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Einmal Gott spielen: „The Gloaming“

Und am ersten Tag schuf Gott das Chaos. Nein, so lautet nicht der Untertitel des französischen Animationsfilms The Gloaming. Aber er könnte. Gott, das ist in diesem Fall der Charakter, der dem Zuschauer zu Beginn in einer kargen Wüstenlandschaft entgegentritt. Er bleibt im weiteren Verlauf des Films namen- und sprachlos, doch er hat eine Gabe: Er kann eine Welt erschaffen, eine Miniatur unseres Planeten.

In den folgenden zehn Minuten erzählt The Gloaming eine stark verkürzte und stilisierte Geschichte der Menschheit: Beginnend mit der Erschaffung der ersten Menschen spinnt sich The Gloaming rasant über Epochen wie die Antike, das Mittelalter und die Industrialisierung hin zu einer dystopischen Zukunft, die gleichermaßen an George Orwells 1984 wie The Matrix erinnert.

Dass dieser schnelle Szenen- und Szenarienwechsel nicht disruptiv auf die Zuschauer wirkt, ist dem erzählerischen Faden des Films zu verdanken: Krieg, Neid, Kontrolle und Machtkämpfe stehen im Mittelpunkt jeder Epoche, die zunehmend düsterer werden. Am Ende wird der vermeintliche Schöpfer von seiner Kreation eingenommen. Was bleibt ist die Frage, ob das menschliche Wesen unweigerlich auf seine Zerstörung hinarbeitet.

Das dieses ambitionierte Konzept ohne Dialoge und nur durch die Bilder so gut funktioniert, verdankt The Gloaming letztlich seiner technischen Umsetzung: Die Kombination aus Computergrafik, 2D-Animation und Stop-Motion sorgt für eine ganz besondere Dynamik. Sechs Jahre lang hat das französische Team von Nobrain, ein Zusammenschluss aus vier Filmemachern, gemeinsam mit dem Sabotage Studio an Konzept und Umsetzung gearbeitet.

 

Olympia-Spot der BBC

Etwas seltsam ist es schon, dass die BBC in ihrem offiziellen Olympia-Spot weder Fotos von London noch Aufnahmen der Athleten zeigt, sondern sich auf eine Animation beschränkt. All Things D schreibt: „In this case, at least, CGI is better than the real thing.“ Nun ja, schön anzusehen ist es sicherlich. Eine längere dreiminütige Version gibt es ebenfalls.

 

Animierte EM-Teamvorstellungen

Wer es noch nicht mitbekommen hat: Heute geht die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine los. Ich persönlich bin deswegen für die nächsten drei Wochen vor allem im Sport-Ressort (und dem Sport-Blog) tätig. Was nicht heißt, dass hier nicht trotzdem das ein oder andere schöne Webvideo aufschlägt. Etwa die humorvoll animierten Teamvorstellungen, die der Guardian für die EM produziert hat. Die Revue Deutschlands gibt es sogar in deutscher Sprache:

 

World Stareout Championship Final

Gibt es eigentlich eine deutsche Übersetzung für „staring contest„, dem Spiel, bei dem sich zwei Menschen solange in die Augen starren, bis einer blinzelt? Mir fällt gerade keine ein. Geschenkt. Im Finale der besten Augenstarrer treten heute der Italiener Kampagnola und der Pole Spatsky an. Das Ganze ist eine Animation von Chris Shepherd, die für die britische Sketch-Show Big Train (1998-2002) produziert wurde. Mehr starrende Männer gibt es hier und hier.

 

BAFTA-Gewinner 2011: „The Eagleman Stag“

Zeit, was ist das eigentlich? Eine messbare, physikalische Einheit oder doch eher ein philosophisches, metaphysisches Konzept? Können zwei Menschen eine unterschiedliche Zeitauffassung haben – und vor allem: Verändert sich unser Zeitgefühl mit dem Alter? Glauben wir nicht oft genug, dass die Zeit im steigenden Alter immer schneller vergeht? Und unsere Erinnerungen immer kürzer werden?

