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Netzfilm der Woche: „Home Sweet Home“

Home-Sweet-Home

Mach’s gut, altes Haus! Den Spruch nahmen vier junge Animationsfilmer wörtlich und schufen den Kurzfilm Home Sweet Home. Pierre Clenet, Alejandro Diaz, Romain Mazevet und Stéphane Paccolat zeigen darin zwei Häuser, eines noch jung und farbenfroh, das andere alt und morsch, die es nach Jahren am gleichen Fleck in die Welt hinaustreibt.

Die Geschichte ist natürlich eine clever verpackte Hommage an die Freundschaft. Persönlichkeit drückt sich hier in Form von ächzenden Balken aus, durch quietschende Fensterläden und bröckelnde Farbe an der Fassade. Der Wunsch der beiden Protagonisten, in einer scheinbar menschenleeren Welt noch etwas anderes als die eigene Straße zu erleben, führt sie auf einen Roadtrip durch wunderbar gezeichnete Landschaften.

Überhaupt fällt neben der ungewöhnlichen Story bei Home Sweet Home sofort die Umsetzung auf. Mit vielen Details animiert, liebevollen Gags versehen und farbenfrohen Hintergründen ausgestattet, lässt vergessen, dass es sich bei dem Film tatsächlich um eine Studentenarbeit handelt. Home Sweet Home entstand im Jahr 2013 als Abschlussarbeit an der Supinfocom, der europaweit bekannten Hochschule für Computergrafik im französischen Arles.

Die Arbeit war erfolgreich: In diesem Sommer gewann Home Sweet Home den Preis für den besten animierten Kurzfilm auf der Siggraph-Konferenz. Dort begannen schon ganz andere Karrieren. Zum Beispiel die eines kleinen Animationsstudios namens Pixar.

 

Netzfilm der Woche: „Rhinos“

© Let's Not Loose It Productions
© Let’s Not Loose It Productions

Es kommt nicht oft vor, dass ein Kurzfilm mit einem beherzten „Arschloch!“ beginnt. Doch das muss in diesem Moment einfach raus bei Ingrid. Sie will sich einen schönen letzten Urlaubstag in Dublin machen. Doch ihr Freund verhält sich mal wieder wie ein, nun ja, Arschloch eben. Da ist es ganz gut, dass Ingrid mit Thomas auf der Parkbank ins Gespräch kommt, der kein Wort Deutsch spricht.

Ja, Rhinos von Shimmy Marcus ist einer dieser Treffen-sich-zwei-Menschen-Filme. Und ja, natürlich geht es dabei um eine Beziehung. Denn als die lebhafte Ingrid den schüchternen Thomas mit Händen und Füßen dazu überreden kann, doch mit ihr durch die Stadt zu schlendern, passiert etwas nicht wirklich Unerwartetes: Es macht klick. Wenn da ja nicht noch das erwähnte Arschloch wäre…

Die Klischees ausgenommen, hat Rhinos durchaus seinen Charme. Entstanden in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Irland, erzählt der Kurzfilm die Geschichte einer Annäherung, die sich über Sprachbarrieren hinwegsetzt. Wenn die beiden Protagonisten durch den Zoo schlendern (die titelgebenden Nashörner kommen natürlich auch vor) und sich gegenseitig Dinge erzählen, die das Gegenüber nicht versteht, werden sie zu Monologen über die eigene Persönlichkeit. Je länger der Tag voranschreitet, desto besser scheinen sich die beiden zu verstehen.

Vor allem die Figur der Ingrid, gespielt von Aylin Tezel, die inzwischen als Dortmunder Tatort-Ermittlerin Nora Dalay bekannt ist, trägt den Kurzfilm mit ihrer Persönlichkeit, die irgendwo zwischen kecker Austauschschülerin und verletzlicher Mittzwanzigerin daherkommt. Überhaupt ist Rhinos immer dann am besten, wenn er hinter die Fassaden der Protagonisten blickt und deutlich macht, dass die schönsten Dinge im Leben meistens nicht ewig halten.

Ein Easter Egg gibt es übrigens auch: Als Thomas und Ingrid in einem Geschäft in DVDs und Musikalben stöbern, hält Thomas ihr eine DVD von Before Sunrise vor die Nase. In dem Klassiker von Richard Linklater geht es schließlich ebenfalls um zwei fremde Menschen, die sich treffen.

