Dieses Jahr kam dann also doch der rote Teppich raus, sorgfältig ausgerollt auf dem Vorhof des Düsseldorfer Capitol Theaters. Vergangenes Jahr wählten die Veranstalter des Deutschen Webvideopreises noch die blaue Variante. Doch da gab es auch noch weniger Kamerateams, die den geladenen Gästen auf Schritt und Tritt folgten.
Zum vierten Mal wurden am Samstagabend die „Oscars der Generation YouTube“ für die besten deutschsprachigen Webvideos des vergangenen Jahres verliehen. Die Gewinner in den insgesamt 14 netzaffinen Kategorien bestimmten zur Hälfte die Menschen im Netz, indem sie die nominierten Videos in den sozialen Netzwerken teilten. Die andere Hälfte der Stimmen kam von den Mitgliedern der European Web Video Academy, zu denen auch die Vorjahresgewinner zählten. 7.000 Videos wurden in diesem Jahr eingereicht, 78 schafften es in die Endauswahl.
Joko, Klaas und die Droge Internet
Dass der Preis von einem kleinen YouTuber-Klassentreffen zu einer der größten deutschen Webvideo-Veranstaltungen herangewachsen ist, zeigte sich schon vergangenes Jahr mit dem Umzug in das Düsseldorfer Capitol. Und auch diesmal präsentierte sich die deutsche Webvideoszene als eine Sammlung junger Menschen, die wahlweise in Anzug, Abendkleid oder auch im Bademantel durch die Menge flanierten, stets begleitet von Kameras in allen Formen und Größen.
Durch die Veranstaltung führten erstmals Joko und Klaas, das eingespielte Moderatoren-Team von Circus Halligalli. Ausgerechnet die vom Fernsehen, könnte man sagen. Doch die beiden spielten geschickt mit ihrer Rolle als Vertreter des „alten Mediums Fernsehen“ im Angesicht der „Droge Internet“, wie sie scherzhaft die Show eröffneten.
Dem Preis tat diese frische Moderation gut. Joko und Klaas feixten und witzelten kurz mit den Gewinnern jeder Kategorie auf der Bühne und nicht zuletzt auch mit sich gegenseitig. Überhaupt waren Bühnenbild und Ablauf in diesem Jahr dynamischer, die Gala wirkte insgesamt weniger gedrungen als noch bei der letzten Ausgabe.
Berliner YouTube-Stars und bayrische Obsthändler
Unter den Gewinnern fanden sich erneut eine bunte Mischung aus Musik, Games und auch den ein oder anderen kuriosen Beitrag, wie der des Hobbybastlers Jörg Sprave in der Kategorie OMG, in dem er eine nicht ganz ernst gemeinte Apparatur zum schmerzhaft-fachgerechten Anlegen von Kondomen vorstellte.
Auch die bekannten deutschen YouTuber durften nicht fehlen: Dr. Allwissend gewann in der Kategorie FAQ mit einer Erklärung, wieso die Menschen von Natur aus schüchtern sind. LeFloid, aktuell für den Grimme Online Award nominiert, war in der Kategorie VIP mit seiner kreativen Nachrichtensendung LeNews erfolgreich. Und auch der Videospieler Gronkh durfte sich nach einer Pause im vergangenen Jahr wieder freuen: Seine 1000. Episode des Spiels Minecraft wurde in der Kategorie Let’s Play nominiert – Gronkh bedankte sich stilecht per Videogruß aus Los Angeles.
In der Kategorie Action gewann Sebastian Linda. Den Leipziger Filmemacher und seinen Skateboard-Film The Revenge of the Beasts hatten wir auch auf ZEIT ONLINE bereits porträtiert. Sein Beitrag ist ebenso künstlerisch wertvoll wie der Song S.p.a.m. der beiden Berliner Musiker Fewjar, die in der Kategorie Now Playing gewannen – und dafür großen Applaus bekamen.
Und dann war da noch Didi, bürgerlich Dieter Schweiger. Seit 30 Jahren betreibt Didi einen Obststand an der LMU München und seit diesem Jahr ist er auch Webvideo-Star. Ein bewusst überdrehter Imagefilm für seinen Obststand gefiel dem Publikum so gut, dass es ihn in der Kategorie Win zum Sieger wählte. „Ich habe zwar eine Facebook-Seite“, sagt Didi, aber er selbst würde nur selten „ins Kastl gucken“, wie er den Computer nennt. Mit den jungen Menschen fühle er sich aber dennoch verbunden. Die seien schließlich seine besten Kunden.