Peter Eagleman, Erzähler und Protagonist in Michael Pleases animiertem Kurzfilm The Eagleman Stag glaubt es. Schon als Kind hatte er ein ausgeprägtes Zeitgefühl. Jahre später – Eagleman ist inzwischen ein renommierter Insektenforscher – ist es zu einer Obsession geworden: Trotz aller Versuche, in seinem Leben niemals zweimal das Gleiche zu unternehmen, kann Eagleman die Beschleunigung der Zeit nicht stoppen. Die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit nimmt Eagleman immer mehr ein – und treibt ihn schließlich zu Extremen.

Es ist eine ambitionierte Geschichte, die Please in gerade einmal neun Minuten zu erzählen versucht. Doch dem Filmemacher gelingt es, anhand weniger ausgewählter Episoden aus Eaglemans Leben ein erstaunlich komplexes Charakterbild zu schaffen: Eagleman ist geistreich und humorvoll, gleichzeitig aber auch ein selbstverliebter Griesgram, wie sich schnell herausstellt. Wie die Erinnerungen Eaglemans wird auch die Erzählung im Verlauf des Films immer rastloser, schneller, die einzelnen Passagen kürzer, bis es schließlich in einem ebenso fulminanten wie offenen Finale endet.

Dass diese Erzählung so gut funktioniert, ist vor allem der Umsetzung und Gestaltung zu verdanken. Auch in dieser Hinsicht ist The Eagleman Stag eine beeindruckende Arbeit. 115 einzelne Sets haben Please und sein Team für den Film im Vorfeld gebastelt. Sämtliche Figuren und Hintergründe sind aus einem speziellen Schaum gefertigt und bis hin zu einzelnen Grashalmen in Handarbeit entstanden. Der gesamte Film wurde anschließend in Stop-motion gefilmt und kommt fast ganz ohne nachträgliche Computerhilfe aus. Da Please gänzlich auf Farbe verzichtet, spielt die gezielte Verwendung von Licht, Schatten und Kontrasten eine besondere Rolle. Gepaart mit gelungener Kameraführung, entwickelt der Stil schnell eine eigene – und faszinierende – Dynamik.

Diese Leistung blieb nicht unbelohnt: The Eagleman Stag hat im vergangenen Jahr nicht nur bei zahlreichen Festivals gewonnen, sondern wurde kürzlich auch mit dem britischen BAFTA-Preis für die beste Animation ausgezeichnet.

 

Die verflixten Higgs-Teilchen

Noch hat sie niemand nachgewiesen, die Higgs-Teilchen (oder Higgs-Boson), mit denen wir den Ursprung des Universums besser erklären könnten. Im Dezember wollten die Forscher des Teilchenbeschleunigers LHC in Genf sie endlich entdeckt haben. Oder jedenfalls starke Hinweise darauf. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass dieser Durchbruch verkündet wurde. Was lernen wir daraus? Elementarteilchen sind in der Tat nur schwer zu fassen. Ebenso wie die Erklärung, was genau diese Higgs-Teilchen eigentlich sind. Denn wie soll man etwas genau beschreiben, wenn man es noch nicht entdeckt hat? Der Physiker Daniel Whiteson versucht es trotzdem – mithilfe eines Comics.

 

Die Achtziger leben: „Space Stallions“

Wallendes Haar, buschige Schnauzbärte, Spandexhosen, Keytars und Synthesizer-Musik: Die modischen und musikalischen Auswüchse der 1980er haben ihre Spuren auch in den Trickfilmen hinterlassen. Manche erinnern sich vielleicht noch an die überdrehten Actionserien wie ThunderCats, Silverhawks, Voltron und natürlich He-Man und die Masters of the Universe, die es schließlich auch in die deutschen Privatsender geschafft haben. Auch Space Stallions hätte man damals problemlos am Sonntagmorgen im Fernsehen sehen können. Hätte. Denn Space Stallions ist weder eine vollständige Serie noch ein Produkt der 1980er. Es ist eine Bachelor-Arbeit des dänischen Animation Workshop, produziert von Studenten, die in den 1980ern allenfalls geboren wurden.