 

Netzfilm der Woche: „Hiccup“

© Pigrat Productions
© Pigrat Productions

Pillen. Elektroschocks. Opium-Pfeifen. Ein Besuch beim Schamanen. Will hat alles versucht. Doch nichts hat geholfen, den Schluckauf loszuwerden, unter dem er seit seiner Kindheit leidet. Inzwischen ist Will um die 30 und hat die Hoffnung auf Heilung aufgegeben. Er verbringt seinen Tag mit einem tristen Bürojob und den Abend im Kino, was aber, wer hätte es gedacht, mit einem Dauerschluckauf nicht wirklich gut ankommt. In dieser scheinbar aussichtslosen Situation hat Will noch eine Alternative – er weiß nur noch nichts davon.

Hiccup von Griffin Devine und Alyssa Radmand ist ein sonderbarer Kurzfilm und nur schwer zu kategorisieren. Er ist teils Comedy, wenn er die kuriosen Szenen aus Wills Leben betrachtet, in die er durch seinen Schluckauf hineingeschlittert ist. Gleichzeitig aber auch Drama, weil er die Zuschauer immer tiefer in die Verzweiflung seines Protagonisten führt. Die Spannung des Films entwickelt sich aus Wills Verwandlung vom klassischen Außenseiter zum psychotischen Misanthrop.

Sechs Tage lang filmte das Team von Hiccup in Los Angeles, das ist viel für einen Kurzfilm. Den Aufwand spürt man: Die Auswahl der Drehorte und des Soundtracks tragen sehr zum Charme des Films bei. Düstere Nachtaufnahmen kontrastieren mit Neonlichtern, surrealen Drogenszenen und einem Elektro-Soundtrack von Moby. Diese Kombination aus Neo-Noir und Arthouse, das wissen wir spätestens seit Drive, passt sehr gut zusammen.

 

Netzfilm der Woche: „Dripped“

© Chez Eddy
© Chez Eddy

Manhattan in den fünfziger Jahren. Jack ist ein Kunstliebhaber mit der Ambition, eines Tages selbst berühmt zu werden. Doch Kunst kommt in seinem Fall nicht nur von Können, sondern auch von Klauen. Auf der Suche nach Inspiration greift Jack zu drastischen Mitteln: Er stiehlt die Werke großer Meister und verspeist sie – in der Hoffnung, eins mit ihnen zu werden. Doch was ist, wenn alle Kunst verschwunden ist?

Dripped (2011), der animierte Kurzfilm von Léo Verrier, hat einen beachtlichen Festivallauf hinter sich. Er gewann mehrere Preise und stand 2012 sogar auf der Shortlist für den Oscar.

Sowohl die Geschichte als auch der Titel von Dripped sind eine Hommage an das Leben und Werk des amerikanischen Expressionisten Jackson Pollock. Der suchte zu Beginn seiner Karriere ebenfalls nach Inspiration in den Werken Picassos, Mirós und im Kubismus. Doch erst Mitte der vierziger Jahre perfektionierte er seinen eigenen Stil: Mit der sogenannten Dripping-Technik ließ er Farbe auf die Leinwand auf dem Boden tropfen und stieg mit dieser Form des Action Paintings zu einem der bekanntesten US-Künstler der damaligen Zeit auf – bevor er mit nur 44 Jahren verstarb.

Verrier verarbeitet nicht nur Pollocks Karriere. Sein Film ist eine Ode an Kreativität und Schaffenskraft. Der individuelle Animationsstil, das Retro-Setting und der exzellente Jazz-Soundtrack von Pablo Pico machen Dripped zu einem erfrischend anderen Animationsfilm. Mit zahlreichen Referenzen aus der Kunstgeschichte und surrealen Sequenzen erinnert er daran, dass sich Individualität und Inspiration nicht ausschließen, sondern in den meisten Fällen ergänzen.

 

Netzfilm der Woche: „Running the Gammatar“

© Joe Kramer
© Joe Kramer

Stan hat aber auch Pech. Als er gerade mit seiner Freundin June Schluss machen will, taucht der Gammatar auf und legt die Straße in Schutt und Asche. Und erwischt dabei auch noch June, die nun Harvey-Dent-mäßig mit einem halben Gesicht herumläuft. Aber jetzt kann er sie natürlich erst recht nicht verlassen. Oder?

Der Kurzfilm Running the Gammatar von Joe Kramer (der auch Stan spielt) ist eine ziemlich trashige Komödie im besten Indie-Stil: Schnelle Dialoge, knallige Farben und ein paar hippe Indiepop-Songs als Soundtrack. Dann ist da natürlich noch das Monster, eine Mischung aus Godzilla und Jabba the Hutt; feuerspeiend, ziemlich tapsig und bewusst schäbig animiert.

