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Los Wochos oder die Erde ist keine Scheibe

 

In wohl jedem Beruf gibt es Gesetzmäßigkeiten, die ganz einfach nicht diskutabel sind. Man erzählt einem Metzger nicht, dass eine 18 Jahre alte Kuh ohne Weiteres essbar ist. Der Rücken nach langem Abhängen gar als rosa gebratenes Steak. Schließlich stellt ja auch niemand in Frage, ob der Papst katholisch ist. Und selbst der hat sich irgendwann von der festen Vorstellung verabschiedet, dass die Erde eine Scheibe sei (hat er doch, oder?).

Einerseits. Doch andererseits bin ich stets auf der Suche nach neuen Produkten, nach dem besten Erzeugnis und ich liebe es, alte Zöpfe abzuschneiden und mit Schwung über Bord zu werfen.

Deshalb pflege ich auch Verbindung und Freundschaft zu einigen Leuten, die unermüdlich auf der Suche nach überraschenden und spannenden Lebensmitteln und Zubereitungen sind. Nur durch unruhige Geister und außergewöhnliches Tun kann Veränderung, Verbesserung und somit auch Fortschritt erzielt werden.

So kam also vor wenigen Tagen die Nachricht, dass es in Spanien einen Betrieb gibt, der das Fleisch von Kühen selektioniert, die zwischen 8 und 18 Jahren alt sind. Diese Kühe stammen aus den Hochlagen Galiziens und Portugals, sie haben ihr Leben lang gekalbt und abertausende Liter Milch gegeben. Es werden maximal 20 Kühe pro Woche geschlachtet, die „superextra“ Qualität ergeben. Selektioniert wird nach Alter und nach Fettgehalt, die Rasse wird nicht spezifiziert. Die Familie von Imanol betreibt dieses Geschäft seit vielen Generationen, seit hundert Jahren wird professionell ausschließlich an Gastronomie verkauft, mit den allerbesten Referenzen (Arzac und Co).

Also habe ich mich überzeugen lassen, die Ware zu testen: Mit der Lieferung kamen Chorizos, Jahrgangs-Sardellen, eingelegte Paprika und ein Eis aus Gemüse und Zitrusfrüchten. Zur Sicherheit, weil ich dem Braten im wahrsten Sinne des Wortes nicht getraut habe und das Fleisch im Freundeskreis zuerst mal probieren wollte, ließ ich noch 5 kg Presa vom Iberico-Schwein mitliefern. Denn: Wer kann ernsthaft glauben, dass man das alte Fleisch einer ausgemergelten Kuh essen kann?
Vor meinem geistigen Auge sieht das so aus: Die Hüftknochen stehen dem armen Tier weit heraus, das Fell hängt wie eine Decke über die Knochen, die glashart sind und leicht splittern, die Muskeln sind zurückgebildet und überhaupt: Wie lang soll das eigentlich noch gehen, wenn das gute Tier schon mal 18 Jahre alt ist? Das Vieh hat doch jetzt eher das Gnadenbrot als den Schlachthof verdient. Dennoch, ich habe so ein Trumm bestellt, denn interessiert hat´s mich schon, was alle so toll daran finden.

So wurde also „el Txuletón“, das Kotelett aus der Hochrippe (lomo alto), 5 kg schwer und 5 cm dick, am Knochen im Leinensäckchen angeliefert. Mein Vater, der Metzgermeister, war vom Anblick des schwarz abgehangenen Stück Kuh gar nicht begeistert. Der Haustechniker, der ebenfalls in den Sack mit dem Fleisch gelinst hatte, war sich nicht sicher, ob sich die 18 Jahre nun auf das Lebensalter der Kuh oder den Todeszeitpunkt dieses Tieres bezogen haben. Denn nach dem Abhängen war das Fleisch eher schwarz als rot.

Presa hatte ich also in Reserve, dazu ein paar hervorragende Flaschen baskischen Weins (Txakoli, und ein paar Tempranillos aus dem Rioja Alavesa) und die Chorizos waren ja auch noch da. Freiwillige für einen Grillabend fanden sich bereitwillig und schnell, sie waren darüber aufgeklärt, dass ich meinem selbst zubereiteten Essen recht skeptisch gegenüber stehe und nötigenfalls sollten uns die Presas und die Chorizos satt machen, wenn sich die alte Kuh nicht beißen lässt. Das Risiko, dass es daneben geht, war bekannt.

So also habe ich die hohe Rippe in vier gleich große Stücke geteilt und damit meinen kleinen Gartengrill (der wohl eher für harmlose Nackensteaks vom Schwein ausgelegt scheint) vollgelegt.

Eine ganze Stunde haben die dicken Stücke dort vor sich hingequalmt, allein schon der dichte Rauch war spektakulär, das Fett obendrauf wurde je wärmer je gelber. Noch konnte keine Rede davon sein, dass hier irgendetwas vertrauenerweckend aussah. Nur der entstehende Geruch machte neugierig. Nachdem die Hitze der Holzkohle nachgelassen hat, habe ich das Fleisch bei 120°C in den Ofen geschoben, bis es gleichmäßig perfekt 55°C im Inneren warm war.

Weil es gar so lang gedauert hat, waren inzwischen die Sardellen verspeist und die Chorizos zum Teil auch. Als Gar- und Ruhezeit vorbei waren, ging es zur Sache: Zum gleichmäßigen Garen der Kuh-Stücke habe ich mir die größte Mühe gegeben und wurde mit einem atemberaubend schönen Schnittbild belohnt. Mageres, mürbes, dunkelrotes Fleisch lachte mich an.

Zum Probieren hingestellt, war das Urteil einhellig: Zartes, hocharomatisches, im Inneren mageres Kuhfleisch von atemberaubender Textur und Geschmack. Frisch, unverfälscht und rein hat sich das Fleisch präsentiert. So gut wie ich Fleisch noch nie gegessen habe.

Es hinterlässt im Mund einen Geschmack nach gerade gemolkener, unbehandelter Milch. Und nach Kräuterwiese. Der Muskel an sich ist mager, die Struktur der Fasern erinnert ein wenig an Bison oder an Wild, mürbe aber mit Biss. Von Zäh keine Spur. Der Nachhall des Geschmacks weckt Suchtpotential. Dieses Fleisch trifft eine Aussage, hat eine Message, die Fleisch von jungen Tieren gar nicht haben kann. Unter den tranchierten Scheiben sammelt sich wenig dunkelroter Saft. Das Aroma ist außergewöhnlich, beeindruckend und selbst die Hände, die Fleischkontakt hatten, riechen noch stundenlang archaisch und begeisternd nach diesen Steaks. Die Skepsis am Tisch ist hemmungsloser Begeisterung gewichen. Schöner kann ein Experiment nicht gelingen und nie war es leichter für mich, eine Fehleinschätzung zuzugeben.

Die Latte für Excellenz liegt nun höher, die Benchmarks sind neu gesetzt.

Die Kuh gibt es ab nächster Woche auf meiner Karte, im Großhandel ist das Fleisch hier erhältlich: www.enologos.de