genauso vielen Wochen verschoben. Jetzt ist ein Leak von OpenLeaks als PDF mit diversen Frontendansichten auf der Netzseite Cryptome.org aufgetaucht. Auf Netzpolitik.org gibt es mittlerweile auch einen Link zur Netzseitenansicht des Leaks. Da gibt es im Newsbereich zum Beispiel die Meldung aus dem Dezember 2010, die den Start von OpenLeaks feiert.

Auf der offiziellen OpenLeaks-Seite dagegen gibt es bisher nur ein einsames „Coming Soon“ zu sehen.

Der ehemalige Partner von Julian Assange, Daniel Domscheit-Berg, hatte bereits Ende letzten Jahres den Start des neuen Portals angekündigt. Domscheit-Berg war im Streit bei Wikileaks ausgeschieden, da er Assange einen autoritären Führungsstil und falsche Prioritätensetzung vorwarf. Das neue Leakingportal OpenLeaks plant unter anderem ein neues Kooperationsmodell zwischen Whistleblowern und publizierenden Institutionen. So soll der Whistleblower sein Material an bestimmte Institutionen wie Zeitungen oder NGOs zur Veröffentlichung adressieren können.

Bleibt die Frage, wer den Leak aus welchen Gründen der Netzseite Cryptome.org zugespielt hat. Kommunikationsstrategie? Kannibalismus der Leakingportale? Oder einfach nur mangelnde Vorsicht der OpenLeaks-Macher?

UPDATE 21.15 Uhr: OpenLeaks.org ist wieder dicht

 

Die Welle rollt – Al Jazeera, GreenLeaks, New York Times

Wikileaks wird nachgeahmt. Die neugegründete Transparency Unit des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera hatte vor wenigen Tage umfangreiche Geheimdokumente zu den Nahost-Friedensverhandlungen der letzten Jahre veröffentlicht. OpenLeaks, die neue Seite des ehemaligen Wikileaks-Machers Daniel Domscheit-Berg, steht in den Startlöchern. Und nun tritt eine Berliner Plattform mit dem Namen GreenLeaks an.

GreenLeaks will sich auf die Veröffentlichung von Informationen fokussieren, die sich mit Missständen in den Kontexten Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen.

GreenLeaks wird nicht die letzte neue Plattform sein, die neue Leakingsstrukturen anbietet. Monothematische Plattformen könnten dabei eine Chance sein, auch kleinere Themen sichtbar zu machen.

Eines ist jedenfalls offensichtlich: Die Welle der Leaking-Plattformen rollt.

UPDATE: Gerade gehen die ersten Nachrichten rum, dass auch die New York Times eine Struktur für Whistleblower anbieten wird. Die Welle rollt und wächst.

 

Whistleblowing auf Papier

In der zurückliegenden Woche blieben die spektakulären Enthüllungen aus. Der USA-Besucher und chinesische Staatschef Hu Jintao war ein Thema. Ein anderes war Rudolf Elmer, Ex-Banker, der Assange in London Daten von 2000 Bankkunden und mutmaßlichen Steuerhinterziehern übergeben hatte und kurz darauf in der Schweiz verhaftet wurde. Die Haftumstände eines anderen, des US-Gefreiten Bradley Manings, der vermeintlichen Quelle für Depeschen und Kriegsprotokolle, waren ebenfalls ein kontroverses Thema. Vor allem aber dominierte mal wieder Julian Assange die Schlagzeilen. Für ein Biopic, einen Kinofilm, der das Leben des Wikileaks-Gründers inszeniert, sollen die Vorbereitungen laufen.

Umso spektakulärer dürfte es in der gerade startenden Woche werden. Zumindest was die Buchtitel betrifft, deren Erscheinen angekündigt ist. Denn zahlreiche Verlage wollen am Großthema Wikileaks mitverdienen und haben ihre Autoren ins Rennen geschickt oder gleich Wikileaks-Macher als Autoren gewinnen können. Den Buchtiteln zufolge versprechen die Neuerscheinungen die große, die ganz große Story.

Der Suhrkamp Verlag tastet sich mit seinem Sammelband noch ganz vorsichtig heran und betitelte ihn ganz im Stile eines gut abgehangenen Schulfunkjargons: „Wikileaks und die Folgen. Netz – Medien – Politik.“ Der weitgehend unbekannte Scorpio-Verlag ist da schon weniger zimperlich. Hier werden gleich die großen Buchstaben ausgepackt: „Julian Assange, der Mann der die Welt veränderte.