Andererseits ist der Kurzfilm auch eine gelungene Parodie der egozentrischen Mittzwanziger-Großstadt-Generation: Oh, ein Monster läuft durch die Straßen? Lass uns erst mal ein Selfie machen. Die Freundin, die Stan eigentlich loswerden wollte, wird genau in dem Moment wieder interessant, als sie sich einen anderen Typen anlacht. Und selbst als der beste Kumpel im Krankenhaus langsam durch die Verbände blutet, gibt es für Stan nur ein Gesprächsthema: sich selbst. Running the Gammatar ist ebenso eine Geschichte über ein Monster wie über ein monströses Ego, fasst es RJ Evans vom Blog Kuriositas zusammen.

Dass der Film so kurzweilig ist, liegt auch an den kleinen Details, die Kramer eingebaut hat. Wenn etwa der Wetterfrosch im Fernsehen nonchalant erklärt, man solle zur Mittagszeit besser einen Schirm auspacken, da Gammatar zu dieser Zeit pinkele und Stan eine Szene später nasse Flecken auf seinem Anzug hat, muss man einfach schmunzeln. Ebenso über das Ende, das wir nicht verraten möchten. Nur so viel: Auch Monster können auf dem Ego-Trip sein.

 

Netzfilm der Woche: „Ebola Ambulance“

Gordon Kamara (© New York Times)
Gordon Kamara (© New York Times)

Gordon Kamara beendet den Anruf und blickt in die Ferne. „Es hört nie auf“, sagt er. Das „es“, von dem er spricht, ist Ebola. Kamara ist Sanitäter in Liberias Hauptstadt Monrovia und ein sogenannter First Responder: Gibt es in der Millionenstadt einen neuen Verdachtsfall, rücken er und ein Dutzend andere Teams aus, um die Erkrankten zu desinfizieren und zu den Sammelstellen zu bringen, wo sie medizinische Hilfe bekommen. Über 4.000 Menschen sind in Liberia seit dem neusten Ebola-Ausbruch offiziell erkrankt, etwa 2.500 starben. Impfungen oder ein Heilmittel gegen das Virus gibt es nicht. Etwa 60 Prozent der Erkrankten überleben nicht. Die Ärzte können nur versuchen, die Leiden der Erkrankten zu lindern, die Bevölkerung aufzuklären und Häuser zu desinfizieren.

Der Videojournalist Ben C. Solomon hat im Auftrag der New York Times den Helfer bei der Arbeit begleitet. Seine Kurzdoku Ebola Ambulance gibt einen bedrückenden Einblick in den Alltag mit der Epidemie. Sie liefert Bilder zu den zahlreichen Geschichten, die uns aus den Krisengebieten erreichen.

Der Großteil Monrovias besteht aus Slums, die Armut ist ein Nährboden für das Virus. Viel zu wenige Helfer kämpfen mit den Behörden, die falsche Prioritäten setzen und mit dem Unmut der Bevölkerung. In einer Szene transportieren Kamara und sein Kollege eine kranke Frau ab, eine Menschentraube schreit die Helfer an. In einer anderen weisen die Ärzte der Sammelstelle Kamara ab, weil sie keine neuen Kranken aufnehmen können. Kamaras Hilflosigkeit entlädt sich erst in Wut, dann in Resignation.

Gordon Kamara weiß, dass er und seine Kollegen nicht jeden retten können. Dennoch begibt er sich jeden Tag aufs Neue in Lebensgefahr. Seine Familie hat er bereits vor Monaten an einen anderen Ort gebracht. Für Kamara ist das Risiko zu hoch, seine Frau und die fünf Kinder möglicherweise anzustecken. Geblieben sind ihm nur die wenigen Fotos seiner Familie, die über seinem Bett hängen.

Es sind Momente wie dieser, in denen Ebola Ambulance die Situation in den betroffenen Gebieten am deutlichsten macht. Die Epidemie fordert nicht nur die Leben der Erkrankten, sie isoliert Ärzte, Helfer, die gesamte Gesellschaft. Und es wird so schnell nicht aufhören. „Ebola wird noch lange hier sein“, sagt Kamara am Ende des Films. Das sehen die meisten Experten ähnlich. Nur ein gemeinsames, internationales Handeln vor Ort kann die Epidemie eindämmen. Aufklärung. Ärzte. Hilfsgüter. Und mehr Helfer wie Gordon Kamara.

