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Geschichten aus dem Untergrund: „Terminal Bar“

Die Terminal Bar von Außen (© Screenshot)
Die Terminal Bar von Außen (© Screenshot)

I went to the worst of bars hoping to get killed but all I could do was to get drunk again.― Charles Bukowski

Ob Charles Bukowski jemals in der Terminal Bar am New Yorker Times Square war, ist unbekannt. Gefallen hätte sie ihm: Die kleine Kneipe direkt gegenüber des größten New Yorker Busbahnhofs galt zu ihren besten Zeiten als einer der härtesten Schuppen der ganzen Stadt. Es war ein Ort für Junkies, Alkis, Prostituierte und alle anderen, die im Rausch ihr Leben vergessen wollten; ein Ort für Künstler, Musiker, Literaten, die den Geruch der Straße ebenso benötigten wie den nächsten Schnapps.

Im Jahr 1982 schloss die Terminal Bar für immer ihre Türen und mit ihr ein Stück New Yorker Geschichte. Fast zwanzig Jahre war sie vergessen, bis Stefan Nadelman sie in dem gleichnamigen Dokumentarfilm neu belebte. Und wie: Terminal Bar gewann 2003 nicht nur das Sundance-Festival, sondern noch viele weitere Preise.

Nadelman hatte eine gute Grundlage für diesen Film. Sein Vater Sheldon hat nämlich in der Terminal Bar als Barkeeper gearbeitet. Zehn Jahre lang zwischen 1972 und der Schließung. In der Zeit hat er nicht nur den Wechsel des Publikum von der Arbeiterklasse hin zur afroamerikanischen Schwulenszene miterlebt, sondern das alles auch dokumentiert. Rund 1.500 Porträts schoss Nadelman Senior in diesen Jahren. Das sagt sein Sohn über diese Zeit:

„Our house [was] basically my father’s gallery, I grew up looking at these faces of the Terminal Bar. My father would also paint on the matte around the photos to further make his point. He used a lot of wordplay…like GRAPE/RAPE/APE (the effects of wine). Each picture had its lesson or story and I think they subconsciously warned me of the ramifications of heavy drinking. Looking back, I can see how odd it may have seemed to have your house’s walls filled with 16×20’s of drunken strangers.“

Diese Bilder sind die Grundlage für Terminal Bar. Angereichert mit Archivaufnahmen, Zeitungsschnipseln und O-Tönen seines Vaters, ist Terminal Bar ein faszinierendes Zeitdokument einer urbanen Subszene. Die Dynamik, die Stefan Nadelman aus den Archivaufnahmen herausholt, ist schlicht fantastisch. Geschickt webt er die Porträtaufnahmen zusammen, und ein exzellenter Soundtrack und Sounddesign sorgen dafür, dass man es fast riechen kann, den abgestandenen Zigarettengeruch in der Luft. Umso schöner ist, dass dieser Klassiker nun auch ganz offiziell online zu finden ist.

Nadelman hat inzwischen noch weitere Vignetten auf Basis der Fotos seines Vaters veröffentlicht, die er weiterhin regelmäßig ausstellt. Auch sie gibt es auf YouTube.

 

Welcome to YouTube!

Ganz wunderbare und trotz der Länge kurzweilige Animation von JelloApocalypse, die uns in die bunte, schreckliche, seltsame und manchmal ganz schön konfuse Welt von YouTube einführt. Was zunächst tatsächlich nach einer halbwegs ernstgemeinten Einweisung für Neulinge aussieht, entwickelt sich schnell zu einem satirischen Rundumschlag gegen typische YouTube-Praktiken (wie etwa ein klickträchtiges Vorschaubild – siehe unten) und langweilige Formate.

 

Chris Stark, der Interviewkönig der BBC

Oft hört man: Interviews mit Schauspielern sind langweilig, stets gleich und die Journalisten bringen oft so viel Honig mit, dass man nicht nur Gandalfs Bart sondern den gesamten Zauberer damit einschmieren könnte. Klar, die Kreativität kann zwischen Bewunderung und den mahnenden Blicken des Managers im Hintergrund schon mal flöten gehen. Und als Schauspieler/in möchte man dann auch nicht zum dreißigsten Mal die gleiche Frage spannend beantworten.

Wie es besser geht, zeigte uns im März ein junger Brite namens Chris Stark. Stark, 26 Jahre alt aber immer noch wie ein Abiturient aussehend, ist eigentlich Co-Moderator der Scott Mills Radioshow der BBC. Mit wirklich prominenten Schauspielern hatte er es bis zu diesem Tag im März nicht zu tun. Jetzt sollte er ausgerechnet die Schauspielerin Mila Kunis interviewen.

