Sie nennen sich Juggalos, Lichtesser oder Furrys. Sie malen sich Clownsgesichter, nähren sich mit Energie oder verbringen ihr Leben als Plüschtier verkleidet. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie gehören Subkulturen an, die sich ihre eigene Realität erschaffen haben und sich in kleinen Gruppen oder Internetforen zusammenfinden. In der Öffentlichkeit sieht man sie dagegen selten – zu groß sind die Vorurteile und das Unverständnis der Mitmenschen.
Annikki Heinemann und Anna Piltz, zwei junge Berlinerinnen, möchten das ändern. Seit knapp einem Jahr porträtieren sie auf oddisee.tv Menschen, die nicht in klassischen Dokumentarfilmen auftauchen. Ohne Kommentar und Erklärungen zeigen die kurzen Filme die Menschen in ihrem Alltag. Was bei einer Gruppe Nacktwanderern in den Alpen durchaus heiter wirkt, weicht in anderen Episoden schnell einer bedrückenden Einsamkeit. Es bleibt die Erkenntnis, dass es sich hier eben nicht um „Freaks“ handelt, sondern um Menschen, denen ihre Eigenart als Ventil dient, um dem Alltag ein Stück zu entfliehen. Den Macherinnen geht es nicht um Bloßstellung, sondern um die Geschichten dahinter. Und tatsächlich sind die Gefilmten häufig ganz anders, als man zunächst erwartet.
ZEIT ONLINE: Oddisee bezeichnet sich als Dokumentation „fernab bekannter Wege“. Woher kam Ihr Interesse an Subkulturen?
Annikki Heinemann: Anna und ich haben zusammen Kulturwissenschaften studiert und unser Studium war thematisch beschränkt auf Hochkultur, Theater und Museum. Wir haben angefangen, uns für das Gegenteil zu interessieren und das dann im Verlauf des Studiums zu unserem Steckenpferd gemacht. Das Interesse an Sub-, Gegen- und Jugendkulturen und auch die Theorie dahinter kam also noch vor dem Filmen.
ZEIT ONLINE: Warum haben Sie sich entschieden, daraus eine Serie im Netz zu machen?
Anna Piltz: Teilweise aus Frustration. Wir hätten das Projekt gerne für das Fernsehen produziert. Aber die Sendeplätze sind so strukturiert, dass Konzepte, die keine Stimme aus dem Off haben, die nicht mit dem Finger zeigen und erklären, einfach keinen Platz finden. Wir haben uns entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das Internet war die nächstliegende Option.
Heinemann: Die Redakteure und Produzenten, die beim Fernsehen sitzen, sind doch sehr konservativ und wenig offen Leuten gegenüber, die nicht schon 50 Projekte vorzuweisen haben. Wir hatten mit einigen Leuten gesprochen und es hieß häufig, das Thema sei „zu spitz“ und nicht fernsehtauglich. Aus finanzieller Sicht ist es jetzt natürlich schwieriger. Um mit so etwas im Netz Geld zu machen, braucht man utopisch hohe Klickzahlen. Dafür sind wir aber nicht kommerziell genug.
ZEIT ONLINE: Wie findet man die Menschen, die von Ihnen porträtiert werden?
Heinemann: Das ist sehr unterschiedlich. Meistens versuchen wir, die Leute über Foren zu finden. Wenn wir sie erst angesprochen haben, reagieren die meisten überraschend positiv. Das liegt vermutlich auch daran, dass wir eben eine Indie-Produktion sind und nicht RTL, wo die Leute meist vorgeführt werden.
Piltz: Viel Recherche gehört dazu. Wir sind teilweise tage- oder wochenlang in Foren unterwegs, in Chats und in E-Mail-Kontakt mit Leuten. Während der Dreh und das anschließende Schneiden meist an einem oder zwei Tagen oder einem Wochenende durch ist, brauchen wir manchmal drei Monate, um die richtigen Personen zu finden. Wir müssen das natürlich immer auch mit unserer normalen Arbeit abstimmen.