 

Netzfilm der Woche: „Flesh Computer“

flesh computer

Was ist das eigentlich, Bewusstsein? Menschen haben ein Bewusstsein, na klar. Säugetiere vermutlich auch. Aber was ist mit Reptilien, Fischen, Insekten, Einzellern? Und wie misst man Bewusstsein überhaupt? Darüber streiten die Vertreter der Geistes- und Naturwissenschaften seit Jahrhunderten. Auch der australische Philosoph David Chalmers befasst sich mit der Philosophie des Geistes. Seine These: Unterschiedliche Formen des Bewusstseins gehen hinunter bis auf die Ebene von Molekülen.

Die Ideen von Chalmers bilden den losen theoretischen Hintergrund von Ethan Shaftels Kurzfilm Flesh Computer. Aus dem Fernsehen heraus doziert der Philosoph als subtile Off-Stimme, während die Perspektive zwischen mehreren Bewohnern eines Wohnhauses wechselt: von einem Mädchen über zwei gewalttätige junge Männer hin zu einer Fliege an der Wand. Im Mittelpunkt aber steht ein junger Mann und der namensgebende „Fleischcomputer“: ein ebenso mechanisches wie organisches Etwas, das atmet, schnauft – und vor allem ein Bewusstsein zu besitzen scheint.

Natürlich erinnert Flesh Computer sofort an die Filme des kanadischen Regisseurs David Cronenberg. Der zeigte etwa in eXistenZ eine organische Konsole, mit der sich die Spieler in eine virtuelle Welt einklinken konnten. In Videodrome geht es um einen mysteriösen Fernsehsender, der das Leben der Zuschauer beeinflusst. Flesh Computer könnte sich hier nahtlos einreihen. Der Kurzfilm greift gleichermaßen die Angst vor der Computerisierung der Gesellschaft auf als auch die Frage, wie eng das Zusammenleben zwischen Mensch und Maschine aussehen könnte. Wo hört die Vernetzung auf und wie viel Bewusstsein haben die Computer der Zukunft?

Eine Antwort bleibt Regisseur Shaftel in den knapp zwölf Minuten schuldig. Flesh Computer ist ohnehin keine abgeschlossene Erzählung, sondern eher ein Denkansatz – mit teilweise ziemlich grotesken Bildern. Mit seiner Mischung aus bewusst überdrehten Computeranimationen und mechanischen Effekten, die wiederum an klassische B-Horror- und Splatter-Filme erinnern, bietet Flesh Computer ein etwas anderes Kurzfilm-Erlebnis: Es ist irgendwie abstoßend, aber man möchte auch nicht wegschauen.

(Deutsche Untertitel gibt es per Klick auf CC im Player)

 

Netzfilm der Woche: „Yardbird“

Yardbird
© Bridle Path Films

Yardbird ist ein englischer Ausdruck für einen Gefangenen. Im gleichnamigen Kurzfilm scheint er für die junge Ruby zu stehen, die auf einem Schrottplatz außerhalb der Stadt lebt: abgeschieden, etwas verlottert und mit einem raubeinigen Vater. Zunächst denkt man an eine Geschichte über häusliche Gewalt. Doch weit gefehlt: Als sich Ruby in die Stadt schleicht, macht sie die unfreiwillige Bekanntschaft dreier Jugendlicher, die ihr nicht allzu freundlich gesinnt sind. Wieder steht der Gedanke an Gewalt im Raum. Und wieder wird der Zuschauer getäuscht. Denn die sprachlose Ruby hat ein ganz anderes Geheimnis.

Dass Yardbird gleich mehrmals mit den Erwartungen der Zuschauer bricht, ist nur eine der Stärken des Films. Die subtilen Hinweise, mit denen er sich dem inneren Konflikt des Mädchens nähert, sind ebenso bemerkenswert. Nach und nach zeigt sich, dass Ruby nicht in die Welt der australischen Kleinstadt passt. Doch wie jeder gute Kurzfilm hält Yardbird die Spannung bis zum Schluss aufrecht.

Ähnlich bemerkenswert ist die Kinematografie, die mit ihrem Fokus auf die Personen und mit dezenten Spezialeffekten unglaublich viel aus bloß drei Drehorten herausholt. Yardbird ist schließlich auch die Arbeit erfahrener Filmemacher. Der Regisseur Michael Spiccia ist ein bekannter Werbefilmer, der Drehbuchautor Julius Avery gewann mit seinem Kurzfilm Jerrycan bereits einen Preis bei den Filmfestspielen von Cannes.

Auch Yardbird hat seit der Veröffentlichung im Jahr 2012 einen stattlichen Festivallauf hinter sich. Der Film lief unter anderem im Kurzfilm-Programm der großen Festivals von Cannes, der Berlinale und Tribeca, und gewann im vergangenen Jahr den Kinder- und Jugendfilmwettbewerb bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen.