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Mit Mathe gegen den Zeitzonenkater

 

Wir müssen unser Leben nach zwei Uhren richten: Zum einen die innere Uhr, nach der unsere Körperprozesse ablaufen. Sie steht auf der von uns gefühlten Zeit und bestimmt zum Beispiel unser Schlaf-Wach-Verhalten. Die andere ergibt sich durch die Drehung der Erde um die Sonne und äußert sich in unterschiedlichen Ortszeiten und Zeitzonen rund um den Planeten. Passen beide nicht zusammen, herrscht Chaos im Körper. Mathe aber kann ihn wieder ins Lot bringen. Sind beide Uhren nicht synchronisiert, sprechen wir von einem „Jetlag“. Der Zustand tritt häufig ein bei Schichtarbeitern, Menschen mit Schlaf-Rhythmus-Störungen und – am bekanntesten – nach einer Reise über Zeitzonen hinweg. Eine Faustregel besagt, dass es im Schnitt einen Tag für jede Stunde Unterschied zwischen beiden Uhrzeiten dauert, bis der Zeitzonenkater überwunden ist.

Ein Team um den Mathematiker Daniel Forger von der Universität Michigan hat jetzt eine kostenlose Smartphone-App entwickelt, mit der Zeitgeplagte ihren Jetlag schneller wieder loswerden (Serkh & Forger, 2014). Die Faktoren Licht und Dunkelheit und der Rhythmus, mit dem sie aufeinanderfolgen, sind hierfür entscheidend. Denn sind die Phasen optimal aufeinander abgestimmt, kann die innere Uhr gezielt verstellt werden, nach vorne oder nach hinten.

Es ist entscheidend, wann der Körper relativ zum Zeitpunkt seiner geringsten Körperkern-Temperatur (ungefähr zwischen 3 Uhr und 5 Uhr nachts auf der inneren Uhr) Licht ausgesetzt ist: Wirkt helles Licht sechs Stunden vorher ein, bewirkt es eine Zurückstellung der inneren Uhr. Wirkt helles Licht in den sechs Stunden danach ein, wird die innere Uhr nach vorne gestellt.

Die App benötigt für eine Reise die aktuelle Ortszeit am Ausgangsort und am Zielort und gibt dann für mehr als 1.000 Reiserouten Informationen von folgendem Typ: Hat sich der Reisende beispielsweise über 12 Zeitzonen nach Osten bewegt und möchte um 7 Uhr seinen Tag dort beginnen, dann teilt die App mit, wann man sich am ersten Tag Licht aussetzen und wann im Dunkeln aufhalten sollte. Für die folgenden Tage ändert sich das Muster schrittweise. Im Falle eines Flugs über 12 Zeitzonen sollten dann nur etwa vier bis fünf Tage vergehen bis der Unterschied zur Ortszeit verschwindet, nicht zwölf wie nach der Faustregel üblich.

Van-der-Pol-Oszillator als Modell für die innere Uhr

Forger und sein Team haben es sich mit der Mathematik des Jetlags nicht leicht gemacht. Sie arbeiten mit dem Van-der-Pol-Oszillator, einem schwingungsfähigen System, das die periodische Taktung der inneren Uhr gut mathematisch nachbilden kann, und mit experimentellen Daten über die Beeinflussung des Biorhythmus durch Licht- und Dunkelphasen.

Zur groben Orientierung seien einige Richtwerte angegeben:

Da für einen Flug nach Osten die innere Uhr nach vorne gestellt werden muss, sollte für eine Reise in diese Richtung über bis zu 9 Zeitzonen hinweg der Körper im Intervall von ungefähr 4 Uhr bis 10 Uhr gefühlter innerer Zeit Licht ausgesetzt werden und vorher von 22 Uhr bis 4 Uhr Licht vermieden werden. Geht die Reise über mehr als 9 Zeitzonen, sollte man sich im Intervall von 22 Uhr bis 4 Uhr gefühlter innerer Zeit dagegen Licht aussetzen und von 4 Uhr bis 10 Uhr Licht vermeiden. Die letztere Empfehlung gilt auch für Reisen nach Westen.

Am schwersten dürfte es dabei sein, sich länger im Dunkeln aufzuhalten, wenn man eigentlich hellwach ist. Und insofern läuft die Nutzung dieser Empfehlung sowie auch der App darauf hinaus, ob man für einen oder zwei Tage nach der Reise einen etwas unnatürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus pflegen will oder sich doch dem klassischen Jetlag hingibt.

Viele Menschen haben ihr eigenes Rezept gegen den Zeitzonenkater. Ich bemühe mich am Ankunftsort so gut und schnell es geht, in den dortigen Tagesablauf zu kommen, notfalls mit Kaffee zum Wachbleiben, aber ohne Zufuhr von Medikamenten. Wie machen Sie es?