Der abtrünnige Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg ließ sich vom Econ-Verlag zu dem Titel „Inside Wikileks – Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ verführen. Was in etwa so verlockend klingt wie „Mein Leben als Rennfahrer im schnellsten Wagen der Formel 1“ oder „Meine Nacht mit Gunter Gabriel an einem der gefährlichsten Tresen der Welt“. Unterdessen hat der Guardian ebenfalls ein Wikileaks-Buch angekündigt. Mit den ganz großen Begriffen wird auch hier hantiert. „Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“.

Das ungeduldige Publikum in den Bahnhofsbuchhandlungen dagegen haben offensichtlich die Macher eines Spiegel-Buchs im Blick. Unter ihnen Holger Stark, Leiter des Hauptstadtbüros des Spiegel und eine Art Wikileaks-Koordinator beim Nachrichtenmagazin (hier noch der Link zu einem interessanten Werkstattgespräch mit Stark über die konkrete Arbeit mit Assange und Wikileaks). Sie titeln: „Staatsfeind Wikileaks“. Und der Leser erhofft sich natürlich sofort rasend schell geschnittene Szenen wie beim Blockbustermovie Staatsfeind Nummer 1.
Der endgültige Abräumer aber kommt dann im April. Die Autobiografie von Julian Assange. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch kündigt das Buch ganz zurückhaltend mit einem Assange-Zitat an : »I hope this book will become one of the unifying documents of our generation.“

Bescheidenheit ist eine Zier, aber es geht auch ohne ihr. Und die Assangeworte von der befürchtete Exekution in Guantanamo bekommen plötzlich etwas von einem Kinotrailer, der uns einen Showdown im Frühling ankündigt.

Aber – wer weiß. Am Ende haben sie sogar alle Recht, die großspurigen Titel. Denn Wikileaks und Assange könnten tatsächlich so etwas wie die digitalen Protagonisten der neuen Dekade werden. Die Frage bleibt, wie geht es weiter?

UPDATE: Es dürfte in dieser Woche noch ein zweites großes Thema geben. Die Geheimdokumente der Nahost-Friedensverhandlungen.

 

Wladimir Putin, Nebenberuf Sonnenkönig

Nicolae Ceaușescu, jener rumänische Diktator, dessen Exekution 1989 live im Fernsehen übertragen wurde, ließ sich in den 1980er Jahren einen Palast in das Stadtzentrum Bukarests bauen. Ein Ungetüm von unrealistischen Ausmaßen, unendlich geschmacklos und für die damalige rumänische Volkswirtschaft eine Art schwarzes Loch. Dieser Ceaușescu-Palast, der originellerweise den offiziellen Titel Haus des Volkes erhielt, unterscheidet sich in vielen Punkten von dem Palast, den sich ganz offenbar ein gewisser Wladimir Putin, hauptberuflich Ministerpräsident der Russischen Föderation, ans schwarze Meer stellen lässt. Das jedenfalls geht aus Fotos hervor, die die russische Seite RuLeaks in diesen Tagen veröffentlicht hat. RuLeaks ist eine Art russisches Pendant zu Wikileaks und wurde erst vor wenigen Tagen ins Leben gerufen wurde.


Und wer die Bilder auf RuLeaks sieht, stellt fest: Ja, Putin ist nicht Ceaușescu. Der russische Premier war ganz offenbar nicht vom rumänischen Diktator, sondern eher von Ludwig XIV inspiriert, als er den Auftrag für den Bau des Prachtklotzes am Schwarzen Meer erteilte. Ganz offenbar reizte ihn die Idee eines Lustschlosses irgendwo auf dem Lande. Geschmacklich scheint sich Putin jedoch eindeutig zwischen Ceaușescu und Ludwig XIV zu positionieren. Dass es ihm am dafür nötigen Selbstbewußtsein nicht mangelt, wurde ja bereits anhand zahlreicher Depeschen belegt (Stichwort Alpharüde).

Wie Foreignpolicy.com und Washington Post berichten, sollen die Kosten mittlerweile ins Unermessliche laufen. Zur Beruhigung russischer Staatsbürger melden aber beide Medien, dass der Putin-Palast bisher keine Steuern verschlungen habe, sondern ausschließlich aus Spenden russischer Geschäftsleute erbaut werde. Ein lupenreiner Vorgang also.

 

Spionage? Oder nur ein weiteres Kapitel im Infowar?

Es würde perfekt in die Strategie des amerikanischen Justizministeriums passen. Der US-Nachrichtensender Bloomberg berichtet über angebliche Datensuchaktionen von Wikileaks in diversen Peer-to-Peer-Netzen wie Limewire oder Kazaa.

Nachdem es den amerikanischen Behörden bisher nicht gelungen ist, Wikileaks aus dem Netz zu verbannen oder zumindest den Wikileaks-Gründer Julian Assange vor Gericht zu stellen, würde der neue Vorgang weitere Optionen in der juristischen Auseinandersetzung bieten. Erstmals wäre nachgewiesen, dass Wikileaks nicht nur Daten zugespielt bekommt, sondern selbst aktiv nach Daten sucht.

Der Leiter der amerikanischen Sicherheitsfirma Tiversa Inc., behauptet im Bloomberginterview, zahlreiche Suchaktionen von Wikileaks auf den Festplatten Unbeteiligter nachweisen zu können. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Tiversa Inc. bereits für das FBI und andere US-Dienste tätig war. Mark Stephens, Assanges Rechtsanwalt, reagierte umgehend und nannte die Vorwürfe haltlos.

Information und Desinformation. Die Unterscheidung fällt zunehmend schwer.

 

Leaks im Longtail – Exlusivität der Depeschen endgültig aufgehoben?

Streit gab es von Beginn an. Warum sollten die Redaktionen von New York Times, Guardian, Spiegel und im Fall der US-Botschaftsdepeschen auch die Redaktionen von El País und Libération einen exklusiven Zugriff auf das Wikileaksmaterial genießen? Diese Frage ist fundamental und wird die Zukunft des Whistleblowings massiv beeinflussen. Wann geht wer wie mit dem prekären Material um, dessen Veröffentlichung Menschenleben gefährden oder ganze Gesellschaften in Unruhe versetzen kann (Tunesien: Erste Wikileaksrevolution?).
Mittlerweile scheint jedenfalls eines klar. Wikileaks hat, beabsichtigt oder nicht, keine Kontrolle mehr über die 250.000 US-Botschaftsdepeschen. Nach dem die norwegische Zeitung Aftenposten bereits vor Wochen den Besitz aller 250.000 Depeschen behauptete, scheint nun auch Die Welt alle Depeschen einsehen zu können. Erst am Wochenende war bekannt geworden, dass auch das niederländische NRC Handelsblad nach Überlassung durch die norwegische Aftenposten in den Besitz von mindestens 3000 US-Depeschen aus der Botschaft in Den Haag gelangt ist. In diesen Depeschen geht es unter anderem um die Bedeutung der Niederlande als enger Verbündeter der USA, den äußerst umstrittenen Kauf eines US-Kampfflugzeugs durch die Regierung in Den Haag und den fragwürdigen Islam-Kritiker Geert Wilders.

Crowdleak.net

Die Proliferation der Depeschen ist nicht mehr aufzuhalten. Und das ist eine Chance, für ihre noch bessere Auswertung, da sie vielfach Details enthalten, die nur für Kenner vor Ort in ihrer Brisanz sichtbar sind. Mit Blick auf diese Vorgänge und das Beispiel  Tunesien fragt dementsprechend die Herausgeberin des New Yorker, Amy Davidson, wie man die Nutzung der Depeschen optimieren kann. „Wer weiß schon genug über die einzelnen Länder, auf die sich die Botschaftsdepeschen beziehen.“ Oder anders gefragt: Wie können wir den Menschen, Experten, Redaktionen weltweit einen adäquaten Zugang gewähren, damit sie die für sie relevanten Depeschen suchen und bewerten können. Bei gleichzeitiger Gewährleistung eines sensiblen Umgangs mit dem Material? Die Beteiligung weiterer Redaktionen ist ein erster Schritt. Auch Konzepte wie die des Portals Crowdleak.net, die Fülle mit den Mitteln des Crowdsourcings erschließen wollen, sind ein weiterer Schritt. Aber welche Schritte könnten folgen? Ein Bewerbungssystem für Redaktionen weltweit? Wer entscheidet dann den Zugriff? Ein geheimer Rat bei Wikileaks? Assange persönlich? Eine UN-Organisation? Oder einfach der, der am meisten zahlt?

 

Wikileaks dokumentiert Aufrufe zum Mord an Assange

Die Zukunftshoffnung der Republikaner, Sarah Palin, hat es getan. Auch der berühmt berüchtigte Radiomoderator Rush Limbaugh hat es getan. Der Kommentator des umstrittenen Nachrichtenkanals Fox News, Bob Beckel, hat es ebenfalls getan. Dazu kommen Offiziere der US-Armee, Journalisten, Politiker und Blogger. Sie alle haben zur Jagd auf Julian Assange aufgerufen. Eine anschließende Tötung nehmen die meisten billigend in Kauf, andere fordern sie explizit ein.

