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Ebola-Prognosen – wem kann man noch glauben?

 

Schon gewöhnt an die täglichen Ebola-Meldungen aus Westafrika? Kapiert, dass die Ansteckungsgefahr für uns hier in Europa weiterhin verschwindend gering, längst nicht ganz Afrika verseucht und Panik vielerorts das größere Problem ist? Sehr gut. Können wir uns also beruhigt zurücklehnen? Leider nein. Die betroffenen Länder kämpfen weiterhin verzweifelt gegen die Seuche. Die Zahl der Toten in Westafrika hat erstmals die 5.000er-Marke überschritten. In einem neuen Zustandsbericht fasst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen: 14.098 Ebola-Patienten wurden seit Ausbruch der Seuche im Dezember 2013 registriert, davon 6.822 in Liberia (2.836 starben), 5.368 in Sierra Leone (1.169 Tote) und 1.878 in Guinea (1.142) sowie Einzelfälle aus Nigeria, Mali und dem Senegal. Hinzukommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer unentdeckter Fälle.

Ebola greift in Westafrika weiter und rasanter um sich. Wissenschaftler veröffentlichen immer neue Berechnungen, um abzuschätzen, wie es weitergeht. Wie viele Menschen werden wie schnell erkranken? Wie viele werden sterben? Welche Länder werden noch betroffen sein? Wie lange wird die Epidemie andauern? In diesen Fragen widersprechen sich selbst die kompetentesten Experten.

Ihre Prognosen fallen sehr unterschiedlich aus. Betrachtet man die sich aus diesen Prognosen ergebenden Schätzwerte für die Zahl der Ende Januar zu erwartenden Infizierten, so variieren diese über zwei Zehnerpotenzen von 20.000 bis 1,4 Millionen. Wem kann man hier glauben? Immerhin stammen all diese Vorhersagen von seriösen Organisationen (Weltgesundheitsorganisation, US-Seuchenbekämpfungsbehörde CDC, Council on Foreign Relations, EU-Hilfsorganisation ECHO) und Wissenschaftlern, etwa dem Forschungsteam von HealthMap oder der Arbeitsgruppe von Meltzer et al..

Mit Schwarmintelligenz im Chaos aufräumen

Was also tun im Daten-Chaos? Wie sind diese so krass verschiedenen Zahlen zu deuten? Wer sich mit dieser Ratlosigkeit nicht abfinden will, kann seine eigene Prognose erstellen. Und zwar ohne viel Aufwand. Allein mit einer Überlegung der Schwarmintelligenz.

Was das ist? Als Geburtsjahr der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Schwarmintelligenz kann das Jahr 1906 gelten. Der britische Statistiker Francis Galton hatte ein Volksfest besucht. Eine der Attraktionen war ein Ochse, dessen Gewicht geschätzt werden sollte. Dem besten Schätzer winkte ein Geldpreis. Galton war zuvor der Meinung gewesen, dass der Fortschritt der Menschheit von nur wenigen besonders fähigen Menschen abhänge. Und Menschenmassen standen für ihn in keinem guten Ruf.

Umso erstaunter war er über das Ergebnis des Schätzwettbewerbs: Als der Ochse gewogen wurde, stellte sich heraus, dass der Mittelwert aller abgegebenen Einzelschätzwerte das Gewicht des Ochsen ziemlich genau traf. Der Mittelwert kam dem tatsächlichen Gewicht sogar näher als jeder der abgegebenen Expertentipps, die Metzger abgegeben hatten.

Das ist ein kurioses Gesetz der großen Zahlen. Das Beispiel zeigt: Es gibt Probleme, die von Gruppen intelligenter gelöst werden können als von Einzelnen – dank der Schwarmintelligenz.

Auch für Prognosen ist dies nutzbar, wie ein Beispiel verdeutlicht: Im Jahr 1968 havarierte das U-Boot USS Scorpion. Die Suche blieb lange erfolglos und schien schließlich hoffnungslos. Zu groß war das Gebiet, das als Unglücksort infrage kam. Einer der mit der Suche betrauten Offiziere hatte schließlich die zielführende Idee. Er versorgte mehrere Experten mit allen Daten über die letzten Funksignale des U-Boots und bat sie unabhängig voneinander um eine Schätzung der Position des verschollenen Bootes. Aus diesen Schätzungen bildete er das arithmetische Mittel. Und tatsächlich: Die USS Scorpion lag nur 200 Meter entfernt von den Koordinaten, die sich daraus ergaben.

Dieses Prinzip wenden wir nun auf die Prognosen der Zahl der Ebola-Infizierten an. Da es sich um vergleichsweise wenige Prognosen handelt und da diese über Zehnerpotenzen unsymmetrisch streuen ist der Median noch besser geeignet als der Durchschnitt. Der Median ergibt 330.000 zu erwartende Ebola-Infizierte gegen Ende Januar 2015. Das ist eine Prognose, die mir wesentlich plausibler erscheint als einerseits 1,4 Millionen und andererseits 20.000.

Ob wir mit diesen Überlegungen aus der Mathematik richtiger liegen als die einzelnen Prognosen der Seuchenforscher, wird sich zeigen. Hoffentlich haben wir unrecht und Ebola ist schneller im Griff, als alle glauben. Ein wenig Hoffnung gibt es: An einem Impfstoff, der in Westafrika zum Einsatz kommen soll, wird mittlerweile gearbeitet. Und eine neue Studie hat gezeigt, dass trotz fehlender Medikamente gegen das Virus selbst Ebola-Infizierte auch in Afrika messbar höhere Überlebenschancen haben, wenn sie in einer Klinik behandelt werden, wo der Flüssigkeitsverlust durch den schweren Durchfall ausgeglichen und der Organismus durch unterstützende Medikamente gestärkt werden kann. Hier setzt auch die Hilfe aus dem Ausland an, die spät, aber doch in Gang kommt.

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