An der Strahlkraft des Films ändert dieser Umstand nichts. „Der beste achtziger Jahre Action-Cartoon, den es nie gab“, schreibt das Blog Comics Alliance. Tatsächlich geht es den Machern von Space Stallions vor allem darum, möglichst viel Retro-Kitsch in drei Minuten zu packen, angefangen mit dem klassischen Superhelden-Quartett über farbenfrohe Hintergründe hin zu fiesen Bösewichten, Weltraumpferden und Keytar-Soli. Auch ein inbrünstig vorgetragener Themesong darf natürlich nicht fehlen. Am Ende ist Space Stallions sowohl eine Parodie als auch eine Hommage und vor allem eines: Ein dreiminütiges, hyperaktives Flashback. Und irgendwie ziemlich awesome. Das fanden übrigens auch die Mitarbeiter von Disney, wie uns Anja Perl vom Animation Workshop erzählte.

„Space Stallions“ ist Teil unserer Serie über Abschlussfilme des dänischen Animation Workshop. Alle Filme wurden von Studenten produziert. Ein Interview über den Animation Workshop finden Sie hier.

 

Kreativität trifft Teamarbeit: Der Animation Workshop

Der Animation Workshop im dänischen Viborg ist eine der wichtigsten Animationsschulen Europas. Zusätzlich zu Fortbildungskursen bietet die Schule sowohl in Charakteranimation als auch in Computergrafik jeweils dreijährige Bachelor-Studiengänge an. Wir zeigen in den nächsten Wochen eine Auswahl aktueller Abschlussfilme, beginnend mit Load.

Zum Auftakt sprachen wir mit der Koordinatorin Anja Perl über die Ausbildung an der Schule, die Anforderungen und die Rolle von Videoplattformen.

ZEIT ONLINE: Frau Perl, glauben Sie, dass Animationsfilme populärer denn je sind?

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Anja Perl: Animationsfilme waren schon immer populär. Es fehlten aber die entsprechenden Kanäle. Animierte Kurzfilme beispielsweise waren früher meist nur auf Festivals zu sehen, weil es im Fernsehen abseits von Kinderprogrammen nur wenige Sendeplätze gibt. Aber wenn man überlegt, in welchen Bereichen heutzutage Animation vorkommt – in der Werbung, im Unterricht, in der Wissenschaft und Forschung – sieht man, dass Animation ein einfaches und beliebtes Tool für Visualisierung ist. Was sich geändert hat, ist die Verbreitung. Hier hat das Internet einiges bewegt, viele Macher stellen ihre Sachen online, die es vorher nicht taten. Deswegen fühlt es sich wahrscheinlich nach „mehr“ an.

ZEIT ONLINE: Wächst die Zahl der Interessenten für Ihre Kurse?

Perl: Ja, das auf jeden Fall. Das liegt aber auch an der allgemeinen Entwicklung der Kreativ- und Filmindustrie. Diese Branche ist viel größer und gefragter als früher. Kaum ein großer Spielfilm kommt heute ohne Computeranimation aus. Immer mehr Menschen wissen diese Arbeit und Animationsfilme an sich zu schätzen. Die Stellen sind da und sie werden gut bezahlt. Das macht die Ausbildung für junge Leute attraktiv, die damit aufgewachsen sind.

ZEIT ONLINE: Welche Vorkenntnisse müssen Ihre Studenten mitbringen?

Perl: Einige Studenten haben schon vorher studiert oder eine Ausbildung gemacht. Andere fangen bei Null an und bringen nichts mit außer ihrem künstlerischen Talent. Wichtig ist, dass sie kreativ sind. Wir versuchen auch eine gute Mischung von Teilnehmern zu bekommen, sodass sich die Teilnehmer gegenseitig ergänzen und inspirieren können.

ZEIT ONLINE: Die Ausbildung dauert 3,5 Jahre. Wie viel Zeit benötigen die Studenten für ihr Abschlussprojekt?

Perl: Das gesamte dritte Jahr des Studiums, also rund zehn Monate. Sehr viel Zeit fließt dabei zunächst in die Story oder den Inhalt des Projekts, auch in die Frage, wie man die Geschichte in dem gewählten Medium am besten transportiert. Dann geht es daran, Storyboards zu erstellen. Es folgt ein 2-D-Animatic, das 3-D-Layout und die Charaktere und Umgebungen müssen kreiert und natürlich animiert werden. Am Ende stehen die Texturierung, das Licht und das Rendering bis zum finalen Film.

ZEIT ONLINE: Und das übernehmen die Studenten alles selbst?

Perl: Wir arbeiten lediglich mit einigen Sounddesignern, Komponisten und professionellen Sprechern von außerhalb zusammen. Je nachdem, in welcher Produktionsphase sich die Studenten gerade befinden, laden wir noch Lehrer und Berater ein, die mit der Story und dem Schnitt, aber auch mit der Technik helfen. Auch in dieser Phase soll das Lernen nicht zu kurz kommen. Der Prozess der Bachelor-Filme ist bewusst an die Arbeit in der Industrie angelehnt. Jeder in der Gruppe hat zum Beispiel eine Rolle: einer ist Regisseur, einer Art Director, einer Technical Director und ein anderer Produktionsmanager.

ZEIT ONLINE: Wie finden diese Teams zusammen?

Perl: Pro Abschlussjahrgang haben wir circa 40 bis 50 Studenten aus den beiden Bereichen Charakteranimation und Computergrafik. Jeder Student hat die Gelegenheit, seine Idee vor der Klasse und einem professionellen Panel vorzustellen. Gemeinsam suchen wir die Ideen aus, deren Story und Umsetzung besonders sind. In diesem Prozess finden sich dann Studenten zusammen, die ihre Ideen und Stärken miteinander verbinden. Erfolgreiches Filmemachen basiert auf funktionierender Teamarbeit. Diese Erkenntnis zu vermitteln ist uns in der Ausbildung sehr wichtig.

ZEIT ONLINE: Gibt es bei den Abschlussfilmen Trends zu beobachten? Vielleicht weil irgendeine Technik gerade „in“ ist?

Perl: Letztes Jahr drehten sich zwar fast alle Filme um den Tod, ich würde das aber nicht als Trend bezeichnen, sondern eher als Zufall. Vielleicht lag es einfach an den Nachrichten. Dieses Jahr konnten wir nichts dergleichen feststellen. Das ist auch gut so: Wir wünschen uns Vielfalt und achten darauf, dass sich die einzelnen Projekte  unterscheiden.

ZEIT ONLINE: Die fertigen Arbeiten werden nicht nur auf der Website der Schule gezeigt, sondern auch auf Vimeo und YouTube. Wie wichtig sind diese Plattformen inzwischen?

Perl: Richtig wichtig. Sie erschließen ein viel größeres Publikum als Festivals. Wir haben letztes Jahr damit angefangen, Vimeo zu nutzen, und vernetzen inzwischen unsere eigenen Kanäle mit den Accounts und Facebook-Profilen der Studenten. So entsteht ein großes Netzwerk, nicht nur von Freunden und Bekannten, sondern auch von potenziellen Arbeitgebern.

ZEIT ONLINE: Wenn ein Film auf Vimeo oft gesehen wird, ist das also auch eine Art der Qualifikation?

Perl: Das hilft sicherlich, aber es ist natürlich nicht alles. Wir arbeiten mit vielen Lehrkräften zusammen, die weltweit in der Industrie tätig sind. So haben wir alle direkten Kontakt zu den großen und kleinen Studios. Wenn die Filme online gehen, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer. Letztens schrieb mir ein Lehrer, der gerade bei Disney arbeitet, dass sich die komplette 3D-Abteilung in Space Stallions verliebt habe. Einen besseren Türöffner kann es für die Studenten nicht geben.

Anja Perl ist selbst Animationsfilmerin und seit 2007 Coordinator und Production Supervisor beim Animation Workshop. Momentan betreut sie die Studenten im dritten Jahr bei ihren Abschlussprojekten.