Screenshot www.peopleokwithmurderingassange.com/

Wikileaks hat mittlerweile reagiert. Auf der Seite www.peopleokwithmurderingassange.com werden Jagd- und Tötungsaufrufe dokumentiert. Ein Panoptikum des Grauens.

 

Ein Blog als Work in Progress

Das Thema Wikileaks hat Hochkonjunktur. Neue Portale wie OpenLeaks.org oder CrowdLeaks.net sind geplant oder laufen bereits. Und es wird weitere Versuche geben, Wikileaks zu bekämpfen. Gründer Julian Assange wird weiter polarisieren. Debatten über digitale Bürgerkriege werden wieder aufflammen, wenn neue Geheimdokumente auftauchen. Ob es dabei um Regierungen, Militärs, Großbanken oder Medienkonzerne geht, ist zweitrangig.

Währenddessen fließt der Strom der Geschichten, die Communitys oder Redaktionen in den Kriegsprotokollen oder Botschaftsdepeschen finden, beständig weiter. Mal als dünnes Rinnsal mit eher abseitigen Geschichten von regionaler, im besten Fall nationaler Bedeutung, mal als reißender Strom mit spektakulären Enthüllungen von weltpolitischer Relevanz.

Das Thema Whistleblowing im digitalen Zeitalter hat viele Dimensionen. Welche interessiert Sie? Kommentieren Sie. Regen Sie an. Empfehlen Sie. Fordern Sie. Das Leaks-Blog ist ein Work in Progress.

 

Drohgebärden und mediale Stellungskriege

Ein Republikaner namens Peter T. King, ganz nebenbei Vorsitzender des United States House Homeland Security Committee, verlangt, amerikanischen Firmen grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Wikileaks zu verbieten. Der McCarthyism lässt grüßen.

U.S. Rep. Peter T. King … asked Treasury Secretary Timothy Geithner Wednesday to prohibit people and companies within the U.S. from doing business with the Wikileaks website….

Julian Assange hat umgehend zurückgefeuert und mit einer Presseerklärung geantwortet. Er wirft King unter anderem vor, eine Art wirtschaftliche Zensur verhängen zu wollen und spricht ihm erwartungsgemäß jede rechtliche Grundlage ab.

’The Homeland Security Committee chair Peter T. King wants to put a Cuban style trade embargo around the truth—forced on US citizens at the point of a gun,’ said Julian Assange.

Unterdessen hat Assange in einem Interview mit dem amerikanischen Onlinemagazin NewStatesman gedroht, neue Dokumente zu veröffentichen. Um die Bank of America scheint es aber noch nicht zu gehen. Das große Zittern aber hat dort schon eingesetzt. Nach Auskunft Assanges betreffen die Dokumente Rupert Murdoch und dessen Medienkonzern News Corp. Murdochs Nachrichtensender Fox News war zuletzt nach dem Attentat auf die US-Parlamentarierin Gabrielle Giffords unter Druck geraten. Der Vorwurf: Fox News  habe das gesellschaftliche Klima aufgeheizt (Empfehlung: Die wütende Stimme Amerikas). Assange und die Wikileaks-Macher betrachten diese Dokumente jedoch ganz offenbar eher als eine Art Lebensversicherung und wollen sie vorläufig nur publizieren, falls der Druck auf sie weiter wächst. Es ging erstmal nur um einen Blick ins Waffenarsenal.

 

Batman und Robin

Und hier noch schnell etwas Fast Food mit hohem Vollkornanteil. Slavoy Žižek in der London Review of Books über Anstand in Zeiten von Wikileaks, das Unheimliche der Macht, Scham in Zeiten der Demokratie und über uns. Über uns als Wähler, Leser und Staatsbürger. Vorab schon mal das Ende. Aber alles, wirklich alles ist lesenswert.

…When the US intervenes in Iraq to bring secular democracy, and the result is the strengthening of religious fundamentalism and a much stronger Iran, this is not the tragic mistake of a sincere agent, but the case of a cynical trickster being beaten at his own game.

Ganz nebenbei noch ein wichtiger Hinweis. Laut Žižek geht aus den US-Depeschen eines ganz klar hervor. Das Verhältnis Putin – Medwedjew ist ja bereits durch diverse Botschaftsdepeschen mit der Beziehung von Batman und Robin verglichen worden. So weit, so vorhersehbar. Das Interessante aber ist die Vergabe der Rolle des Joker.