Der Auftritt des Münchner Obsthändlers war eines von zwei großen Highlights. Das andere war ein Auftritt mehrerer YouTuber, die gemeinsam den Song Hey, Mr. Nazi coverten. Die Aktion gegen Fremdenhass war ein Erfolg auf YouTube und zeigte auch beim Deutschen Webvideopreis das Potenzial des Mediums für gesellschaftskritische Themen und gemeinschaftliche Aktionen – auch wenn der Rapper Simon Desue zwischendurch seinen Text vergaß. Doch ein bisschen Improvisation gehört eben auch zum Webvideopreis.
Rapper, Würste, Penisse
Gleich in drei Kategorien, Newbie, AAA und Epic, gewann der Rapper Kollegah. Kollegah hatte erst vor einem halben Jahr seinen YouTube-Kanal Bosshaft TV gestartet und bereits über 46 Millionen Abrufe gesammelt. Nicht überraschend, steht er doch aktuell ganz oben in den Charts und hat über 1,5 Millionen Facebook-Likes. Dass er dadurch einen kleinen Wettbewerbsvorteil im Beliebtheits-Voting hatte, kann wohl niemand abstreiten. Gleichzeitig zeigt es die Probleme eines Publikumspreises, wenn ein klassisches Musikvideo dadurch gleich dreimal YouTube-Formate aussticht.
Als Kollegah am Ende noch den Hauptpreis in der Kategorie Epic einheimste, kamen sogar vereinzelte Buh-Rufe auf. Diesen Erfolg gönnten die Webvideo-Fans im Saal dem Musiker dann offenbar doch nicht. Zumal dieser bereits bei der Annahme des Preises in der Kategorie Newbie für Unmut sorgte, als er einen Freund auf die Bühne bat, der prompt die Hose runterzog und anschließend zwei Biergläser auf die Bühne warf.
„Jetzt haben wir wohl unser eigenes Penisgate“, sagte der Veranstalter Markus Hündgen etwas zerknirscht. Besonders gefallen haben dürfte ihm der kleine Skandal nicht, denn die Gala wurde auch live auf YouTube ins Netz gestreamt und sollte eigentlich jugendfrei sein. Dass wenig später eine Düsseldorfer Metzgerei Würste an das Publikum verteilte, machte die Witze auf und abseits der Bühne nicht besser. Das offizielle Hashtag #wvp14 stünde in Wahrheit für „Webvideopenis“, twitterte der Journalist Daniel Fiene.
Wo waren die Frauen?
Insgesamt präsentierte sich der Deutsche Webvideopreis 2014 als eine testosterongeschwängerte Angelegenheit: Von den beiden männlichen Gastgebern hin zu den Nominierten gab es vor allem: viel Krawall, viel Geballer, viele Muskeln und viel Alltagssexismus in lustigen Reimen und bunten Bildchen verpackt. Etwas, das leider noch immer die Vorurteile gegenüber der YouTube-Szene in Deutschland bestätigt, obwohl diese längst mehr zu bieten hat.
Die größere Enttäuschung aber ist, dass der Preis die Frauen der Szene nahezu komplett ausblendete. Am Ende standen Gewinner in 14 Kategorien gemeinsam auf der Bühne – es war keine einzige Frau dabei. Zwar waren unter den Nominierten mehr Webvideomacherinnen als noch in den vergangenen Jahren, doch gegen die bekannten männlichen Stars konnten sie beim Publikum nicht bestehen.
Das hatte Marie Meimberg schon vor der Gala erwartet. Die Berlinerin war in der Kategorie Newbie mit einem Video nominiert, in dem sie zeichnet, wie ihr Opa Fahrrad fahren lernt. Dass sie gegen die Konkurrenz um Rapper Kollegah allenfalls eine Außenseiterchance hatte, war ihr klar: „Ich bin trotzdem froh, dass inzwischen mehrere Frauen nominiert waren, die nicht bloß Schmink-Videos drehen“, sagte Meimberg nach der Veranstaltung.
Auch der Veranstalter Markus Hündgen zeigte sich am Ende überrascht, dass es nicht eine Frau bis auf die Bühne schaffte. „Wir hoffen und arbeiten daran, dass der Anteil weiblicher Webvideomacher in den nächsten Jahren weiter steigt“, sagte Hündgen. Dem Deutschen Webvideopreis und der gesamten deutschen YouTube-Szene stünde das mindestens genauso gut wie die Abendgarderobe auf dem roten Teppich.
Alle Gewinner des Deutschen Webvideopreis gibt es hier in der Übersicht.