Die ZEIT fragt auf ihrer aktuellen Titelseite: „Ist Scheidung erblich?“ Im dazugehörigen Artikel wird eine Studie erwähnt, laut der alleinerziehende Mütter doppelt so häufig aus Scheidungsfamilien kommen wie Mütter, die verheiratet sind oder in einer Partnerschaft leben. Die Scheidung einer Ehe führt also bei den Kindern zu einer beachtlichen Steigerung des Risikos, bei ihrer späteren Beziehung auch dieses Schicksal zu erleiden.
Beziehungen gehören mit zum Wichtigsten, was wir haben. Glückliche Beziehungen. Aber was ist eine glückliche Beziehung, und woran erkennt man sie? Und kann man Scheidungen vorhersagen? Ja, schon bei der Eheschließung!
Der Mathematiker James Murray und der Beziehungsforscher John Gottman haben Anfang der neunziger Jahre begonnen, Ehen zu untersuchen. Sie begannen mit 700 Frischvermählten, die sie einem Beziehungsstresstest unterzogen: Ein 15-minütiges Gespräch über Themen, die zwischen den Ehepartnern möglicherweise heikel waren, wie Schwiegereltern, Geld, Sex, Kinderwunsch.
Die Gespräche wurden aufgezeichnet. In der späteren Analyse wurde jeder Satz auf einer Skala von minus 5 bis plus 5 bepunktet. Und zwar dahingehend, ob er Negatives ausdrückte, wie Verachtung (-5 Punkte), oder Positives, wie liebevolle Zuneigung (+5 Punkte), oder etwas zwischen diesen Extremen.
Zusätzlich wurden physiologische Daten wie der Blutdruck, die Pulsfrequenz oder Schweißproduktion aufgezeichnet sowie die Körpersprache bewertet, speziell Mimik und Gestik. So ergab sich ein sehr reichhaltiger Datensatz.
Die Daten wurden von den Wissenschaftlern in zwei Differentialgleichungen verdichtet. Diese Gleichungen der Ehestabilität ähneln interessanterweise den Gleichungen der mathematischen Katastrophentheorie, mit denen Mathematiker sprunghaft auftretende Systemänderungen wie epileptische Anfälle, Börsencrashs und Erdbeben untersuchen.
Aus der Kombination von Gleichungen und Daten konnten Prognosen über die Stabilität einer Ehe erstellt werden. Und diese Prognosen ließen sich wiederum an der Realität überprüfen, denn die Forscher blieben im Kontakt mit den Paaren, meldeten sich etwa einmal im Jahr.
Die Ergebnisse sind hochinteressant. 91 Prozent der Ehen, denen die Wissenschaftler in ihrer Prognose keine Chance gegeben hatten, wurden tatsächlich geschieden. Der Indikator für Ehe-Glück oder -Unglück war sogar durch ein einfaches Verhältnis darstellbar, 5:1.
Etwas skizzenhaft ausgedrückt: Murray und Gottman haben die positiven und negativen kommunikativen Elemente in Beziehung gesetzt. Eine Ehe, in der die Partner nach einem negativen Gesprächsbaustein im Schnitt weniger als fünfmal mit positiven Gesprächselementen aufeinander reagierten, hatte langfristig kaum Hoffnung auf Erfolg. Wenn der Quotient eines Paares wesentlich kleiner war, trennte es sich im Schnitt nach etwa 5 Jahren. Und, wie gesagt, die Forscher hatten in 91 von 100 Fällen Recht.
Die mathematische Theorie des Eheglücks ist dabei nicht rein beschreibend. Mit ihr lassen sich Probleme identifizieren und, falls es den Partnern gelingt, gegenzusteuern, Beziehungen retten. Murray und Gottman haben vier Mega-Killer für Beziehungen aus ihren Beobachtungsdaten herausgearbeitet: Schuldzuweisungen, geringschätzige Bemerkungen, sich selbst als Opfer darstellen, emotionales Abschotten gegenüber dem anderen.
Garanten für eine stabile Partnerschaft seien dagegen: gegenseitiger Respekt, wechselseitiges Vertrauen, miteinander Lachen, Aufgeschlossenheit. Die Liebe ist dagegen kein gutes Kriterium, um Ehestabilität zu gewährleisten. Und noch etwas: Auch in glücklichen Ehen werde durchaus gestritten. In glücklichen Ehen spiegele jeder ein Stück weit die Emotionen des anderen wider, selbst heftiges beidseitiges Streiten ist also punktuell nicht problematisch. Lacht der eine aber typischerweise, wenn der andere auf 180 ist, gilt das als sicheres Krisensignal.
Mein abschließender Tipp im Falle eines Streits: Versuchen Sie das obige 5:1 Verhältnis zu beherzigen.