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Fußballer sind schwarmintelligent

 

Ein Elfmeter ist für Fußballfans vor allem der reinste Nervenkitzel, mathematisch betrachtet ist es ein Zwei-Personen-Nullsummenspiel, also ein Spiel, bei dem die Summe der Gewinne und Verluste beider Spieler zusammengenommen gleich null ist. Ein Erfolg für den Schützen bedeutet zwangsläufig eine Niederlage für den Torwart und umgekehrt. Mathematisch gesprochen: +1-1 = 0.

Wer als Sieger hervorgeht, hängt entscheidend davon ab, auf welche Seite des Tors der Schütze zielt, und davon, ob der Torwart die Seite gerochen hat. Würde ein Spieler erfahrungsgemäß immer nur in die gleiche Hälfte des Tors schießen, so hätte der Torwart sehr gute Chancen, den Ball zu bekommen. Was also ist für Schütze und Torwart die optimale Taktik?

Mit solchen Fragen befasst sich das mathematische Feld der Spieltheorie, mit der sich der Mathematiker John Nash, bekannt aus dem Film A Beautiful Mind, intensiv beschäftigt hat. Vergangene Woche starb Nash bei einem Autounfall, vier Tage nachdem er mit dem Abelpreis eine der wichtigsten Auszeichnungen der Mathematik erhalten hatte.

Seine berühmteste wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit dem heute so bezeichneten Nash-Gleichgewicht, dessen Existenz John Nash 1950 in seiner Doktorarbeit bewies. Und mit eben diesem Nash-Gleichgewicht lässt sich auch die optimale Taktik beim Elfmeter beschreiben:

Der Schütze schießt entweder nach rechts, links oder in die Mitte. Der Torhüter springt entweder nach rechts, links oder bleibt in der Mitte. Bei beiden kommt die Mitte im realen Fußball selten vor. Deshalb vereinfachen wir das Modell wie folgt: Ein Schütze schießt entweder mit rechts oder links. Schießt er mit rechts, ist es für ihn leichter auf die vom Torwart aus gesehen rechte Seite oder in die Mitte zu schießen als auf die linke Seite. Wir fassen rechte Seite plus Mitte zur „leichten“ Seite (L) des Schützen zusammen. Die verbleibende linke Seite ist für den Schützen die schwere Seite (S).

Bei Schützen, die vorzugsweise mit dem linken Fuß schießen, drehen sich leichte und schwere Seite entsprechend um. Die Wahrscheinlichkeit w, dass der Schütze ein Tor macht, hängt nun erstens davon an, ob er auf die für ihn leichte oder schwere Seite schießt und noch mehr davon, ob der Torhüter sich in die vom Schützen gewählte Richtung wirft.

In einer detaillierten Studie, die insgesamt 1.417 in verschiedenen europäischen Ligen geschossene Elfmeter beinhaltet, ergaben sich diese Erfolgswahrscheinlichkeiten der Schützen in Prozent: w(S, S) = 58,3 und w(L, L) = 69,9 und w(L,S) = 92,9 und w(S,L) = 95,0. Das liest sich so: Die Torwahrscheinlichkeit ist mit 58,3 Prozent dann am niedrigsten, wenn der Schütze in seine schwere Ecke schießt und der Torhüter in dieselbe Ecke (S) springt.

Was sind nun also die optimalen Strategien? Wohin soll der Schütze schießen? Wohin soll der Keeper springen?

Wir sagen, der Schütze wählt Strategie p, wenn er mit Wahrscheinlichkeit p auf seine leichte Seite schießt und mit Wahrscheinlichkeit 1 – p auf seine schwere Seite. Entsprechend sagen wir, dass der Keeper Strategie q wählt, wenn er mit Wahrscheinlichkeit q in die leichte Ecke springt und mit Wahrscheinlichkeit 1 – q in die schwere Ecke.

Der Schütze versucht natürlich die erwartete Torwahrscheinlichkeit zu maximieren, während der Torhüter gleichzeitig versucht, diese zu minimieren. John Nash hat nun bewiesen, dass bei diesen und vielen anderen Spielen ein Nash-Gleichgewicht existiert, also ein Strategiepaar p und q für Schütze und Torhüter, bei dem es keinem der Beteiligten einen Vorteil bringt, von seiner Strategie abzuweichen, solange der andere an seiner Strategie festhält.

Das Nash-Gleichgewicht beschreibt also das Optimale, was für beide erreichbar ist. Für die genannten Torwahrscheinlichkeiten gibt es ein Nash-Gleichgewicht bei den Strategien p = 61,5 Prozent und q = 58,0 Prozent. Das heißt, im Schnitt sollte der Schütze in 61,5 Prozent der Fälle auf die leichte Seite schießen und der Keeper sich in 58,0 Prozent der Fälle in die leichte Ecke werfen.

Geradewegs faszinierend ist es nun, dass sich bei der Auszählung der 1.417 Elfmeter in der angesprochenen Studie ergab, dass die tatsächlichen Prozentanteile bei p = 60,0 und bei q = 57,7 lagen. Elfmeterschützen und Torhüter als Gruppe betrachtet treffen also ihre jeweiligen theoretischen Optimalstrategien sehr genau. Was uns beweist: Fußballer sind schwarmintelligent.