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Goethe im Duell mit Newton

 

Goethe ist Kult. Als ein Meinungsforschungsinstitut vor gut zwei Jahren nach dem bedeutendsten Deutschen aller Zeiten fragte, landete der große Dichter aus Weimar unangefochten auf Platz 1. Dabei gibt es durchaus etwas, das man ihm nachtragen kann: sein fehlendes Verständnis für die Mathematik.

Was viele nicht wissen, ist, dass Johann Wolfgang von Goethe über viele Jahre mehr Zeit und Leidenschaft in naturwissenschaftliche Studien investiert hat als in seine Dichtkunst. Der monumentale Beweis für sein Engagement in den Naturwissenschaften ist das 1.000-seitige Werk Zur Farbenlehre, an dem er mehr als zwei Jahrzehnte schrieb. Um davon gebührend Notiz zu nehmen, sei erwähnt, dass Goethe, nach eigener Aussage, auf die darin festgehaltenen Ergebnisse seines Denkens stolzer war, als auf alles, was er als Dichter geleistet hat. Das ist eine erstaunliche Aussage.

Ins Staunen gerät auch, wer dieses Werk mit der Mathematik-Brille liest. Goethe präsentiert darin einen – um es gleich vorweg zu sagen – ziemlich missratenen Gegenentwurf zu Newtons gut 100 Jahre zuvor veröffentlichter Farbentheorie. Während Newton mathematisch bewies, dass weißes Licht in berechenbarer Weise in die Farben des Regenbogens zerlegbar ist, hielt Goethe diese Sicht für absurd, denn „klares, reines, ewig ungetrübtes Licht kann nicht aus dunklen Lichtern zusammengesetzt sein“.

Laut Goethe war Newtons Theorie „barer Unsinn“

Er geht sogar noch einen Schritt weiter. Der „Polemik“-Teil des Buches ist prall gefüllt mit Invektiven gegen Newton und die Mathematik. Newtons Theorie nennt er darin „baren Unsinn“, etwas ähnlich Närrisches und Lächerliches von Erklärungsart sei kaum in der Geschichte der Wissenschaften zu finden.

Dabei liegt der Fehler bei ihm. Goethes Farbenlehre wurde schon von den Mathematikern und Physikern seiner Zeit einhellig verworfen. Goethe war wohl mehr Sprachmensch als ein zu mathematisch-analytischem Denken befähigter Kopf. Er hat sich selbst als „zahlenscheu“ bezeichnet und Newtons in der Mathematik grundierte Argumentation einfach nicht nachvollziehen können.

Was den Dichter nicht davon abhielt, sich mehrheitlich negativ über Mathematiker zu äußern. Der folgende Passus ist kein Einzelfall: „Daß aber ein Mathematiker, aus dem Hexengewirre seiner Formeln heraus, zur Anschauung der Natur käme und Sinn und Verstand unabhängig wie ein gesunder Mensch brauchte, werde ich wohl nicht erleben.“

Daten statt Dativ

Dies wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht Goethe in unserer Gesellschaft bis zum heutigen Tag ein solch enormes Ansehen genießen würde. Er ist deshalb mitverantwortlich für die bei uns in Deutschland immer noch grassierende geringe Wertschätzung der Mathematik als Erkenntnismethode. Nirgendwo sonst trifft man als Mathematiker immer wieder auf Menschen, die mit ihrer Mathematikunkenntnis auch noch kokettieren. In Frankreich, in Skandinavien, auch in Asien ist das undenkbar.

Ein echtes Problem. Wir stehen heute an der Schwelle zu einer Ära, in der allein mit sprachlicher Kompetenz schon der ganz normale Alltag nicht mehr gut gemeistert werden kann. Inzwischen gibt es auf unserem Planeten mehr Zahlen als Wörter. Deshalb brauchen wir dringend ein höheres Niveau an quantitativer Bildung in unserer Gesellschaft. Wir brauchen größere und weiter verbreitete Fähigkeiten, mit Zahlen, Daten, Statistiken umzugehen, Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen, Chancen und Risiken zu bewerten, mit wenig Information gute Entscheidungen zu treffen.

Somit brauchen wir in unseren Schulen mehr Gauß und weniger Goethe. Wir brauchen, etwas überspitzt und polemisch auf den Punkt gebracht: mehr Daten-Kompetenz und weniger Dativ-Kompetenz.