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Kalb vom Kopf bis zu den Füßen

 

Slow Food – hinter die Ziele dieser Organisation stelle ich mich voll und ganz. Im Raum Stuttgart soll ein Genussführer geplant werden. Eine prima Idee. Regionale Produkte sollen gefördert werden, die Regionale Küche sowieso. Doch der echte Superrostbraten will entdeckt sein. Zwölf Tester des Conviviums Stuttgart schwärmen aus. Von einem der Tester bekomme ich eine Zuschrift, dass er die Ergebnisse erschreckend fand. Überall argentinisches Billigfleisch, Fleischfetzen aus Uruguay, Chile und so weiter. Mich wundert das gar nicht, denn das regionale Essen soll bezahlbar sein, im Klartext billig, also weichen die Gaststätten auf Surrogate aus, Päckle-Soße inklusive.

Die Zeiten sind vorbei, Gottseidank, als sich in Bauernwirtschaften noch die Omas, Tanten und nicht verheiratbare Mauerblümchen ausbeuteten ließen bis zur Erschöpfung. Billige Regionalprodukte gibt es auch nicht mehr, die Bauern und die Gärtner sind nicht so blöd wie der Verbraucher es gerne möchte. Verdammt, wer einen Rostbraten aus heimischem Spitzenrind haben will, kann dies Glück nicht mit Schnäppchenmentalität erlangen, dies auch an die Adresse einiger Slow-Food-Mitglieder.

Die teuerste Küche ist nicht unbedingt die drei Sterne-Küche, obwohl sie mit Mosaiklegen u.s.w. viele Mitarbeiter benötigt.
Unsere ursprüngliche Küche hier auf der Wielandshöhe ist wahrscheinlich noch teurer. Hier nur ein Beispiel: Wir kaufen ein ganzes Kalb, nicht den üblichen 130 kg Brummer, der sich gut rechnet und meist männlich ist. Nein, 80 Kilo hat bei uns so ein weibliches Tier. Der Knochenanteil ist so hoch, dass man so etwas bei keinem Metzger kaufen kann, weil der Verbraucher den qualitativen Mehrwert nicht bezahlen will. Das behaupten jedenfalls die Metzger.

Das Kälbchen kommt also der Länge nach geteilt. Dann wird es drei Wochen abgehängt und verliert damit wiederum mindestens 10% Gewicht. Dafür haben wir extra einen Kühlraum gebaut. Dann wird es auseinandermontiert, Soßen und Fonds gemacht und in Weckgläsern eingedünstet.
Nach und nach wird die Karte bestückt: Rücken, Kotelette, gefüllte Schnitzelchen, Kalbsrouladen, Vitello Tonnato, Kalbskutteln (leider ist das Gekröse mittlerweile verboten), Leber, Nieren vom Grill, Ossobuco, gekochter Kalbstafelspitz, Kalbskopf mit Zunge und mit Kalbsfüßen geliert.

Braten und Kalbsconsommées werden gemacht und so weiter. Um so eine „Ursprüngliche Küche“ zu veranstalten, braucht es für durchschnittlich 70 bis 80 Gäste am Tag einen Mitarbeiterstamm von 25 Leuten, zehn bis zwölf in der Küche.
Guter Service gehört zum Wohlfühlen des Gastes genauso dazu, also sind dort auch zehn Leute am flitzen, der Rest putzt und die Chefin und der Chef sind noch gar nicht mitgezählt.

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Frauen in der Überzahl: ein Teil der Wielandshöhe-Mannschaft mit Küchenvorsteher Helmut Schulz

Am Herd stehen nicht irgendwelche schwarz oder sonstig modisch gekleideten Köchlein, die sich als Künstler sehen, sondern Malocher, die durch und durch ihr Metier verstehen. Solche Leute schaffen nicht für ihr eigenes Ego oder sonst einen zeitgeistlichen Wahn, sondern für Geld. Die Lohnkosten sind exorbitant. Genau das ist der Grund, warum es Regionalgerichte, in letzter Vollendung gekocht, so gut wie nicht mehr gibt.

Schlussendlich kommt hinzu, dass bei uns mindestens eine Arbeitskraft rund um die Uhr beschäftigt ist, nur um die Bioware beizuschaffen. Für gute Regionalprodukte gibt es keinen Allround-Gourmet-Lieferanten wie Rungis-Express. In meinem Adressverzeichnis befinden sich mindesten 300 verschiedene Adressen von Zulieferern. Mittlerweile verrate ich nicht mehr öffentlich, wo ich die Sachen herbekomme. Kaum äußere ich mich dazu, werden die Erzeuger von Kollegen gestürmt – und wir schauen in die Röhre und müssen wieder eine neue Quelle aufreißen.