Ende April wurden im Vatikan zwei frühere Päpste heiliggesprochen. Eine der Voraussetzungen für eine Heiligsprechung ist es, mindestens zwei Wunder vollbracht zu haben. Die Theologen des Vatikans erkennen als Wunder medizinisch nicht erklärbare Heilungen von Schwerkranken an.
Beim Stichwort „Wunderheilung“ denken viele an Lourdes. An diesem französischen Pilgerort fanden bis heute 69 kirchlich anerkannte und angeblich medizinisch überprüfte Wunder statt, davon vier spontane Heilungen von schweren Krebserkrankungen. Aber was lässt sich aus statistischer Perspektive dazu sagen?
In der Medizin gibt es das inzwischen seriös erforschte Phänomen der Spontanremission im Falle schwerer Krebserkrankungen. Hierbei bilden sich Metastasen und Tumore plötzlich selbständig zurück, was in etwa bei einem von 100.000 bis 1.000.000 Fällen auftritt. Das ist extrem selten.
Doch muss bedacht werden, dass jedes Jahr rund fünf Millionen Pilger Lourdes besuchen. Rechnen wir konservativ, dass sich darunter fünf Prozent Krebskranke befinden, dann müsste wiederum konservativ gerechnet, im Schnitt alle vier Jahre eine solche Spontanheilung bei Krebs aufgrund eines Besuches in Lourdes zu verzeichnen sein.
Doch in der 150-jährigen Geschichte des Wallfahrtsortes gab es davon nur vier, die offenbar einer medizinischen Prüfung standhielten.
Diese und ähnliche vergleichende Untersuchungen veranlassten den US-amerikanischen Astronomen, Skeptiker und Wissenschaftspublizisten Carl Sagan Mitte der neunziger Jahre in seinem Buch Der Drache in meiner Garage zu der Schlussfolgerung, die Heilungschancen in Lourdes lägen signifikant unter der statistisch erwartbaren Rate von Spontanheilungen.
Wunder gibt es immer wieder
Definieren wir den Begriff des Wunders einmal ganz unesoterisch und pragmatisch so, wie es der Mathematiker John Littlewood tat: als ein (nicht nur medizinisches, sondern) beliebiges Ereignis, das eine Wahrscheinlichkeit des Eintretens von weniger als 1:1 Million hat.
Zum Beispiel: Sie machen eine weite Reise und treffen in der Ferne zufällig einen alten Bekannten wieder. Oder Sie träumen nachts von einem Unfall und der passiert am nächsten Tag wirklich. Oder Sie schauen alte Fotoalben an, erkennen darauf einen seit Jahrzehnten nicht gesehenen Kindheitsfreund, dann klingelt das Telefon und wer ist dran? Hach, bloß die Schwiegermutter!
Interessant wird’s aber, wenn wirklich der Freund am Hörer ist. Dann haben viele ein komisches Gefühl, denken an Gedankenübertragung oder höhere Mächte, die einem was sagen wollen. Dabei ist alles ganz normal. Warum?
Jeden Tag erleben wir zig verschiedene Sachen, denken an hundert Dinge: Im Schnitt passiert jede Sekunde etwas. Im Wachzustand, also etwa 15 Stunden am Tag, sind das 60 x 60 x 15 also rund 50.000 Erlebnisse. Auf den Monat hochgerechnet ergibt das mehr als eine Million Einzelerlebnisse. Das allermeiste davon ist uninteressant und wird vergessen. Aber immer mal wieder gibt es ein zufälliges Zusammentreffen, das stutzig macht.
In einer extrem großen Stichprobe können die aberwitzigsten Zufälligkeiten auftreten. Nehmen wir abermals ein Ereignis, das eine Wahrscheinlichkeit von 1:1 Millionen hat, ein Wunder also. Dann errechnet sich die Wahrscheinlichkeit, dass dieses sehr unwahrscheinliche Ereignis, sagen wir, bei einer Million Ausfällen nie eintritt als (1 – 1/1 Million) hoch 1 Million. Das ist 0,368, und gleicht damit recht genau dem Kehrwert der Eulerschen Zahl 2,718.
Das Gesetz der Wunder
Also ist es wahrscheinlicher, dass dieses extrem unwahrscheinliche Ereignis irgendwann in der langen Serie von Ausfällen eintritt. Das heißt: Ein Ereignis kann extrem unwahrscheinlich sein. Doch dass das extrem wahrscheinliche Gegenereignis immer eintritt, ist noch unwahrscheinlicher.
John Littlewood formulierte in seinem Buch A Mathematician`s Miscellany sein Gesetz der Wunder (Littlewood`s law of miracles): Bei mehr als einer Million Ereignisse in einem normalen Monat kann jeder Ottonormalbürger (m/w) im Schnitt mit einem Wunder pro Monat rechnen.
Haben Sie letzten Monat Ihr Wunder erlebt? Ich hoffe, es war kein blaues!