In letzter Zeit war viel vom fairen Verhandeln die Rede: Die griechische Regierung und die europäischen Geldgeber ringen seit Wochen um eine Einigung im Schuldenstreit. Dabei versuchen sich beide Seiten anzunähern und dennoch das Bestmögliche für sich herauszuholen. Aber wie findet man einen fairen Kompromiss, wenn beide Seiten unterschiedliche Prioritäten haben? Die Antwort ist – zumindest im mathematischen Modell – einfach.
Angenommen, zwischen zwei Verhandlungspartnern gibt es mehrere strittige Punkte. Jede Seite kann bei jedem Punkt nachgeben oder auch nicht. Beide Seiten haben ihre eigene Rangliste: Vorne auf der Liste steht jeweils der strittige Punkt, bei dem es dem jeweiligen Verhandlungspartner am wichtigsten ist, sich durchzusetzen. Ganz hinten ist der Punkt gelistet, bei dem man am ehesten bereit ist nachzugeben. Das Verhandlungsproblem ist dann ein Aufteilungsproblem: Welche Punkte „bekomme“ ich, das heißt, wo gibt der Gegenspieler nach. Und welche Punkte „bekommt“ der Gegenspieler, wo gebe ich also nach.
Betrachten wir das einmal spielerisch für zwei Akteure, Anne (A) und Bert (B), die sich darüber einig werden sollen, wer welches von acht geschmacklich unterschiedlichen Bonbons bekommt.
Anne und Bert erstellen zuerst jeder für sich eine Rangliste der acht Bonbons, mit dem Lieblingsbonbon ganz vorne. Wir können Annes Bonbonliste mit 12345678 durchnummerieren. Und mit dieser Nummerierung der Bonbons sei Berts Liste 17263485. Beiden ist also dasselbe Bonbon am wichtigsten.
Beide Ranglisten seien beiden Kontrahenten bekannt. Beide wollen das, was am Ende für sie rausspringt, optimieren. Das führt zu Überlegungen wie beim Schachspiel. Jeder muss nicht nur die eigene Rangliste der Bonbons, sondern auch die des Gegenübers bedenken: Welches Bonbon nimmt der Gegner, wenn ich dieses Bonbon nehme, nachdem er jenes Bonbon genommen hat, nachdem ich zuvor … ?
Solche Überlegungen können schnell sehr kompliziert werden. Daher ein Tipp: Die optimale Strategie lässt sich leichter finden, wenn man beide Ranglisten von hinten nach vorne abarbeitet.
Doch bevor wir uns diese sogenannte Bottom-up-Strategie näher anschauen, gehen wir noch einen Schritt zurück: Wie fair das Ergebnis am Ende sein wird, hängt nämlich auch davon ab, wer in welcher Reihenfolge auswählen darf: Beim einfachen Abwechseln, also zum Beispiel AB AB AB AB, ist der zweite gegenüber dem zuerst Wählenden bei jedem Auswahlpaar im Nachteil. Das wird ganz deutlich, wenn durch Abwechseln unterschiedlich große Kuchenstücke aufgeteilt werden. In jeder Runde kann der, der zuerst wählt, ein größeres Stück einheimsen, als der andere. Und beim ständigem Abwechseln ist das unfairerweise immer ein und dieselbe Person. Wir hatten dies in einem früheren Blog-Beitrag bereits diskutiert.
Beim sogenannten balancierten Abwechseln geht es gerechter zu. Wir wählen für unser Bonbon-Beispiel daher die Reihenfolge AB BA BA AB. Per Los wurde entschieden, wer zuerst ein Bonbon aussuchen darf. In diesem Fall ist Anne zuerst am Zug. Dann wählt Bert zweimal, Anne einmal, Bert einmal, Anne zweimal und Bert einmal.
Jetzt kommt ein wichtiger Gedanke: Bert wird immer jenes Bonbon erhalten, das auf Annes Rangliste Platz 8 einnimmt. Denn bei optimalem Verhalten wird Anne es nie selbst wählen. Und Bert bei optimalem Verhalten auch nicht, denn es wird ihm als letztes Bonbon ohnehin zufallen. Ebenso wird Anne am Ende das Bonbon bekommen, das auf Berts Liste ganz hinten steht. Sie sollte es optimalerweise also erst bei ihrem letzten Zugriff nehmen, ganz egal, wo sie es auf ihrer eigenen Liste platziert hat.
Wie Anne und Bert jeweils in ihrem letzten Schritt entscheiden sollten steht damit fest; die beiden entsprechenden Süßigkeiten können also von beiden Ranglisten gestrichen werden. Es bleiben sechs Bonbons, die es aufzuteilen gilt. Das Problem ist nun wieder das gleiche, nur eben mit zwei Bonbons weniger. Also wenden wir die gleiche Denkweise an wie oben. Jetzt allerdings mit Anne als Erstwählerin, denn in unserer Analyse gehen wir in der Abfolge AB BA BA AB von hinten nach vorne.
Durch schrittweises Streichen von Bonbons arbeiten sich Anne und Bert bis zu ihrer ersten Wahlmöglichkeit vor. Dann sind alle Bonbons verteilt. Spielen wir auf diese Weise unser Beispiel durch:
Bert wird als letztes Bonbon 8 erhalten, das Bonbon ganz hinten auf Annes Liste 12345678. Streichen wir dieses Bonbon und betrachten Berts Liste ohne die 8, also 1726345. Das hinterste Bonbon darauf ist 5. Nach der obigen Logik bekommt Anne dieses Bonbon als nächstes. Und sie darf ja zweimal zugreifen, also bekommt sie noch die 4. Berts vorletzte Wahl bezieht sich nun auf Annes verkürzte Liste: 12367. Er nimmt Bonbon 7. Streichen wir auch dieses von Berts Liste, erhalten wir 1263. Anne erhält somit Bonbon 3. Und so geht es schrittweise zurück bis zu Berts erstem Zugriff (er nimmt Bonbon 2) und Annes erstem Zugriff (Bonbon 1). Dieser Auswahlvorgang erzeugt das, was Mathematiker ein Nash-Gleichgewicht nennen: Weder Anne noch Bert können davon abweichen, ohne sich zu verschlechtern.
Im Endergebnis hat Anne ihre 1., 3., 4., 5. Priorität erhalten und Bert bekommt die Bonbons mit den Nummern 2, 6, 7, 8. Diese sind seine 2., 3., 4. und 7. Priorität. Fairer geht es bei ihren Präferenzlisten nicht. Anne hat einen winzigen Vorteil, aber sie hat ja auch den Losentscheid gewonnen.
Ganz so einfach lässt sich der Kompromiss zwischen der griechischen Regierung und der EU freilich nicht finden. Aber entsprechend angepasst ist das ein mathematischer Ansatz, der die Verhandlungen zumindest auf eine faire Grundlage stellen könnte.