Das Ergebnis hat inzwischen nicht nur über 11 Millionen Abrufe, sondern ist schlicht brillant. In sieben Minuten geht es um alles – außer um Kunis‘ Film. Ein sichtlich nervöser Stark erzählt stattdessen von seinen Kumpels, von „Jägerbombs“ und seinem Fußballclub Watford FC. Das Beste: Kunis scheint von den vorausgegangenen Presseterminen so gelangweilt, dass sie prompt drauf anspringt und Stark entgegen den Hinweisen ihres Pressesprechers noch ermutigt.

Das vielleicht kurioseste an der Sache aber ist, dass Stark daraufhin selbst zum gefragten Interviewpartner wurde und gleich für mehrere Talkshows und Zeitungen Rede und Antwort stand, von einem plötzlichen Anstieg seiner Follower auf Twitter ganz zu schweigen. Vom Radiomoderator zum Internetphänomen sozusagen.

Glücklicherweise ist Stark der kurzzeitige Ruhm nicht zu Kopf gestiegen. Jetzt taucht ein neues Interview von ihm auf (zwischendurch hat er auch noch Robert Downey Jr. gesprochen) und er hat sich nicht verändert. Zwar ist die Gesprächspartnerin Jennifer Aniston nicht ganz so locker wie Mila Kunis, für eine Atmosphäre zwischen Fremdschämen und unfreiwilliger Komik aber sorgt auch sie. Und selbst wenn das ganze nur ein ausgeklügelter Act ist: Chris Stark sollte einfach nur noch Prominente interviewen!

 

Open Doku 2013: Sechs Dokumentationen im Netz

Zum zweiten Mal zeigt Spiegel.tv in diesen Tagen Dokumentarfilme im Rahmen des Open Doku Festivals. Vergangenen Winter hatte das Web-TV-Portal bereits einmal bis dato im Fernsehen unveröffentlichte Filme exklusiv online gezeigt. Da das Projekt offenbar gut bei den Zuschauern ankam, geht es nun in die zweite Runde. Ein Ziel des Projekts ist es nach Angaben der Organisatoren auch, unbekanntere Filmemacher und ihr Talent vorzustellen.

Sechs Filme sind diesmal in der Auswahl. Sie können ab sofort und für die nächsten drei Monate angesehen werden. Die Themen sind breit gefächert: In der Dokumentation fuckmybeatz von Till Schmerbeck und Regisseur Dino Argentiero etwa geht es um die gleichnamige Frankfurter Partyreihe. Die Macher begleiten die Veranstalter durch die Nacht und zeigen die zwei Gesichter des Nachtlebens.

In Glaubenskrieger hat Tarek Ehlail 2.000 deutsche Bundeswehrsoldaten zum jährlichen Pilgertreffen in Lourdes begleitet, wo Soldaten verschiedenster Länder sich über Glauben und Religion austauschen.

In den weiteren Filmen geht es um Skateboarden, um den Abschied eines krebskranken Menschen und dem Liebeskummer zweier Frauen. Alle Beiträge gibt es auf der Website.

 

Das Geheimnis der hängenden Schuhe

Man sieht sie in den Straßen von San Francisco und New York, in Sydney, Johannesburg und auch in Berlin-Friedrichshain: Schuhe, meist ausgelatschte Sneakers oder Wanderstiefel, die über Telefon- und Stromleitungen baumeln. Die einen nennen es einfach Schuhwerfen, die anderen bezeichnen Shoefiti als Kunstform. Die Fragen bleiben gleich: Wer hat sie dorthin geworfen, wo kommen sie her? Eine gängige Meinung ist, dass sie von Reisenden stammen, die sich auf diese Art von der Stadt verabschieden. Doch das gilt längst nicht für alle Kulturen. Theorien gibt es viele.

Die Dokumentation The Mystery of Flying Kicks geht dem Phänomen nach. Und das auf eine interessante Art und Weise: Die Macher haben beispielsweise eine Telefonhotline installiert, in der Menschen anrufen und erzählen konnten, was für sie hinter dem Schuhwurf steckt. Der Film besteht fast ausschließlich aus Material der Öffentlichkeit, aus Anrufen, aus eingesendeten Vlogs und Fotos, abgeschmeckt mit etwas Animation. Ob The Mystery of Flying Kicks das Geheimnis der baumelnden Latschen am Ende lüftet? Nicht wirklich. Stattdessen wirkt das Phänomen nur noch mysteriöser, scheint doch jedes Paar Schuhe seine eigene Geschichte zu erzählen.

 

Netzfilm der Woche: „Breaking Bad Jr.“

Heisenberg in Montur
Heisenberg in Montur

Das Warten hat ein Ende. Am heutigen Sonntagabend geht Breaking Bad in die letzte Runde. Noch einmal acht Folgen der erfolgreichen US-Serie wird es geben (in Deutschland ab dem 13.8. auf Sky oder 14.8. auf Watchever zu sehen). Acht Folgen, die über das Schicksal des ehemaligen Chemielehrers Walter White und seines Partners-in-Crime Jesse Pinkman entscheiden. Wird Walters Siegeszug als Drogenbaron Heisenberg weitergehen? Oder folgt am Ende doch der Fall des (Anti)helden?

Nicht nur über das Ende der Serie wird auf Seiten wie Betting Bad und YouTube diskutiert und abgestimmt. In den vergangenen Wochen bereiteten sich die Fans mit zahlreichen Videos und Aktionen auf das große Finale vor. Mit Lego-Remixen etwa, mit knackigen Zusammenfassungen, Fan-Adaptionen, Cover-Versionen, Dokus und Memes und Gifs zollten sie ihrer Lieblingsserie Tribut. Die Musical-Version einer Mittelstufe hat es in nur wenigen Tagen auf mehr als eine Million Abrufe gebracht.

Die vielleicht beste – und nicht ganz spoilerfreie – Hommage kommt ebenfalls von einem Schüler: Ian Hollowood, der die Serie eigentlich nicht mal legal sehen dürfte. Doch seine Eltern nehmen es nicht so eng. Im Gegenteil, für Breaking Bad Jr. haben sie ihrem Sprössling vollste Unterstützung gewährt.

So führt uns Breaking Bad Jr. in den Sumpf der Midwest Middle School. Aufgrund akuter Diabetes-Diagnosen wird die Einfuhr von Süßigkeiten streng reguliert. Nur ein Schüler widersetzt sich und produziert mit seinem Kumpel heimlich den derbsten Kaugummi der Stadt. Das Geschäft boomt – doch auf jeder Schultoilette lauern Petzen.

Für die Umsetzung von Breaking Bad Jr. sorgten die New Yorker Filmemacher Patrick Willems und Mike F. Die Liebe zum Detail ist ebenso umwerfend wie die Darbietung der jungen Hobbyschauspieler. Spätestens als die Figur des Gustavo Fring in Form eines jugendlichen Süßwarenverkäufers auf den Plan tritt, ist die Parodie perfekt.

 

st_ry Folge 1: Kreditscoring

Daniel Bröckerhoff ist Journalist, der unter anderem für ZAPP im NDR und Klub Konkret auf Eins Plus arbeitet. Im Frühjahr hat er eine Crowdfunding-Kampagne gestartet für ein neues Projekt namens st_ry. Dabei suchte er nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Themen: Die Zuschauer entscheiden bei st_ry, über was das Team anschließend Reportagen dreht. Klingt gut. Die Resonanz aber ist, man kann es nicht anders sagen, ernüchternd. Trotz zahlreicher Berichte über das Projekt und einer Verlängerung der Aktion steht die Kampagne eine Woche vor Ende bei knapp 5.000 Euro. Wieso das Interesse an diesem Projekt so gering ausfällt, sollen andere erklären.

Bröckerhoff jedenfalls lässt sich nicht so schnell einschüchtern. Deshalb hat er schon die erste Episode vorproduziert und vergangene Woche ins Netz gestellt. Darin geht es um das sogenannte Scoring, dem Sammeln von Daten über Privatpersonen, auf deren Basis anschließend Unternehmen und Behörden Entscheidungen treffen. Etwa, ob die Person für einen Kredit infrage käme. Unter anderem geht es um die Geschichte von Alvar Freude, dem trotz positiver Finanzen keine Kreditkarte gewilligt wurde. Ein informativer Bericht.

 

Reise durch die Filme des Jahres 2012

Wenn ich mir den folgenden Zusammenschnitt von Jorge Gonzalez Diaz ansehe, muss ich wohl noch so manchen Film aus dem vergangenen Jahr nachholen. Diaz hat für What is Cinema? einige seiner Lieblingsmomente genommen, sie mit Zitaten aus anderen Filmen versehen, und präsentiert das Ganze nun als eine Art Querschnitt durch die Filmkunst des Jahres 2012. Eine schöne Hommage, wie ich finde.